Die große Depression
Deutschland 2005, Laufzeit: 92 Min., FSK 0
Regie: Konstantin Faigle
Darsteller: Prof. Dr. Holsboer, Anselm Grün, Walter Jens, Jürgen Leinemann
Depression ? na und?
juggernaut (162), 06.09.2005
Wenn Filmer und Hauptfigur Faigle nach seinem Besuch im Goethehaus in Weimar in Szene setzt, wie nicht nur zwei, sondern mindestens ein Dutzend miteinander im Widerstreit liegende Seelen in seiner Brust wohnen, ist das nicht nur lustig, sondern scheint tatsächlich etwas von der Zerrissenheit im ?deutschen Wesen? zu erhellen. Aber ist diese Zerrissenheit wirklich exklusiv deutsch? Alles in allem ist man nach diesem collagen- und sprunghaften deutschen Depressions-Potpourri durchaus so klug als wie zuvor. Das liegt möglicherweise auch daran, dass der Film sehr viel Abwechslung bieten will ? man könnte auch etwas böswillig sagen, beliebig von einem Ort oder Thema zum nächsten springt ? um seinen zentralen Gegenstand ?Die Deutsche Depression? von allen möglichen Seiten und Perspektiven her komödiantisch zu beleuchten: Ist sie ?typisch deutsch?? Also quasi ?genetisch bedingt?? Oder vielleicht doch eher ?geographisch bedingt?, weil wir nicht weit genug südlich liegen, also weniger Sonnenstunden als die ?immer lustigen? Italiener abkriegen? Und was denken eigentlich ausländische Touristen über die schwermütigen deutschen Jammerlappen? Sehr komisch, dass eine von Faigle in Rüdesheim (oder war?s am ?Deutschen Eck? in Koblenz?) befragte Asiatin sich darüber beklagt, die Deutschen seien viel ?arroganter? als etwa Briten und Franzosen. Da werden die Franzosen aber mächtig beleidigt sein, gewinnen sie doch normalerweise bei Umfragen in der Arroganz-Kategorie immer haushoch. Ebenfalls nicht schlecht die beiden britischen Touristinnen, die anmerken, dass die Deutschen immer so steif seien und erst nach ein paar Bier zugänglicher würden. Gibt?s da nicht diesen uralten Witz von den beiden Briten, die auf einer einsamen Insel strandeten und nie ein Wort miteinander wechselten, weil sie einander nicht vorgestellt worden waren? Also, ich wage mal zu behaupten, dass nationale Stereotype und Klischees ? zumindest innerhalb desselben Kulturkreises, in diesem Fall Europa ? ziemlich austauschbar sind. Sooo groß ist der Unterschied zwischen (manisch-depressiven) Deutschen, (förmlich-steifen) Briten und (arroganten) Franzosen wahrscheinlich gar nicht...Wie dem auch sei, Faigles froher Botschaft, dass wir uns alle ein bisschen lockerer machen sollten statt immer so gründlich und perfektionistisch (deutsch) an die Dinge des Lebens heranzugehen, ist natürlich grundsätzlich zuzustimmen: ?Deutsche, hört auf zu jammern!?
Unterm Strich ist ?Die große Depression? denn auch ein allemal sehenswerter Versuch der Annäherung an ein vermeintlich typisch deutsches Phänomen. Mitunter ein wenig anstrengend, auch bedingt durch gelegentliche Wechsel der Erzählform z.B. zum Märchen, Ritter- oder Puppenspiel; eine Musical-Einlage darf ebenfalls nicht fehlen. Und der ?kleinen Depression?, soll heißen seiner privaten, persönlichen Geschichte, hat der Filmemacher für meinen Geschmack zu viel Platz eingeräumt. Das wird aber durch eine Menge witziger und fast ebenso vieler unfreiwillig komischer Originaltöne, die er auf seiner Deutschlandreise eingefangen hat, mehr als wettgemacht.
