Der Sommer 2020 war der Sommer der gefallenen Denkmäler. In Bristol landete die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston im Kanal, in den USA kippten mehrere Denkmäler des Generals Robert E. Lee, der mit den konföderierten Staaten für den Erhalt der Sklaverei kämpfte. In Belgien hatten es Demonstranten auf König Leopold II. abgesehen.Auf dessen Nachdruck erhielt Belgien 1885 den „Freistaat Kongo“ – zunächst als Privateigentum des Königs, ab 1908 als offizielle Kolonie. Die belgische Kolonialherrschaft, die Millionen von afrikanischen Opfern forderte, gilt als eine der grausamsten überhaupt.
Als Leopold-Erbe wird das Königliche Museum für Zentralafrika bezeichnet, in dem sich tausende gestohlene Artefakte und Kunstwerke befinden. Erst 2018 erhielt das Museum in Tervuren eine millionenschwere Renovation, die die Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte fördern sollte. Schon lange wird von der Demokratischen Republik Kongo eine Rückgabe der Raubkunst gefordert. Mit Erfolg.
Anders als die Niederlande, Deutschland oder Frankreich, die bereits zuvor Rückgaben kolonialer Raubkunst ankündigten, geht man in Belgien resolut vor: Artefakte aus „kolonialem Unrechtskontext“ gehen automatisch in den Besitz der DR Kongo über. Bei der ersten Ankündigung galt dies jedoch nur für knapp 1.000 der 80.000 potenziell gestohlenen Objekte. Insgesamt stellt das Museum 120.000 Objekte, von denen ein großer Teil jedoch als unproblematisch gilt. Weiter stuft die Regierung Objekte mit ungeklärter Herkunft – immerhin 35.000 – als „privates Staatseigentum“ ein. Damit verlieren sie den Status als öffentliches Eigentum, was eine automatische Rückgabe zur Folge hat, sollte ein illegaler Erwerb nachgewiesen werden.
Belgien und die DR Kongo trennen hierbei den legalen Besitz von der Rückgabe. Zum einen kann die Restitution so nicht durch logistische Probleme aufgehalten werden, zum anderen könnten einige Artefakte weiterhin ausgestellt werden – nur gehören sie nicht mehr Belgien.
Ende Februar übergab der belgische Premierminister Alexander de Croo im Rahmen des EU-Afrika-Gipfels eine vollständige Inventarliste mit etwa 84.000 Artefakten an den kongolesischen Premier Jean-Michel Sama Lukonde, der dies als „historischen Moment“ beschrieb. Ausgehend von der Inventarliste kann die DR Kongo Anfragen zur Restitution stellen, die daraufhin von einem aus belgischen wie kongolesischen Wissenschaftlern bestehenden Team geprüft werden.
Das Vorgehen anderer Länder steht unter Kritik – es sei zu langsam oder gehe nicht weit genug. Auch weil Argumente benutzt werden, die eine koloniale Sichtweise reproduzieren, wie das angebliche Fehlen von Museen oder adäquaten Möglichkeiten der Aufbewahrung. Auch in der DR Kongo ist es klar, dass man nicht auf einmal zehntausende zurückgegebene Werke ausstellen können wird – der Direktor des Afrikamuseums,Guido Gryseels,betonte aber stets, dass dies keine Voraussetzung für die Restitution sei.
In Deutschland soll dieses Jahr die Rückgabe der Benin-Bronzen beginnen, von denen Teile im Berliner Humboldt-Forum ausgestellt sind. Nigeria fordert seit Jahren die Rückgabe der Skulpturen, die einst von den Briten gestohlen wurden und nun in Europas Museen verteilt liegen. Insgesamt zeigt die Bundesregierung nur bedingten Handlungswillen bei der Rückgabe kolonialer Raubkunst – man wolle einen „substantiellen Teil“ zurückgeben. Das Vorgehen Belgiens lässt in erster Linie Anzeichen einer wirklichen Zusammenarbeit erkennen, an der sich auch Deutschland ein Beispiel nehmen könnte.
KOLONIALWAREN - Aktiv im Thema
africavenir.org/de | Die in Kamerun ansässige NGO AfricAvenir unterhält u.a. ein Büro in Berlin. Der Onlineauftritt informiert auch über ihre Aktivitäten zu geraubter Kunst.
kulturrat.de | Dossier des Deutschen Kulturrates über „Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“
kulturgutverluste.de | Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste fördert die Suche nach sog. NS-Raubgut.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
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