Es passiert selten, dass die Veranstalter einer Demo die Teilnehmerzahl nach oben korrigieren müssen. Beim Protestmarsch gegen die Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA am 10. Oktober in Berlin waren es anstatt der erwarteten 50.000 Menschen am Ende zwischen 150.000 und 250.000 Teilnehmer. Die anhaltende Kritik hat bei der Politik allerdings bereits drei Tage zuvor Wirkung gezeigt. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Kulturministerin Monika Grütters stellten ein Positionspapier der Bundesregierung vor, das erstmals Ausnahmen für den Bereich Kultur und Medien in TTIP fordert. „Die Bundesregierung tritt im Rahmen der TTIP-Verhandlungen dafür ein, dass das Abkommen keine Bestimmungen enthält, die geeignet sind, die kulturelle und mediale Vielfalt in Deutschland zu beeinträchtigen“, heißt es da. Und: „Die Bundesregierunghält passgenaue, konkrete und rechtsverbindliche Vorkehrungen für erforderlich, die präzise und ‚maßgeschneidert‘ den Schutz von Kultur und Medien in den relevanten Kapiteln des Abkommens absichern und im EU-Rahmen Chancen auf Durchsetzbarkeit haben.“
Das klingt immerhin nach einem Haltungswandel. Doch Kultur ist ein „Container-Begriff“, wie Ulrich Beck das einmal nannte. Er variiert in der Zeit, aber auch geographisch nach den jeweiligen Ländern. Darin liegt das Problem der „maßgeschneiderten“ Ausnahmen. Wie beispielsweise die deutsche Theaterstruktur „im EU-Rahmen“ zu schützen sein wird, muss man erst mal abwarten. Denn es ist eben nicht die Bundesregierung, die die Verhandlungen führt, sondern die EU-Kommission. Wichtig sind vor allem zwei Absichtserklärungen: „Ein mögliches Kapitel zum Investitionsschutz muss so ausgestaltet werden, dass eine nicht diskriminierende und nicht exzessive Maßnahme zur Sicherung der kulturellen oder medialen Vielfalt nicht als indirekte Enteignung angesehen werden kann.“ Das beträfe zum Beispiel den US-Musicalunternehmer, der sich durch ein Stadttheater in seinen Gewinnmargen beeinträchtigt sieht und vor einem Schiedsgericht klagt. Und schließlich auch der Hinweis auf die Subventionsklausel: „Daneben ist aus Sicht der Bundesregierung eine horizontale Ausnahmeklausel für Beihilfen bei Dienstleistungen erforderlich. Dies ist gängiger Standard und sichert die Möglichkeit für Fördermaßnahmen im Sinne der Kultur- und Medienvielfalt.“ Entscheidend aber dürfte aber vor allem die von der EU eingebrachte „Negativliste“ sein, die die Ausnahmen des TTIP benennt.
Inzwischen hat auch Brüssel auf die anhaltende Kritik reagiert. EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström kündigte an, nicht nur das Mandat, also den Verhandlungsrahmen der EU-Kommission, sondern auch TTIP-Verhandlungsdokumente zu veröffentlichen. Ob die eher restriktiven Mitgliedsstaaten dem zustimmen, ist allerdings unsicher. Den meisten Kritikern reicht das nicht, sie fordern auch einen Zugang zu den amerikanischen Dokumenten. Für Entwarnung ist es also noch viel zu früh. Immerhin: Die Kritik zeigt Wirkung.
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