Der Vater meiner Kinder
Frankreich 2009, Laufzeit: 112 Min., FSK 12
Regie: Mia Hansen-Løve
Darsteller: Chiara Caselli, Louis-Do de Lencquesaing, Alice de Lencquesaing
Drama über einen Herzblut-Filmproduzenten
Kino, Liebe, Tod
„Der Vater meiner Kinder“ von Mia Hansen-Løve
Der Filmproduzent Grégoire Canvel engagiert sich mit seiner Produktionsfirma idealistisch für kleine Independentfilme. Doch das finanzielle Risiko wird immer größer. Als die Insolvenz unabwendbar scheint, bringt er sich um. Bei der Erstausstrahlung von Jean Luc Godards Fernsehfilm „Glanz und Elend eines kleinen Kinounternehmens“ im Jahr 1987 erklärt der Moderator des WDR in der Anmoderation – derartige cineastische Kommentare gab es in den 80er Jahren noch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen – „Godard geht es um den Tod des Kinos – und was danach kommt“. Godard hatte für eine TV-Serie in eine billige Verfilmung eines Krimis eingewilligt. Stattdessen realisierte er aber einen Film, der die Schwierigkeit zeigt, mit dem wenigen Geld eine interessante Verfilmung zu machen.
Der Tod
Auch Grégoire Canvel produziert gute Filme für wenig Geld. Die Hauptfigur in Mia Hansen-Løves „Der Vater meiner Kinder“ ist ein gut aussehender, sympathischer Endvierziger, der seine Frau und seine drei Töchter liebt. Und er ist das Gegenteil des Klischee-Produzenten, der die Kunst unter das Joch des Geldes stellt. Den Führerscheinentzug wegen wiederholter Geschwindigkeitsüberschreitung nimmt er scheinbar ebenso gelassen hin wie die Probleme im Büro seiner kleinen Produktionsfirma. Hier gibt es Ärger mit dem exzentrischen skandinavischen Regie-Genie, dort führt sich ein Hauptdarsteller auf wie eine Diva, Geld fehlt überall. Doch Canvel kalkuliert die Projekte nicht mit dem Taschenrechner in der Hand. Er liebt das Kino, und wenn ein von ihm hoch geschätzter, wenngleich allgemein verkannter Regisseur mehr Drehtage benötigt, dann versucht er, das Unmögliche möglich zu machen. Selbst wenn ihm klar ist, dass die Einspielergebnisse wieder einmal katastrophal sein werden. Es wundert kaum, dass das Geld immer knapper wird, die Schulden immer höher. Canvel lässt sich nichts anmerken, gibt weiterhin den optimistischen Chef und versucht, seiner Frau und seinen drei Töchtern ein guter Mann und Vater zu sein. Bis die letzte Hoffnung auf einen neuen Kredit zusammenbricht und die Firma insolvent ist. Da erschießt sich Grégoire Canvel.
Auch Godards Film endet mit dem Tod des verschuldeten Produzenten. Im Gegensatz zu dessen fiktiver Karikatur einer kleinen Produktionsfirma ist „Der Vater meiner Kinder“ eine ernsthafte Hommage an den Filmproduzenten Humbert Balsan, der Filme von Claire Denis produziert hat und Koproduzent von Lars von Triers „Manderlay“ war. Er wollte auch Mia Hansen-Løves Debüt „Tout est pardonné“ produzieren – sein Selbstmord kam dem zuvor. „Der Vater meiner Kinder“ ist aber nur vage an das Leben von Humbert Balsan angelehnt. Vielmehr nimmt Hansen-Løve das Schicksal Balsans zum Anlass, die ökonomischen Bedingungen des unabhängigen Filmemachens zu beleuchten. Andererseits widmet sie sich ebenso eindringlich dem menschlichen Verlust, der Trauer und deren Überwindung. Beides – die künstlerische/ökonomische und die persönliche/private Perspektive sind in ihrem Film eng miteinander verschränkt.
Die Widergeburt
Hansen-Løves Kino ist emotional, ohne melodramatisch zu sein, es ist ernst, ohne schwer zu sein, und es ist intelligent, ohne spröde zu sein. Die Regisseurin erzählt so beiläufig vom Leben des Produzenten zwischen Beruf und Familie, dass trotz der sich zuspitzenden Krise der Freitod für den Zuschauer so unerwartet kommt wie für Canvels Umfeld. Die Kunst liegt im leisen Tonfall des Films. Hansen-Løve beobachtet unglaublich präzise die Kleinigkeiten des Alltags und zeigt doch stets vielsagende Momente. Die Regisseurin arbeitet mit Schauspielern wie mit Laien, mit Drehbuch wie mit Improvisation. Dadurch entsteht ein Gefühl, als würde man den Figuren des Films in zufälligen Begegnungen näherkommen, sie langsam kennenlernen. Dieses Gefühl des Zufälligen erwächst zudem aus einer ungewöhnlichen Perspektive. Sowohl Beginn und Ende der einzelnen Szenen als auch der Rahmen des gesamten Films wirken, als seien sie verrutscht. Die Szenenausschnitte erscheinen nicht pointiert, und doch erzählen sie so viel. Der Tod Canvels ist weder nur tragisches Ende einer Entwicklung, noch ist er nur Auslöser für etwas Neues: Der Tod steht in der Mitte der Ereignisse – es gibt ein Davor und ein Danach. Der Zuschauer lernt Canvel kennen und schätzen, und er muss dann genau wie dessen Familie lernen, den Verlust zu überwinden und zurück ins Leben zu finden.
„ der Tod des Kinos, und was danach kommt“: Mia Hansen-Løve zeigt mit ihrem erstaunlich stilsicheren Film, dass man sich zumindest ästhetisch um die Zukunft des Kinos keine Sorgen machen muss. Die erst 29jährige Regisseurin wirkt mit ihrem unscheinbaren und dennoch eigenwilligen Stil so selbstsicher, wie Godard mit „Außer Atem“, seinem unvergessenen Debüt 50 Jahre zuvor. Godards Fernsehfilm von 1986 ist hingegen ein längst vergessener Kommentar zum Kino aus einer anderen Zeit. Im Internet findet man gerade mal den Titel gelistet, eine DVD gibt es nicht. Für diese Rezension die angestaubte VHS-Aufnahme auszugraben, mutete wie ein archäologisches Unterfangen an. Mia Hansen-Løves Kommentar ist ebenso unprätentiös wie Godards Fernsehfilm, wird aber hoffentlich im Kanon der Filmgeschichte einen festen Platz erhalten. Es ist ein großer Film über die Liebe zum Leben und zum Kino.
(Christian Meyer)
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