A Serious Man
USA 2009, Laufzeit: 105 Min., FSK 12
Regie: Ethan Coen, Joel Coen
Darsteller: Michael Stuhlbarg, Richard Kind, Fred Melamed, Sari Lennick, Aaron Wolff, Jessica McManus, Michael Tezla, Alan Mandell, George Wyner, Peter Breitmayer, Brent Braunschweig, David Kang
Der Physikprofessor Larry Gopnik führt ein geordnetes Leben. Doch nach und nach bricht seine kleine Welt zusammen.
Nein, Sie sitzen nicht im falschen Film, wenn Ihnen in Erwartung des neuen Films der Coen-Brüder eine schrullige Fabel mit untertiteltem jiddischem Originalton auf der Leinwand erscheint. Der Prolog zeigt ein jüdisches Ehepaar in einem osteuropäischen Shtetl im 19. Jahrhundert. Der Mann will einen entfernten Bekannten auf dem Markt getroffen und zur Suppe ins Haus eingeladen haben, worauf die Frau entsetzt entgegnet, der Mann sei doch vor drei Jahren gestorben, es müsse sich also um einen Geist gehandelt haben. Als der dann kurz darauf an die Tür klopft, hat die Reaktion der abergläubischen Frau fatale Konsequenzen. Wie vieles im neuen Film der Coens wird auch dieser Prolog seinen Sinn erst nach und nach entfalten.
HIOBSBOTSCHAFTEN
1967 im Mittelwesten der USA: Larry Gopnik lehrt Physik an der Universität, er steht kurz vor seiner Verbeamtung. Mit seiner Frau und seinen beiden Kindern wohnt er in einem Eigentumshaus in einer gepflegten Vorortsiedlung. Sein Sohn feiert in Kürze seine Bar Mitzwa. Scheinbar ist alles in bester Ordnung. Doch dann bricht nach und nach Gopniks Leben zusammen: Seine Frau will sich von ihm scheiden lassen und stattdessen den um einiges älteren Sy Ableman heiraten. Seine Tochter interessiert sich nur für ihre Haare und das abendliche Ausgehen. Sein Sohn kifft. Durch anonyme Briefe an die Universität wird seine Verbeamtung gefährdet. Sein depressiver Bruder, der vorübergehend im Haus wohnt, belastet zusätzlich das Familienleben. Schließlich nötigt ihn seine Frau, in ein Hotel zu ziehen. Ein Verkehrsunfall ist da nur noch das Tüpfelchen auf dem i. Larry Gopniks Talfahrt erinnert unweigerlich an Hiobs Heimsuchung. Zufall ist das nicht, ist die Geschichte des neuen Films der Coen-Brüder doch tief in einem religiösen Kontext verwurzelt. Die Gopniks sind zwar nicht streng religiös, doch sie sind fest in die jüdische Gemeinde ihrer Heimatstadt integriert. Das führt dazu, dass die Scheidung rituell begangen werden soll – das will zumindest Larrys Konkurrent Sy Ableman. Das führt auch dazu, dass sich Larry nach all den desaströsen Erlebnissen mit dem Rabbi treffen will. Larry will wissen, warum ihm das alles widerfährt. Leider hat der Rabbi keine Zeit und lässt sich von der Vertretung der Vertretung vertreten. Ein Grünschnabel erzählt ihm vom Wunder des Alltags und von der Schönheit des Parkplatzes vor der Tür. Eine recht säkulare Antwort auf die gestellte Sinnfrage, und für Larry Gopnik eine große Enttäuschung. Als er einige Schicksalsschläge später die Vertretung des Rabbis treffen darf, fällt dessen Antwort ähnlich unbefriedigend aus: Der erzählt ihm eine Parabel, deren Sinn er nicht mitliefern kann: „Wir können nicht alles wissen“. Das Oberhaupt der Gemeinde verwehrt ihm bis zuletzt das Gespräch, weil er angeblich beschäftigt ist. Ein Blick durch den Türspalt zeigt ihn regungslos am Schreibtisch. Als aber Larrys Sohn nach seiner Bar Mitzwa vor jenem Oberhaupt steht, zitiert jener eine Zeile aus einem Stück der Band Jefferson Airplane: „When the truth is found to be lies / And all the joy within you dies“.
LUSTVOLLER NIEDERGANG
„A Serious Man“ ist ein in der wunderbar rekonstruierten Kulisse der 60er Jahre ausgesprochen schön fotografierter Film. Im Gegensatz zu dem Vorgänger „Burn after Reading“ ist es auch ein sehr ruhiger und nachdenklicher, existentialistischer Film. Darin ist er eher „No Country for Old Men“ und vor allem „Fargo“ sehr ähnlich. Er ist bei aller Schicksalshaftigkeit aber wesentlich undramatischer und außerdem fast frei von Gewalt. Das ist für einen Coen-Film schon mal beachtlich. Der Humor ist hingegen so düster, wie man es von den Coens erwarten kann. Wenn es so etwas wie jüdischen Humor geben sollte, und dieser historisch bedingt Schmerz in sich trägt, dann schlägt sich das im Film vor allem im lustvoll inszenierten Niedergang von Larry Gopnik nieder. Zu allem Überfluss wird der Figur wie dem Zuschauer jeglicher Trost durch eine übergeordnete Sinnstiftung verwehrt. „And all the joy within you dies“. Die Regisseure hingegen haben ihren Film so sinnvoll wie nur möglich komponiert. Hier ist jeder Dialog geschliffen, der Humor sitzt an der richtigen Stelle wie insgesamt die dramaturgische Komposition so raffiniert wie schlüssig ist. Und trotz dieser Komplexität, der zahlreichen Bedeutungsebenen, Andeutungen und scheinbar sinnlosen Details ist der Film leicht und eingängig. Die Komplexität entfaltet sich erst nach und nach und zu großen Teilen viel später im eigenen Kopf. Abschließend auch da nicht. Doch den Regisseur fragen bringt einen ebenso wenig weiter wie den Rabbi fragen.
„A Serious Man“ ist ein sehr persönlicher Film. Er rekuriert in vielen Punkten auf die Kindheit der Coens und auf ihre Erziehung in einem jüdisch-akademischen Umfeld. Vielleicht ist der Film dadurch ein wenig hermetisch geraten. Kenntnisse des Judentums können beim Verständnis des Films helfen. Aber darin sind sich die Geistlichen im Film und die Coens sicher einig: „Wir können nicht alles wissen“.
(Christian Meyer)
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