Ist Köln eine Jazz-Metropole? Das Gefühl stellte sich jedenfalls ein, als am Freitag rund 60 Künstler aus dem Kölner Raum – verbunden zu Gruppen und Duos – im und um den Stadtgarten ihre Musik vorstellten. Die Kölner Musikszene erwies sich wieder als so vielfältig wie die Menschen, die hier leben.
Um 19 Uhr ging es los mit Stawarz / Busch / Thomé, die sich im Konzertsaal des Stadtgarten mit ihren Instrumenten einander zuwandten. So im Kreis aufgestellt, gedachten sie für gut 45 Minuten in langen Stücken, die an weite Reisen erinnerten, der Traditionen verschiedener europäischer und orientalischer Regionen, verbunden mit viel dazugehöriger Introspektion. Der aus Krakau stammende Violinist Radek Stawarz brachte das Feingefühl osteuropäischer Geiger mit, die unter anderem mit Sinti-und-Roma-Melodien großgeworden sind, und wusste die Nähe zur Folklore im Rahmen von Jazz-Kompositionen, Improvisationen und Neuer Musik gezielt einzusetzen. Alle drei arbeiteten mit ihren Instrumenten sowohl formgebend wie auch klangmalerisch und abstrakt. Christian Thomé an Schlagzeug und Percussions produzierte während der Entwicklung jedes Stücks eine Vielzahl von rhythmischen Strukturen und Klängen, die sein Ausdrucksspektrum dem der Saiteninstrumente annäherten. Am Flügel war es Stevko Busch, der mit improvisatorischer Feinarbeit überzeugte. Die ethnologischen und kulturellen Bezüge waren mannigfaltig. Obwohl Stawarz’ Violine als klassisches Solo-Instrument manchmal am markantesten und kommunikativsten wirkte, sind doch selten drei Solisten so ebenbürtig aufgestellt und so komplex miteinander verbunden wie etwa in dem „Versuch zum Begriff Heimat“, als das Busch eines der Stücke bezeichnete.
Der Konzertsaal war freilich nur eine der fünf Bühnen von Winterjazz 2015. Während hier die mit feineren Klängen arbeitenden Ensembles auftraten, denen das Publikum konzentriert lauschen konnte, waren die anderen Bühnen von einer Geräuschkulisse umgeben. Im Stadtgarten-Restaurant waren zunächst für eine gute halbe Stunde die spielfreudigen Punchin’ Pigs zu hören, angeführt von Posaunen-Altmeister Paul Hubweber. Danach musste Sänger Alexander Gelhausen mit seinem Blues-Quartett mit seinem Programm aus vorwiegend „Blues und Bluesigem“ gegen lauter werdende Gespräche und klirrendes Geschirr an Tischen und Theken ansingen, wobei man den Songs freilich in Bühnennähe alle gebührende Aufmerksamkeit schenkte. Die Punchin’ Pigs und das Gelhausen Quartett allein boten bereits vielfältige, potentiell abendfüllende Programme, so wie eigentlich alle Gruppen ihr Publikum zu halten wussten und auf mehr Lust machten.
Nicht lange nach Festivalbeginn war es im Stadtgarten, dem Festival-Zentrum, sehr voll. Trotz freiem Eintritt hatten die Veranstalter, die das Festival Jahr für Jahr etwas expandieren, nicht mit ganz so viel Andrang gerechnet. Das freie Pendeln zwischen den Bühnen wurde erschwert, als sich vor dem Stadtgarten eine Schlange bildete und die Besucher zusammen mit dem Türsteher warten mussten, dass jemand herauskam. Das noch frei zugängliche Studio 672 im Keller war dadurch trotz seiner Größe bald überfüllt. Zunächst erfoschte dort die mit zwei Jazzechos ausgezeichnete Gruppe Tria Lingvo (kürzlich bei den Leverkusener Jazztagen) ethnische und abstrakte Themen; um halb neun folgten mit genauso extremer, dissonanter Improvisation und manchem Versatzstück Wissel Tang Camatta, mit dem hervorstechenden Achim Tang am Kontrabass, Georg Wissel am Saxophon und Simon Camatta an den Drums. Zwar ist diese Konstellation in Köln selten zu sehen, aber natürlich ging es an dem Abend darum, auch einzelne Musiker dem Publikum nahezubringen, die fast alle in unterschiedlichen Formationen mitwirken.
