Der goldene Handschuh
Deutschland 2019, Laufzeit: 110 Min., FSK 18
Regie: Fatih Akın
Darsteller: Jonas Dassler, Philipp Baltus, Dirk Böhling
>> www.warnerbros.de/kino/der_goldene_handschuh.html
Horrorfilm basierend auf den Morden von Fritz Honka
Schnaps für alle
„Der goldene Handschuh“ von Fatih Akin
Nachdem Fritz Honka (Jonas Dassler) mehr oder weniger halbherzig seine erste Leiche entsorgt, springt der Film vier Jahre weiter ins Jahr 1974, um einzutauchen in den Dunst der Spelunke „Der goldene Handschuh“ auf der Reeperbahn, dem Herz des Viertels, dort, wo die einsamen Verlierer in Eintracht das teilen, was ihnen noch geblieben ist: den Alkohol. Wie schon in Heinz Strunks Roman, hat das zuerst einmal durchaus humorvolle Reize, wenn sich Doornkaat-Max (Hark Bohm), Soldaten-Norbert, Tampon-Günther und Nasen-Ernie zuprosten. Namen wie aus einem Film von Helge Schneider, und vergleichbar skurril geht es dort auch zu. Am Ende jedoch klappt man den Roman angeekelt zu und verlässt den Kinosaal voll Abscheu. Von daher darf Fatih Akins Adaption Werktreue attestiert werden.
Buch und Film erzählen von dem vierfachen Frauenmörder Fritz Honka (1935-98). Oder besser: Sie erzählen von einem Alkoholiker um die 40, der bedenklich verwahrlost zwischen Playmate-Tapete, Schnaps und Schlager in seiner Bude hinvegetiert. Der des Tags in einer Fabrik kehrt und des Nachts im Goldenen Handschuh versucht, Frauen zu angeln. Der Köder, den er auswirft, ist der Schnaps, den er daheim vorrätig hat. Sind die abgehalfterten Frauen bei ihm, nimmt der Trieb seinen Lauf und Fritz fordert das ein, wonach ihm giert, und das zur Not mit Gewalt. Erektionsprobleme seinerseits und Lustlosigkeit seines Damenbesuchs führen dann wiederholt zur Bluttat mit Todesfolge und nachfolgender, improvisierter Leichenbeseitigung und sorgloser Tatortreinigung (Duftbäume).
Vorlage und Verfilmung schildern das Leben und die Taten des Fritz Honka sehr anschaulich. Das lässt genreaffine Kinobesucher sicherlich aufhorchen. Beide Formen aber verzichten auf das Täterprofil. Man erfährt, dass Honkas Vater im KZ war, dass er neun Geschwister hat und nur noch Kontakt zu seinem Bruder Siggi, dass er aus Leipzig stammt, schielt und eine recht archaische Einstellung hat zur Liebe. Was genau in ihm vorgeht, bleibt schleierhaft. Genau das wird dem Film nun vorgeworfen, und das insofern zu recht, als dass er einen auf Distanz hält und man lediglich szenisch Zeuge ist von Mordtat zu Mordtat.
Nun heißen Film und Buch nicht „Fritz Honka“, sondern „Der goldene Handschuh“, und beide vermitteln entsprechend tiefere Einblicke ins Milieu als in den Seelenzustand des Frauenmörders. Fesselnd aber ist das nicht. Akin macht dabei immerhin eine Sache besser als die Vorlage: Heinz Strunk dichtete Honkas Geschichte noch eine Parallelhandlung an, in der ein Triebtäter aus dem Bürgertum seinem Umfeld ordinär zusetzt. Das wirkte aufgesetzt, als wollte Strunk zwanghaft sagen: Seht her, derlei Abschaum sitzt nicht bloß ganz unten!
Nein, Akin bleibt nah bei Honka. Aber zugleich nicht nah genug. Was bleibt, ist Milieukolorit und Ekel. Und das ist zu wenig für einen guten Film. Und es ist viel zu wenig für den Hauptwettbewerb um den Goldenen Bären, in den sich Fatih Akin hiermit einreihen konnte.
(Hartmut Ernst)
Kino als Empathie-Maschine
Warum wir Kino in Zukunft mehr brauchen denn je – Vorspann 01/25
Stark durch Solidarität
„Billige Hände“ im Filmhaus – Foyer 12/24
Übers Ankommen in Deutschland
„Zwischen Sein und Nichtsein“ von Leocadie Uyisenga – Film 12/24
Toleranz zum Jahresende
Mit Kino zu mehr Empathie finden – Vorspann 12/24
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
„Mir wurden die Risiken des Hebammenberufs bewusst“
Katja Baumgarten über ihren Film „Gretas Geburt“ – Foyer 11/24
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Liebe und Macht
choices preview zu „Power of Love“ in der Filmpalette – Foyer 10/24
Schnitte in Raum und Zeit
Die 24. Ausgabe des Festivals Edimotion in Köln ehrt Gabriele Voss – Festival 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
Die hemmungslose Leinwand
Sexualität im Kino – Vorspann 10/24
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24
„Zuhause sehnen wir uns nach der Ferne...“
Kuratorin Joanna Peprah übers Afrika Film Fest Köln – Festival 09/24
Kurzfilmprogramm in der Nachbarschaft
„Kurzfilm im Veedel“ zeigt Filme zu aktuellen Themen in Köln – Festival 09/24
Afrikanisches Vermächtnis
Das 21. Afrika Film Festival widmet sich dem Filmschaffen des Kontinents – Festival 09/24
Sorge um die Filmkultur
Veränderungen und Einsparungen stehen vor der Tür – Vorspann 09/24
Disziplin, Drill und Durchlässigkeit
„Mädchen in Uniform“ im Filmforum – Foyer 08/24
Volles Programm(heft)
40-jähriges Jubiläum der Internationalen Stummfilmtage Bonn – Festival 08/24
Sommer-Endspurt
Humor und Weltrettung für Jung und Alt – Vorspann 08/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Queere Menschen in Polen
„Boylesque“ im Filmhaus – Foyer 07/24
Pssst!
Zu Spoilern, Prequels und Remakes – Vorspann 07/24
Ein Fest des Kinos
Die Kölner Kino Nächte präsentieren an 4 Tagen knapp 50 Filme – Festival 07/24