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Die innere Sicherheit

Die innere Sicherheit
Deutschland 2000, Laufzeit: 115 Min.
Regie: Christian Petzold
Darsteller: Julia Hummer, Barbara Auer, Richy Müller, Bilge Bingül, Günther Maria Halmer, Katharina Schüttler, Rogério Jaques, Maria Joao, Vasco Machado, Noberto Paula

Ehemalige Untergrundkämpfer sind wohl die letzten, die heute noch die Frage aufzuwerfen wagten, was der Sinn ihrer damaligen Aktionen gewesen sei, genauer, ob unter spezifischen Umständen ein bewaffneter Widerstand gegen einen Machtstaat legitimierbar sei. Die Frage wird auch von Petzold gleichsam nur sprachlos verkörpert durch das wurzellos durch Europa gehetzte einstige "Terroristen"-Paar, welches sich immer noch nicht einverstanden erklären kann mit all denen, die sich den neuen Umständen einfach fügen und ihre ehemaligen Ideale kommentarlos verleugnen, wenn nicht verlachen.

Allein dieser Frage wegen ist der Film schon sehenswertes, ja notwendiges Dokument, das an das eklatante Manko einer Untergrund-Theorie bis heute erinnert. Nennen wir auch gleich seine Schwäche: damit ist des politischen Hintergrundes auch schon Genüge getan. Petzold widmet sich vor allem den psychologischen Leiden der Verfolgten. Filmstilistisch bleibt er mehr dem aktionsgeladenen Fluchtfilmgenre verpflichtet, als dass er dem Thema der unmöglichen Reue weiter nachginge.

Die Fluchtwege des Paares sind von Eifersüchteleien nicht frei. Vor allem aber die Paranoia gegenüber dem noch übermächtiger und verschwörerischer scheinenden Staat bestimmen Petzolds Optik. In einer der lange nachwirkenden Schlüsselszenen steigt der Verfolgte an einer Strassenkreuzung mit erhobenen Armen aus dem Wagen, da er sich entgültig gestellt meint. Petzold verdichtet die Atmosphäre des pausenlosen Aufschreckens zu immer wieder eindringlichen Bildern. Entscheidens ist, dass Petzold in die traumatische Flucht und Überlebenskampf noch ein anderes Thema mischt: Unschuld. Das Fluchtpaar beging einst den unverzeihlichen Fehler Nachkommenschaft zu zeugen. Ihre Tochter führt seitdem ein Leben, das nie auch nur in die Nähe üblicher Freunden und Leiden von Kindern und Teenagern kam. Ständig auf der Flucht, ohne Freunde und Vertraute, im Dauerzustand eines quasi sektiererischen Zwangsbündnisses mit ihren Eltern, öffnet sich für die junge Frau plötzlich die Möglichkeit, sich zu verlieben. Eine tödliche Zerreisprobe der Gefühle und Verantwortungen beginnt. Sie muss sich die unmenschliche Frage stellen, was mehr Sinn macht: das Überleben ihrer Eltern, die an ein ihr fernes Ideal glauben, oder die Möglichkeit einer Liebe, eines neuen, fordernden Vertrauens. Eine derart scharf konturierte, tragische Situation in klonierenden Zeiten zu inszenieren ist mehr als beachtlich. (DIETER WIECZOREK, CHOICES)

Manchmal ist das Kino doch erschreckend nahe an der Wirklichkeit, kommentiert fast prophetisch das Zeitgeschehen. Konnte man bei Volker Schloendorffs "Die Stille nach dem Schuss" noch eine gewisse Distanz aufbauen, weil er uns in die jüngste Vergangenheit der beiden deutschen Staaten und ihre geradezu aberwitzigen "Berührungspunkte" entführte, so wirkt Christian Petzolds "Die Innere Sicherheit" wie ein filmischer Kommentar zur aktuellen Diskussion um die Rolle unseres Außenministers zu seiner "revolutionären" Studentenzeit. Nur dass Petzolds Protagonisten nicht den Weg zurück in den Schoss der Gesellschaft gefunden haben.

Sein Terroristenpärchen Clara (Barbara Auer) und Hans (Richy Müller) ist seit 15 Jahren auf der Flucht, ist zur Zeit in einem kleinen portugiesischen Badeort untergetaucht. Als ihre Tochter Jeanne (Julia Hummer) am Strand von einem Fremden ausgehorcht wird, ahnen wir das Unheil heraufziehen, Obwohl der Mann sich als ein ganz gewöhnlicher Dieb auf "Erkundungstour" entpuppt, fördert der kurz darauf stattfindende Einbruch in ihr Appartement ihre gefälschte Identität zu Tage. Die kurz bevorstehende Auswanderung nach Brasilien rückt in weite Ferne. Und so landen sie wieder in Deutschland, schlüpfen in einer leerstehenden Hamburger Villa unter, deren Adresse Jeanne von ihrer deutschen Urlaubsbekanntschaft Heinrich (Bilge Bingül) hatte. Als die beiden sich ineinander verlieben gerät die "innere Sicherheit" des auf Verdeih und Gederb zusammengeschweißten Familienverbundes ausser Kontrolle und die Tragödie nimmt ihren tödlich endenden Verlauf. In streng komponierten, meist in kaltes Blau getauchten Bildern (Kamera: Hans Fromm) entdeckt Petzold die "Langsamkeit der Spannung": grandios jene Szene, in der auf einer Kreuzung sich von jeder Seite eine schwarze Limousine Hans Auto nähert´und der schon mit erhobenen Händen aussteigt, um sich dann einer ganz normalen (Verkehrs-)Situation gegenüberzusehen. Da sind die Gedanken an Hitchcocks Suspence-Künste nicht fern, während Hrun Farockis präzis entwickeltes Drehbuch immer die Balance zwischen Politthriller und Familien-Drama hält.

Kein Satz zuviel, keine überflüssige Geste gestattet es seinen Figuren, die besonders von Barbara Auer und Richy Müller mit einer ungeheueren Leinwandpräsenz ausgestattet werden. Auch die Neuentdeckung des jungen deutschen Kinos ,Julia Hummer ("Absolute Giganten", "Crazy") reiht sich nahtlos ins beeindruckende Ensemblespiel ein, muss aber immer ein wenig zurückstecken, weil ihr Bilge Bingül schauspielerisch nicht folgen kann. In der dramaturgischen Entwicklung seiner Figur offenbart sich auch die einzige Schwäche des Films, der selbst da zur Höchstform aufläuft, wo der deutsche Film ansonsten am ehesten kränkelt:beim Soundtrack . Stefan Wills minimalistische Kompositionen drängen sich selbst in gefühlsbetonten Szenen nie in den Vordergrund und erlauben so dem Zuschauer jederzeit emotional Abstand zu halten und sich ganz freiwillig der von innen heraus entwickelten Spannung anzuvertrauen. Und hat man sich erst einmal in diesen Sog begeben, erlebt man ein Kino, von dem man sich fragt, wo es sich so lange in unserer Filmlandschaft verteckt hat: der deutsche Film kann kaum besser werden.
(ROLF-RUEDIGER HAMACHER, CHOICES)

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