Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 1

12.581 Beiträge zu
3.809 Filmen im Forum

Mit Denkmälern Kaiser Wilhelms II. wird auch eines Protagonisten der deutschen Kolonialpolitik gedacht (hier nahe des Kölner Doms)
Foto: Zaschnaus / Adobe Stock

Sind Namen Schall und Rauch?

28. März 2022

Umstrittene Denkmalkultur im öffentlichen Raum – Teil 2: Leitartikel

Familienbedingt sitze ich oft im Flieger Richtung Ghana. Für mehrere Stunden liegt dann unter mir der „Schwarze Kontinent“. Die Route führt über Orte, die ich nur vom Namen kenne: Fada N’Gourma, Birnim Kebbi, Tillabéri. Beim Überfliegen denke ich oft daran, dass von diesen und ähnlichen Orten vor 400 Jahren Menschen zur westafrikanischen Küste getrieben wurden, wo sie auf Schiffe vor den Sklavenforts der früheren Goldküste verladen und in eine für sie unbekannte Zukunft verfrachtet wurden. Heute wissen wir, was mit den Millionen Menschen aus Afrika geschah. Und auch, was nach der Abschaffung des transatlantischen Sklavenhandels als Fortführung der Menschenausbeutung unter anderem Namen erfolgte.

Spuren der Kolonialzeit

Auf Einladung des Reichskanzlers Otto von Bismarck sicherten die „Weltmächte“ 1884/85 in Berlin einander das Recht zu, Länder und Gebiete in Afrika in Besitz zu nehmen und auszubeuten – zwanzig Jahre nach der Abschaffung der Sklaverei. So begann die Kolonialzeit. Deutschland beanspruchte ein Drittel der aufzuteilenden Flächen. Wie die Sklaverei wurde auch der Kolonialismus irgendwann abgeschafft. Allzu lange ist es nicht her. Für mich ist es schwer vorstellbar, dass mein Vater, in der Goldküste geboren, England noch lange Zeit als „motherland“ bezeichnen musste. Ghana erlangte erst 1957 seine Unabhängigkeit. Viele afrikanische Länder waren noch in den 60er Jahren Kolonien, manche wurden sogar erst Ende der 70er unabhängige Staaten. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Welt zwei Weltkriege hinter sich, man hatte Erklärungen über Menschenrechte verfasst, Demokratie, Freiheit und Gleichbehandlung als Ideale verankert. Unvorstellbar daher, dass Spuren der Kolonialzeit bis heute nur selten hinterfragt und Menschen, die Verbrechen verantwortet oder ermöglicht haben, noch immer auf Straßenschildern geehrt werden. Menschen wie Joachim Nettlebeck, Theodor Leutwein, Hermann von Wissmann oder Carl Peters – die alle noch auf Straßenschildern in NRW zu finden sind.

Alltagsehrung von Schwerverbrechern

Wie sind solche Ehrungen heute noch zu vertreten? Nettlebeck war Obersteuermann auf Sklavenschiffen und hat mit Menschen gehandelt. Leutwein war Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika und federführend am Vernichtungsfeldzug gegen die Nama beteiligt. Wissmann war Befehlshaber der ersten deutschen Kolonialtruppe und verantwortlich für die Niederschlagung des Widerstandes der ostafrikanischen Küstenbevölkerung. Peters gründete 1884 die „Gesellschaft für deutsche Kolonisation“, vertrat extrem rassistische Standpunkte und ging mit äußerster Brutalität gegen die einheimische Bevölkerung der Deutsch-Ostafrika Kolonie vor. Wie sollen wir damit umgehen? Nach vorne blicken und die Vergangenheit ruhen lassen? Die breite Masse habe eh keine Ahnung, wer diese Menschen waren, Hauptsache ihre Taten werden nicht wiederholt, so das Argument der einen. Oder weg mit den Namen und gleichzeitig allen rassistischen Bezeichnungen, wie etwa auch den Mohren-Apotheken, keine Ehrung für Verbrecher, sagen die anderen.

Kontextwechsel der Erinnerungskultur

Dass viele die ungeheuerlichen Taten vergessen haben, macht sie nicht ungeschehen. Das Festhalten an Straßen mit Verbrechernamen entschärft jedoch die Taten der Namengeber. Diese Namen müssen von den Schildern runter – aber nicht weg. Sie müssen an Bildungsorten wie Schulen und Museen thematisiert werden. Wir dürfen die Geschichte nicht vergessen, denn nur durch eine kritische Erinnerungskultur können wir versuchen, die Wiederholung ähnlicher Taten und Ideologien zu verhindern, manche Zusammenhänge besser verstehen, Kontinuitäten erkennen und ihnen entgegenwirken.


KOLONIALWAREN - Aktiv im Thema

africavenir.org/de | Die in Kamerun ansässige NGO AfricAvenir unterhält u.a. ein Büro in Berlin. Der Onlineauftritt informiert auch über ihre Aktivitäten zu geraubter Kunst.
kulturrat.de | Dossier des Deutschen Kulturrates über „Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“
kulturgutverluste.de | Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste fördert die Suche nach sog. NS-Raubgut.

Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@choices.de

Tina Adomako

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Gladiator II

Lesen Sie dazu auch:

Vom Umgang mit Kolonialkunst
Auftakt der Ringvorlesung „Res(t)ituieren“ im Kubus – Kunst 10/22

Kein Platz für „Herrenmenschen“
Initiative von Bündnis 90/Die Grünen – Spezial 05/22

Chance vertan
Intro – Kolonialwaren

Blutiges koloniales Erbe
In der Klemme: Das Humboldt-Forum zwischen Geschichtsrevisionismus und Restitution – Teil 1: Leitartikel

„Mit den Nachfahren der Kolonisierten zusammenarbeiten“
Museumsdirektorin Nanette Snoep über Raubkunst und die Aufgaben der Museen – Teil 1: Interview

Kunstraub in der NS-Zeit
Forschungsprojekt am Museum für Angewandte Kunst Köln – Teil 1: Lokale Initiativen

„Naiv zu glauben, dass Denkmäler Geschichte abbilden“
Historiker Jonas Anderson über den Umgang mit Deutschlands Kolonialvergangenheit – Teil 2: Interview

Erinnerungskultur vor Ort
Stadtführung „colonialtracks“ über Essens Kolonialgeschichte – Teil 2: Lokale Initiativen

Raubkultur?
Kulturgut und koloniales Erbe – Teil 3: Leitartikel

„Kultur bedeutet immer, sich Dinge anzueignen“
Philosophin Ursula Renz über kulturelle Aneignung – Teil 3: Interview

Neues Berufsbild für Flüchtlinge
Die Wuppertaler SprInt eG fördert kultursensibles Dolmetschen – Teil 3: Lokale Initiativen

Das Erbe König Leopolds
Rückgabe kolonialer Raubkunst – Europa-Vorbild: Belgien

Leitartikel

Hier erscheint die Aufforderung!