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So durchsichtig wie Frachtcontainer: TTIP-Verhandlungen
Foto: Benni Klemann

„Wir sind nicht gegen freien Handel – aber er muss transparent und fair sein“

22. Dezember 2015

Frank Immendorf von der Initiative „Kleine und mittelständische Unternehmen gegen TTIP“ – Thema 01/16 Gerecht Steuern

Im Oktober haben in Berlin mehr als 150.000 Menschen gegen die geplanten Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP) und Kanada (CETA) demonstriert. Es war die bislang größte Protestveranstaltung gegen TTIP und CETA. Die Kritiker der Verträge befürchten unter anderem sinkende Sozial-, Umwelt- und Verbraucherstandards sowie eine Schwächung demokratischer Institutionen. Auch kleine und mittelständische Unternehmen erwarten nichts Gutes und haben ihren Widerstand in der Initiative „KMU gegen TTIP“ organisiert.

choices: Was wissen Sie über den aktuellen Stand der Verhandlungen von TTIP und auf welchem Weg erfahren Sie davon?

Frank Immendorf: Ein großer Teil der Verärgerung über TTIP ist durch die Geheimniskrämerei entstanden. Die Kommission verhandelt geheim. Es gibt für den Souverän, die Bürger Europas, wenig Informationen und erst recht keine Einflussmöglichkeiten. Und das bei einem Projekt, das unsere Wirtschaft sowie unseren Alltag sehr verändern wird! Vieles, was wir wissen, haben uns Whistleblower in Brüssel zugespielt. Wenn Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel seinen TTIP-Beirat einberuft, hat das wenig mit ausgewogener Diskussion zu tun. Das Ganze hatte nur symbolischen Charakter. Die Dokumente, die man offiziell auf der Website einsehen kann, stimmen nicht gerade optimistisch. Die Texte, mit denen die EU in die Verhandlung geht, sind jetzt schon vage und widersprüchlich formuliert, was natürlich, wenn die Gesetze durchverhandelt sind, noch schlimmer werden wird. Es gibt auch viele Fragen, wie Umwelt- und Arbeitsschutz, die noch gänzlich offen sind.

Wann und wie gründeten Sie die Organisation KMU gegen TTIP?

Frank Immendorf
Foto: privat
Frank Immendorf ist gelernter Maschinenbautechniker und Geschäftsführer der Egovision GmbH, einer Messebaufirma in Lohmar. Immendorf initiierte zusammen mit vier weiteren Unternehmern aus Deutschland „KMU gegen TTIP“.

Die Initiative gab es schon in Österreich. Und wir, die fünf Initiatoren, hatten uns alle unabhängig voneinander an die Österreicher gewendet, um herauszufinden, wie wir uns gegen TTIP engagieren können. Und die Kollegen haben uns dann zusammengebracht.


Welche Aspekte stören Sie denn ganz besonders an TTIP, und natürlich auch an CETA?

Mich stört besonders, dass im Zuge der „Harmonisierung von Standards“ auch sogenannte „Standstill-Verpflichtungen“ (Aufrechterhaltung des Status quo) verhandelt werden. Das ist eine Art „Ewigkeitsklausel“, die bedeuten würde, dass einmal aufgehobene Beschränkungen nicht wiedereingeführt werden können. Es gäbe keine Umkehrung, was auch immer passiert. Uns stört aber auch, dass bei CETA und TTIP mit dem Prinzip der Negativliste gearbeitet wird. Dies besagt, dass alles, was nicht explizit ausgeschlossen ist, dereguliert bzw. liberalisiert wird.


Es gibt doch lebhaften und lukrativen Waren- und Wirtschaftsverkehr zwischen den genannten Staaten. Wer will oder braucht denn eigentlich die Freihandelsabkommen?

Der mächtige Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der die großen deutschen Unternehmen vertritt, zum Beispiel. Auf europäischer Ebene sind dies Konzernlobbyisten wie „FoodDrinkEurope“. Auf amerikanischer Seite macht zum Beispiel die Agrarindustrie Druck, die endlich mehr Produkte auf dem europäischen Markt absetzen möchte. Große Konzerne sehen meiner Meinung nach in den Abkommen die Chance, unliebsame europäische Regelungen loszuwerden. Wenn TTIP hiesige Umweltschutzregeln aushebelt, dann nutzt das auch europäischen Konzernen. Ich erkenne nicht, dass die Befürworter gute Argumente dafür haben, wozu diese beiden Mega-Freihandelsabkommen dienen sollen. Das legt die Vermutung nahe, dass es eine „hidden agenda“ gibt.


Welche Folgen erwarten besonders die kleinen und mittelständischen Unternehmen?

Da brauchen wir uns nur anschauen, welche Auswirkungen das nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA in den USA und Mexiko hatte. Neutrale Think Tanks schätzen, dass es 700.000 US-Amerikanern den Job gekostet hat. Vor allem Kleinunternehmen und Bauern haben Wirtschaftskraft verloren. Gewonnen haben nur die internationalen Konzerne.