Im Zimmermann’s, in dem ein „urbaner Jazzmix“ aufgefahren wurde, kam man längst nicht mehr in die Nähe der Bühne, als bei Ulla Osters Projekt git.init Akustikgitarren vielfältig zum Zuge kamen und das junge Trio Westinato (Debüt-CD „Pnoung Peng“) ost-westliche Grooves um das E-Vibraphon baute. Dagegen konnte man zeitweise noch an die Duos herankommen, die in der Umleitung spielten. Gerade an dem Ecklokal kamen viele Leute vorbei, die nichts vom Festival wussten. Die aus Frankreich stammende Christine Corvisier (Saxophon) spielte hier zusammen mit Frank Wingold (Gitarre) Eigenkompositionen, gefolgt von Carl Ludwig Hübsch (Tuba) und Matthias Schubert (Saxophon), die sich zwischen improvisierter und Neuer Musik bewegten. Den radikalen ersten Einsatz der beiden lauten Instrumente, streng nach Noten, bezeichnete eine Passantin als „Totalbefreiung“, andere nannten sie „harte Kost“ und „experimentell“. Jedenfalls war für fordernde Duo-Musik die Baratmosphäre nicht so gut geeignet, auch wenn die Musiker sich von nichts stören ließen.
Bei der Jens Düppe Akustik Band stammten im Studio die Grundideen vom Schlagzeuger Düppe, der sich auf ein extrem starkes Spiel seiner Kollegen verlassen konnte, darunter der umwerfende Frederik Köster, selbst ein großer Name, an der Trompete. Die Band drang problemlos bis zum letzten Stehplatz durch.
Im Konzertsaal war inzwischen das Brodersen-Weindorf Quartett aufgetreten, das den Bassisten Christian Ramond mit Düppe teilte. Mit Kristina Brodersen am Altsaxophon und Tobias Weindorf, der auch viele der Titel schrieb, am Klavier, wurde es im Saal etwas traditioneller. Man fühlte sich oft an die großen amerikanischen Trios und Quartette der späten 50er und 60er Jahre erinnert, die verstärkte Akustik war nach wie vor grandios und die Solos rissen mit.
Saxophonist Hugo Read und Pianist Thomas Rückert lieferten im Saal eine Melange aus Jazz und Neuer Musik. Hier war in langen Stücken die gesamte Tonleiter vertreten, das Tempo wurde variiert und jeder Ansatz zum Einfachen, Greifbaren kontinuierlich verworfen. Die beiden überaus schön klingenden Instrumente (der Flügel wurde freilich von Rückert nur übernommen) gingen eine Verbindung ein mit den komplexen, in jedem Moment fein erlebten musikalischen Erzählungen aus flüchtigen Stimmungen.
Mit dabei waren ebenfalls Expressway Sketches, Neuzeit, Colonel Petrov’s Good Judgment, Zimmereinartz Looped, das Quartett von Sängerin Filippa Gojo, East Drive feat. Mr. Shirazy und die Pianistin Laia Genc. Wie bei jedem größeren Jazz-Festival nutzten die Musiker die Gelegenheit, sich auszutauschen und sich über die aktuellen Arbeiten der anderen ein Bild zu machen. Als letzte Veranstaltung ging gegen ein Uhr „Celebrating Rupert Stamm“ zu Ende, das dem in Lübeck verstorbenen Vibraphonisten und Komponisten gewidmet war. Die CD-Veröffentlichungen der Künstler waren im Stadtgarten zu einem Festpreis von 15 Euro zu erwerben. Die Organisation des Abends war vor allem Angelika Niescier zu verdanken. Mit einiger Sicherheit wird es den Konzerten der vertretenen Künstler in nächster Zeit nicht an Publikum fehlen, und der Stadtgarten konnte sich wieder als ein toller Ort für Abendunterhaltung und hochkarätige Musikdarbietungen beweisen.
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