Die Zeiten, als für den Theaternachwuchs noch die darwinistische Losung vom „survival of the fittest“ galt, sind glücklicherweise vorbei. Heute gibt es nicht nur spezifische Theater-Ausbildungsgänge, sondern auch Festivals als Sprungbrett für die theatralen Frischlinge. Ein solches Festival ist West Off, das alljährlich jungen Absolventen Geld und Arbeitsbedingungen für eine Produktion unter Profibedingungen bereit stellt. Zusammengetan haben sich dafür die Studiobühne in Köln, das Forum Freies Theater (FFT) in Düsseldorf und das Theater im Ballsaal in Bonn.
In diesem Jahr sind unter den Auserwählten mit Christian Minwegen / Yasemin Peken, Gabriel Carneiro und Carolin Charlotte Pfänder gleich drei Ensembles des Studiengangs für Szenische Forschung von der Ruhr-Universität Bochum am Start. Das sei ein pandemiebedingter „Sonderfall“, betont Dietmar Kobboldt, Leiter der Studiobühne. Die szenischen Forscher hätten, Corona hin oder her, keine Auszeit genommen wie viele andere. Zugleich zollt er den drei Ensembles Respekt für ihre Konzepte, ihre Präsentationen und ihr konkretes Wissen, „wie man eine Theaterproduktion auf die Beine stellt“. Gleicher Heimatstall bedeutet nicht gleiche Ästhetik oder Thematik: Während sich Christian Minwegen und Yasemin Peken mit der katholischen Kirche beschäftigen und Gabriel Carneiro den Bergbau in Brasilien und im Ruhrgebiet vergleicht, geht Carolin Charlotte Pfänder sexualisierter Gewalt in Märchen nach.
Die Bedeutung eines Festivals wie West Off für das Programm der Studiobühne sei kaum zu überschätzen, meint Dietmar Kobboldt: „Das ist ein Nachwuchsfestival, bei dem wir hoffen Leute zu finden, die wir ein paar Jahre begleiten können“. Auch für Christoph Rech und das FFT verstehen West Off als Plattform der Nachwuchsförderung: „Wir leisten damit Aufbauarbeit“. Wenn Christoph Rech die Verbindungslinien zwischen Festivals, Bühnen und Ausbildungsgängen der Szenischen Forschung in Bochum und des Physical Theatre der Folkwang-Uni erwähnt, dann entsteht das Bild eines gewaltigen Netzwerks der Freien Szene in NRW. Es gab Zeiten, da schaute NRW neidvoll nach Berlin, Hildesheim oder Gießen mit ihren großen Talentschmieden. Diese Zeiten sind endgültig vorbei – und daran hat nicht zuletzt ein Festival wie West Off seinen Anteil.
West Off: Happy ever After 1.3.; Die letzte Messe 3.3.; Niemandes Boden 5.3. | Studiobühne in der TanzFaktur | 0221 470 4513
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„I am present but I don‘t exist“
West Off 2023 in Bonn, Köln und Düsseldorf – Prolog 11/23
„Ein interdisziplinäres großes Theaterhaus für die Stadt“
Die Dramaturgin Stawrula Panagiotaki übernimmt die Leitung der Studiobühne – Premiere 11/23
Metaebene der Clowns
„Clowns“ in der Studiobühne – Theater am Rhein 07/23
„Offen für experimentelle Formen und alles Neue“
Dietmar Kobboldt geht als Leiter der Studiobühne in den Ruhestand – Premiere 07/23
Perforierte Sprachgrenze
Die Studiobühne zeigt „Total“ – Theater am Rhein 05/23
Bedrohliche Fürsorge
„(S)Caring“ an der Studiobühne Köln – Auftritt 05/23
Spätes Licht
Studiobühne zeigt „Nachttarif“ – Theater am Rhein 04/23
Mit Ulrike Meinhof reden
„lieber wütend als depressed“ des Parasites Ensemble – Auftritt 10/22
„Ein Konzeptalbum, das sich mit Köln auseinandersetzt“
Daniel Schüßler über„Shit(t)y Vol.1.“ in der Tanzfaktur – Premiere 09/22
Wurzeln, Muskeln, queere Körper
„Mandragora“ in der Tanzfaktur – Auftritt 08/22
„Ab wann kippt ein freier Geist?“
Constantin Hochkeppel & Collaborators über „Tipping Points“ – Premiere 04/22
Theatrale Angebote
„Die letzte Messe“ liest der katholischen Kirche die Leviten – Prolog 11/21
Kampf gegen Windmühlen
„Don Quijote“ am Theater Bonn – Prolog 11/24
Keine Macht den Drogen
„35 Tonnen“ am Orangerie Theater – Prolog 10/24
Die Maximen der Angst
Franz Kafkas „Der Bau“ in der Alten Wursterei – Theater am Rhein 10/24
Die ultimative Freiheit: Tod
„Save the Planet – Kill Yourself“ in der Außenspielstätte der TanzFaktur – Theater am Rhein 10/24
Wenn das Leben zur Ware wird
„Hysterikon“ an der Arturo Schauspielschule – Prolog 10/24
Spam, Bots und KI
„Are you human?“ am Theater im Bauturm – Prolog 10/24
Wege in den Untergang
„Arrest“ im NS-Dokumentationszentrum Köln – Theater am Rhein 10/24
Die KI spricht mit
Franz Kafkas „Der Bau“ in der Alten Wursterei in Köln – Prolog 10/24
Diskussion ohne Ende
„216 Millionen“ am Schauspielhaus Bad Godesberg – Auftritt 10/24
„Das Ganze ist ein großes Experiment“
Regisseurin Friederike Blum über „24 Hebel für die Welt“ in Bonn und Köln – Premiere 10/24
Das schöne Wesen aller Dinge
Festival Spielarten 2024 in NRW – Prolog 09/24
Getanzter Privilegiencheck
Flies&Tales zeigen „Criminal Pleasure“ am Orangerie Theater – Prolog 09/24
Die Erfindung der Wahrheit
NN Theater Köln mit „Peer Gynt“ im Friedenspark – Auftritt 09/24