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Weitgehend ausgespart hat Faigle in seinem Film die Rolle der Medien. Das war nicht sein Thema und soll ihm deswegen auch überhaupt nicht vorgeworfen werden. Es wäre allerdings schon schön, wenn sich mal jemand die Mühe machen würde zu untersuchen, inwieweit gewisse Medien nicht nur als Resonanzboden und Verstärker der ?Großen Depression? gewirkt, sondern sie auch bewusst und interessegeleitet herbeigeschrieben und -gesendet haben. Ein solcher Film (oder Text) müsste dann wohl eher heißen: ?Die große Manipulation?.
absolut sehenswert
JocMet (6), 03.09.2005
...das hat echt noch gefehlt - im positiven Sinn - kein tristes Portrait, sondern eine ironische, skurrile, liebevolle Bestandsaufnahme zum Zustand "deutsche Seele". Jammernde Ossis in Leipzig kommen genauso zu Wort, wie japanische Touristen in Rüsselsheim. Alice Schwarzer wird befragt, genauso wie Walter Jens. BuKa Schröder wollte nicht, Ober-Volksverdummer Diekmann auch nicht - spricht für sich...
Unterwegs mit König Ludwig und Barbarossa hält Faigle den Deutschen den Spiegel vor und geht auch mit seinem eigenen Deutschsein hart ins Gericht.
Nicht zuletzt souverän in der Inszenierung, läuft der Film auf des Regisseurs privates Schicksal hin: er wird am Ende (echt!) Vater einer Tochter. Und legt Deutschland die Zukunft so gleich symbolisch in die Wiege.
Super Film, dat!
www.plotpoint.net
Deutschland braucht einen König
otello7788 (554), 01.09.2005
Wenn andere einen Selbstversuch in McDonalds Ernährung starten, so begibt sich Faigle in ähnliche Situationen. Er erforscht das deutsche Wesen, also einen nicht unerheblichen Teil seiner selbst. Ihm bei der Demo im Osten zuzusehen "Deutsche hört auf zu jammern!" oder beim Versuch in der "unglücklichsten" Stadt Deutschlands - Dessau - ein Werbevideo für "einmal richtig jammern-kommen Sie nach Dessau!" zu verkaufen, ist reinstes Vergnügen.
Unter anderem diese beiden Highlights lassen die ein oder andere nicht so zwingende Passage des Films problemlos überstehen.
Absolut sehenswerte Dokusatire!
www.das-positiv.de
Montags in Leipzig
Colonia (683), 21.08.2005
Konstantin Faigles Film ist aktueller als jeder andere. Er handelt nämlich von der kollektiven deutschen Depression. Und er geht ihr satirisch-frech in Dokumentarform nach.
Faigles Real- und Regal-Komödie "Out of Edeka" (2002) fand bereits ein recht großes Echo. In "Die große Depression" ist Faigles Stil wieder deutlich zu erkennen. Sicher darf man von ihm in Zukunft noch einiges erwarten. Oft erinnert sein Stil an das Vorbild Michael Moore. Zumal dann, wenn er sich in moore'scher Manier in Leipzig unter Hartz-IV-Demonstranten mischt und per Spruchband fordert: "Deutsche hört auf zu jammern!".
Seine Gesprächspartner im Film, seien sie nun prominent oder nicht, tragen mehr oder minder zur Beantwortung der Frage bei, warum die Deutschen so schwermütig sind. Er geht der Frage mal wissenschaftlich, mal humorvoll nach. Klischees werden nicht ausgespart, sondern genüsslich ausgewalzt. Faigle befragte Koriphäen wie Pater Anselm Grün, Alice Schwarzer, Walter Jens und Vera F. Birkenbihl. Letztere, als Autorin und Kommunikationstrainerin zu Ruhm, mir unverständlicher Ehre und ziemlich viel Geld gelangt, ist übrigens für einige Lacher gut.
Faigles oft ins Absurde reichende Humor, trocken und unangekündigt aus der Hüfte geschossen, tragen diesen Film. Hier vermischen sich auf geniale Weise Real- mit Spielszenen.
Kurzweilig, interessant und selbstironisch. Anschauen lohnt!
www.dieregina.de
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