Die berühmten Schiedsgerichte, die eingeführt werden sollen, um Rechtsstreitigkeiten unter den Verhandlungspartnern zu klären, sind nicht nur nicht legitimiert und nicht zu kontrollieren, sondern machen mögliche Prozesse für kleine Unternehmen nicht handhabbar. Am meisten profitiert von NAFTA hat die Klage-Industrie in den USA, die damit erst richtig in Schwung gekommen ist. Hier haben die kleinen Unternehmer nichts zu melden, da sie selten über eine eigene Rechtsabteilung verfügen. Inländische Unternehmen dürften ohnehin nicht klagen, nur ausländische Investoren. Alles in allem geht es darum, den regelnden Staat durch das freie Spiel der Kräfte zu ersetzen. Das finde ich nicht gut, ich bin Anhänger der sozialen Marktwirtschaft – und die sehe ich gefährdet.


Die Investor-Staat-Klagen sind Gegenstand der am meisten verbreiteten Kritik an TTIP. Was genau verbirgt sich dahinter?

Bei Investor-Staat-Klagen wird der reguläre Rechtsweg, also die Anrufung demokratisch legitimierter Gerichte, umgangen. Ob ISDS (Investor-State-Dispute-Settlement) oder ICS (Investment Court System) – der Kern des Problems bleibt bestehen. Zugang zu den Schiedsgerichten haben nur große Konzerne, denn die hohen Verfahrenskosten von durchschnittlich 8 Mio. Dollar sind für die meisten Mittelständler nicht zu finanzieren. Die Klagemöglichkeit gibt privaten Investoren nicht nur die Möglichkeit, rechtmäßige Gesetze anzufechten. Allein durch die Ankündigung kostspieliger Schiedsverfahren kann dadurch unzulässiger Druck auf die Gesetzgebung ausgeübt werden. Bisher mussten beklagte Staaten in fast 60 Prozent aller Fälle zahlen. Zurzeit klagt beispielsweise der schwedische Energieriese Vattenfall auf Grundlage des Energiecharta-Vertrags gegen den deutschen Atomausstieg und fordert 3,7 Milliarden Euro Schadensersatz. Die ebenfalls betroffenen inländischen Konzerne, zum Beispiel RWE, können dies nicht. Die Klageverfahren sind fest in die Welt der Finanzspekulation integriert: Spezielle Prozessfinanzierer übernehmen die Klagekosten und erhalten im Gegenzug einen Anteil an einer später eventuell zugesprochenen Entschädigung oder an einer Zahlung im Rahmen eines Vergleiches. Um mal ein Beispiel zu machen: Falls ein neues Nachtflugverbot für einen Flughafen durchgesetzt würde, könnte UPS den Staat verklagen auf alle künftig entgangenen Gewinne. Es leuchtet ein, dass es hier um sehr viel Geld geht. Über die Zeit hätten große Unternehmen über diesen Hebel sehr viel mehr Macht als bisher, gegen die Interessen von Bürgern oder auch kleinen Unternehmen. Das würde unsere Welt ziemlich verändern.


Die Befürworter von TTIP preisen als Vorteil, dass TTIP eine Angleichung von Normen erreichen würde und somit internationalen Handel für Unternehmen oder auch Verbraucher vereinfachen würde, man denke nur an die unterschiedlichen Stecker an US-amerikanischen und deutschen Elektrogeräten. Überzeugt Sie das nicht, das erleichtert Ihnen doch auch die Arbeit?

Das halte ich für ein Gerücht. Der VDMA (Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau) als Befürworter von TTIP sagt, der Normausschuss würde weiterbestehen, keine Norm würde durch TTIP angeglichen. Im Vertrag wird allenfalls der Willen dazu bekundet.


Was genau möchten Sie eigentlich mit Ihrer Initiative erreichen? TTIP verhindern?

Ja, wir wollen einen Stopp der TTIP-Verhandlungen erreichen. Dafür wollen wir zunächst Unternehmerinnen und Unternehmer informieren und mit ihnen diskutieren. Wir stehen aber auch Politikern Rede und Antwort. TTIP ist zu umfassend und schafft eine unberechenbare Rechtsgrundlage für viele Fragen, die uns alle betreffen, egal ob es um Umwelt- Verbraucher- oder Arbeitsschutz geht. Wir als „KMU gegen TTIP“ sind nicht gegen freien Handel – aber er muss transparent und fair sein. CETA und TTIP sind das nicht. Wir brauchen kein Abkommen, das nur den ohnehin schon viel zu mächtigen Konzernen nutzt und bei dem Verbraucher, Steuerzahler und kleine Unternehmen auf der Strecke bleiben.


Aktiv im Thema

www.appell-vermoegensabgabe.de
www.vermoegensteuerjetzt.de
netzwerksteuergerechtigkeit.wordpress.com | Netzwerk Steuergerechtigkeit
www.sueddeutsche.de/thema/Luxemburg-Leaks | Luxemburg-Leaks bei sz.de
https://www.youtube.com/watch?v=3WRAEwVamwQ | Die Anstalt: Steueroasen

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