Europa und die Vereinigten Staaten verhandeln derzeit über ein Freihandelsabkommen, von dem sich viele Wirtschaftszweige einen Aufschwung erhoffen. Eine Ausnahme bilden die Kulturschaffenden und Kulturpolitiker, die durch das Freihandelsabkommen die errichteten Schutzzonen subventionierter Kulturpolitik als gefährdet ansehen. Aus diesem Grund kämpfen vor allem Deutschland und Frankreich um die kulturelle Ausnahme. Denn das Horrorszenario könnte in der Abschaffung der Buchpreisbindung, der Filmförderung und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bestehen. Denn genau mit diesen die Kulturfreiheit konstituierenden Merkmalen werden diese kulturellen Bereiche einer marktwirtschaftlichen Wettbewerbssituation entzogen. Aus einer abstrakten Sichtweise eines Freihandelsabkommens handelt es sich somit um eine Wettbewerbsverzerrung oder aber Benachteiligung der USA, da ihnen damit der Zugang zu Fördermitteln oder unbeschränktem Handel verwehrt wird.
Allerdings ist diese Wettbewerbsverzerrung nicht eine ungewollte Folge der staatlichen Kunstsubvention, sondern exakt das, was angestrebt war. Ohne eine Förderung könnte sich ein großer Teil der Filmkultur in Europa nicht behaupten, denn das, was an Massenmarkt fehlt, wird durch Förderungen ersetzt, um somit eine Wahrnehmungsäquivalenz überhaupt erst herstellen zu können. Gäbe es keine Förderung, würde der amerikanische Film das europäische Kino komplett dominieren, gäbe es keine Buchpreisbindung, hätten Verlage kaum mehr eine Chance, mit Bestsellern kleinere Produktionen querzufinanzieren, wäre die große Dichte an Theatern und Opernhäusern verschwunden. Selbst der rechtsstaatlich verankerte öffentlich-rechtliche Rundfunk stünde zur Diskussion bzw. müsste seine Produktionsmittel auch amerikanischen Produzenten zuteil kommen lassen.
Schon bei dem vor vielen Jahren verhandelten GATT-Abkommen konnte die kulturelle Ausnahme geregelt werden. Mit Hollywood, Amazon, Google, Facebook und Apple im Rücken haben die Amerikaner allerdings ihre Zustimmung zur Fortschreibung der Ausnahme bislang verweigert. Gleichzeitig hat die Bundesregierung auf Bestreben des Kulturstaatsministers Neumann zum Ausdruck gebracht, dass man über alles verhandeln könne, wenn der Kultur- und Medienbereich vom Freihandelsabkommen ausgeschlossen bliebe. Diese Forderung wird auch dadurch unterstrichen, dass Deutschland 2005 dem UNESCO-Übereinkommen zum Schutz der kulturellen Vielfalt beigetreten ist. Dennoch ist diese Haltung nicht ganz ungefährlich, da man in allen anderen Bereichen alle handelshemmenden Regularien beseitigen konnte.
Insgesamt befürworten auch in Europa alle großen Parteien dieses Freihandelsabkommen, allerdings mit der Ausnahme der Kultur, die ohnehin nur 2% des gesamten Handelsvolumens ausmacht. Ob die kulturelle Ausnahme die Gesamtverhandlung scheitern lassen könnte, ist offen, denn sowohl die USA als auch Europa bewegen sich in dieser Sache nicht aufeinander zu. Ein Hoffnungsschimmer ist, dass der audiovisuelle Sektor zumindest vorläufig herausgenommen wurde. Für Amerika wäre es nur ein kleiner Zugewinn, für Europa ein enormer Verlust.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Maßgeschneiderter Schutz?
Regierung fordert Ausnahmen für Kultur in TTIP – Theater in NRW 11/15
Kino als Empathie-Maschine
Warum wir Kino in Zukunft mehr brauchen denn je – Vorspann 01/25
Stark durch Solidarität
„Billige Hände“ im Filmhaus – Foyer 12/24
Übers Ankommen in Deutschland
„Zwischen Sein und Nichtsein“ von Leocadie Uyisenga – Film 12/24
Toleranz zum Jahresende
Mit Kino zu mehr Empathie finden – Vorspann 12/24
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
„Mir wurden die Risiken des Hebammenberufs bewusst“
Katja Baumgarten über ihren Film „Gretas Geburt“ – Foyer 11/24
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Liebe und Macht
choices preview zu „Power of Love“ in der Filmpalette – Foyer 10/24
Schnitte in Raum und Zeit
Die 24. Ausgabe des Festivals Edimotion in Köln ehrt Gabriele Voss – Festival 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24
Die hemmungslose Leinwand
Sexualität im Kino – Vorspann 10/24
„Zuhause sehnen wir uns nach der Ferne...“
Kuratorin Joanna Peprah übers Afrika Film Fest Köln – Festival 09/24
Afrikanisches Vermächtnis
Das 21. Afrika Film Festival widmet sich dem Filmschaffen des Kontinents – Festival 09/24
Kurzfilmprogramm in der Nachbarschaft
„Kurzfilm im Veedel“ zeigt Filme zu aktuellen Themen in Köln – Festival 09/24
Sorge um die Filmkultur
Veränderungen und Einsparungen stehen vor der Tür – Vorspann 09/24
Disziplin, Drill und Durchlässigkeit
„Mädchen in Uniform“ im Filmforum – Foyer 08/24
Volles Programm(heft)
40-jähriges Jubiläum der Internationalen Stummfilmtage Bonn – Festival 08/24
Sommer-Endspurt
Humor und Weltrettung für Jung und Alt – Vorspann 08/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Queere Menschen in Polen
„Boylesque“ im Filmhaus – Foyer 07/24
Pssst!
Zu Spoilern, Prequels und Remakes – Vorspann 07/24