All or Nothing
Großbritannien/Frankreich 2002, Laufzeit: 128 Min., FSK 12
Regie: Mike Leigh
Darsteller: Timothy Spall, Lesley Manville, Alison Garland, James Corden, Ruth Sheen, Marion Bailey, Paul Jesson, Kathryn Hunter, Sally Hawkins, Helen Coker, Daniel Mays, Ben Crompton, Robert Wilfort, Gary McDonald, Diveen Henry
Wer ab und zu mit depressiven Phasen zu kämpfen hat, sollte diesen Film meiden. Das ganze Elend einer englischen lower class¹-Familie überrollt den Zuschauer; Hässlichkeit, Aggression und die quälende Tristesse eines Daseins ohne Glück und Perspektive ziehen den Betrachter tief herunter. Mike Leigh, aufrechter Chronist des einschlägigen Milieus ("Nackt", "Lügen und Geheimnisse"), zeigt uns einige Tage aus dem Leben des Taxifahrers Phil und seiner Frau Penny, die als Kassiererin in einem Supermarkt das karge Haushaltsgeld aufbessern hilft. Mit den beiden übergewichtigen Kindern - Rory, dem rumhängenden, immerzu schimpfenden Sohn, und Rachel, der stillen, als Putzfrau im Altenheim arbeitenden Tochter - leben sie in einer der fürchterlichen Vorortsiedlungen, umgeben von alkoholsüchtigen Nachbarn, in einem Klima von Gewalttätigkeit und Ignoranz.Doch halt! Eine solche Schilderung der Verhältnisse verzerrt die Wirklichkeit in ein allzu düsteres, negatives Bild. In der Figur der patenten Nachbarin Maureen wird sichtbar, was in den Sedimentschichten einer solch verformten, vergewaltigten Existenzform noch an Hoffnung, Lebenskraft und Glücksverlangen schlummert. Maureens Tochter Donna ist schwanger, ihr Typ, ein Prachtexemplar von einem miesen, gewalttätigen, verantwortungslosen Mistkerl, lässt sie sitzen. Die gehasste Mutter wird wieder zum Lebensanker für die verzweifelte junge Frau. Und auch als der fettleibige Rory nach einer Prügelei im Hinterhof eine Herzattacke erleidet, ist es Maureens beherztem Eingreifen zu verdanken, dass ihm geholfen wird. Das Ereignis lässt vor allem aber die Beziehung zwischen Phil und Penny, Rorys gefühlskalt und verzweifelt gewordenen Eltern, in der Krise an den Punkt der Selbsterkenntnis kommen. Kann es im falschen Leben ein wahres geben? Gibt es so etwas wie Liebe, wenn man hilflos und ohne Kraft und Mut nur sein Dasein fristet? Stellt sich auch hier, in diesem unwirtlichen Londoner Arbeiterviertel, die Frage des "All or Nothing"? Ja, auch hier, an diesem Ort, stellt sich die schmerzliche Alternative zwischen den halbherzigen Kompromissen des Lebens und der Bedingungslosigkeit eines ununterdrückbaren Anspruchs auf Glück. Mike Leighs Meisterschaft besteht darin, dieses Spannungsfeld in seiner ganzen Gegenwärtigkeit und schrecklichen Schärfe sichtbar und spürbar zu machen. Gut, dass es aufmerksame, unbestechliche Realisten des Kinos wie ihn gibt, die uns als Zeugen eines Gesellschaftszustandes aufrufen, dessen Konfliktpotential ungeheuerlich ist.
(Heinz Holzapfel)
Bühne für den Filmnachwuchs
„Eat My Shorts“ in der Stadthalle Hagen – Foyer 11/24
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
„Mir wurden die Risiken des Hebammenberufs bewusst“
Katja Baumgarten über ihren Film „Gretas Geburt“ – Foyer 11/24
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Liebe und Macht
choices preview zu „Power of Love“ in der Filmpalette – Foyer 10/24
Schnitte in Raum und Zeit
Die 24. Ausgabe des Festivals Edimotion in Köln ehrt Gabriele Voss – Festival 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
Die hemmungslose Leinwand
Sexualität im Kino – Vorspann 10/24
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24
„Zuhause sehnen wir uns nach der Ferne...“
Kuratorin Joanna Peprah übers Afrika Film Fest Köln – Festival 09/24
Kurzfilmprogramm in der Nachbarschaft
„Kurzfilm im Veedel“ zeigt Filme zu aktuellen Themen in Köln – Festival 09/24
Afrikanisches Vermächtnis
Das 21. Afrika Film Festival widmet sich dem Filmschaffen des Kontinents – Festival 09/24
Sorge um die Filmkultur
Veränderungen und Einsparungen stehen vor der Tür – Vorspann 09/24
Disziplin, Drill und Durchlässigkeit
„Mädchen in Uniform“ im Filmforum – Foyer 08/24
Volles Programm(heft)
40-jähriges Jubiläum der Internationalen Stummfilmtage Bonn – Festival 08/24
Sommer-Endspurt
Humor und Weltrettung für Jung und Alt – Vorspann 08/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Queere Menschen in Polen
„Boylesque“ im Filmhaus – Foyer 07/24
Pssst!
Zu Spoilern, Prequels und Remakes – Vorspann 07/24
Ein Fest des Kinos
Die Kölner Kino Nächte präsentieren an 4 Tagen knapp 50 Filme – Festival 07/24
„Es geht um Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft“
Regisseurin Natja Brunckhorst über „Zwei zu eins“ – Gespräch zum Film 07/24
Der Tod, der uns verbindet
NRW-Premiere von Eva Trobischs „Ivo“ – Foyer 06/24
Die schwierige Situation in Venezuela
„Das Land der verlorenen Kinder“ im Filmhaus – Foyer 06/24