Die Mitte der Welt
Deutschland, Österreich 2016, Laufzeit: 115 Min., FSK 12
Regie: Jakob M. Erwa
Darsteller: Inka Friedrich, Louis Hofmann, Sascha Alexander Gersak, Thomas Goritzki
>> mitte-der-welt-film.de
Phantasievolle Verfilmung des Steinhöfel-Jugendromans
Ganz normal schwul
„Die Mitte der Welt“ von Jakob M. Erwa
Interview mit Hauptdarsteller Louis Hofmann
„Vielleicht ein bisschen schwuler als andere, aber ansonsten Standardausstattung.“ So beschreibt sich der 17-jährige Phil (Louis Hofmann) zu Anfang selbst. Und Recht hat er damit, durchgeknallt sind nämlich die anderen. 1998 lag etwas Neues, Befreiendes in der Selbstverständlichkeit, mit der Andreas Steinhöfels Jugendroman „Die Mitte der Welt“ von den Wirren einer schwulen ersten Liebe erzählte. Nun verfilmt Drehbuchautor und „Heile Welt“-Regisseur Jakob M. Erwa den Bestseller - und schafft das Kunststück, die komplexe Geschichte so für die Leinwand zu komprimieren, dass ihr Kern intakt bleibt.
Der melancholische Mix aus Familiendrama, Romanze und Coming-of-Age erzählt fast durchgehend aus Phils Perspektive. Davon, wie er und seine Zwillingsschwester Dianne (Ada Philine Stappenbeck) schon immer zu leiden hatten unter dem Fehlen eines Vaters und ihrer unangepassten Mutter Glass (Sabine Timoteo), die mit ihren wechselnden Männergeschichten eine ganze Kleinstadt auf Trab hielt. Wie Phils Freundin Kat (Svenja Jung) sich mit wechselnden Haarfarben und großer Klappe gern als schrilles Miststück inszeniert, aber immer für Phil da ist, wenn zu Hause mal wieder Kalter Krieg herrscht. Und wie der hübsche Klassenneuling Nicholas (Jannik Schürmann) zwar Sex mit Phil will, oft und gern, aber über Gefühle reden auf gar keinen Fall. Entwaffnend träumerisch gibt sich die erste Filmhälfte der schwierigen Romanze zwischen Phil und Nicholas hin. Um den hormonellen Überschwang zu verbildlichen, schreckt Erwa nicht mal davor zurück, schon mal nah auf das wild schlagende Herz in Phils Brustkorb zu halten oder ein ganzes Klassenzimmer bei Nicholas‘ Eintritt in glühendes Herzblutrot zu tauchen. Mit der Zeit aber kommt dann doch der Ernst des Lebens ins Spiel. Die Konflikte, die in Phils Familie gären, drängen in den Vordergrund. Geraume Zeit bleibt das spannend, weil der Film den Zuschauer zusammen mit Phil lange im Unklaren lässt, welches dunkle Geheimnis an der Eiseskälte zwischen seiner Mutter und Schwester schuld ist. Und weil Dianne mit den Kennzeichen einer potenziell bedrohlichen Mystery-Figur ausgestattet wird, nächtliches Verschwinden und seltsame Vorfälle mit Insekten und Hunden inklusive.
Ein paar harsche Stilbrüche sind das, die das auf mehreren Erzählebenen spielende Drehbuch ins Chaos stürzen könnten, wären da nicht die durchweg großartigen Schauspieler. Allen voran Louis Hofmann, der ja auch schon in „Freistatt“ und „Unter dem Sand“ durch diese ihm eigene, ganz spezielle Verletzlichkeit auffiel. Insgesamt thematisiert „Die Mitte der Welt“ Sujets wie Anderssein, Homosexualität und eine traumatische Kindheit so locker und zugleich sensibel, wie das bis heute längst nicht jedem Teeniefilm gelingt. Man kann also Andreas Steinhöfel ruhig glauben, der über den Film schreibt: „Es ist alles drin, drum und dran, was mir wichtig ist und was Fans des Romans erwarten werden.“
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