Die Wand
D/A 2012, Laufzeit: 108 Min., FSK 12
Regie: Julian Roman Pölsler
Darsteller: Martina Gedeck, Karl Heinz Hackl, Ulrike Beimpold, Hans-Michael Rehberg, Julia Gschnitzer
>> www.diewand.studiocanal.de
Psychodrama vor Naturkulisse
Auslöschung. Ein Zerfall
„Die Wand“ von Julian Roman Pölsler
Noch ein Endzeitfilm im Apokalypsenjahr 2012. Doch „Die Wand“ ist kein Katastrophenspektakel, es ist ein ruhiges Ein-Personen-Stück: Ein Mercedes-Cabriolet rast über die Kurvenstraßen der Alpen. Ein älteres Ehepaar sitzt vorne, hinten teilen sich eine Frau und der Hund des Paares die Sitzbank. Aus den Boxen schallt laut Musik. Der Wagen biegt in ein kleines Tal ein, ein Schotterweg bringt die vier zu einer kleinen Hütte. Nach dem Einzug in die Hütte macht sich das Paar auf den Weg ins Wirtshaus im Dorf, die Frau und der Hund bleiben zurück. Als sie am nächsten Morgen alleine in der Hütte aufwachen, machen auch sie sich auf den Weg ins Dorf. Doch eine glatte, kalte, unsichtbare Wand versperrt ihnen den Weg. Die Frau ist geschockt – zu verstehen ist die Situation nicht. In den nächsten Tagen umkreist sie das Terrain, aber überall stößt sie irgendwann auf die Wand. Nach einiger Zeit fügt sie sich in ihr Schicksal und beginnt zu tun, was getan werden muss: Sie sät, sie erntet, sie jagt – und auch einige Haustiere laufen ihr zu. All das dokumentiert sie in einem Bericht, den vielleicht außer ihr niemals jemand lesen wird.
Die Ursache. Eine Andeutung
Julian Roman Pölsler hat sich schon lange Zeit mit der Verfilmung von Marlen Haushofers (1920-1970) Roman „Die Wand“ von 1963 beschäftigt. Den Roman zeichnet eine Schlichtheit und Klarheit aus, die man im Zusammenspiel mit einer gedanklichen Kälte und Härte durchaus von österreichischen Künstlern kennt, seien es SchriftstellerInnen wie Elfriede Jelinek oder Thomas Bernhard oder Regisseure wie Michael Haneke oder Ulrich Seidl. Im Gegensatz zu diesen erlebte Haushofer, die unter stetem Verzicht ein kleinbürgerliches Leben lebte, nur kleinere Erfolge. Die breite Würdigung ihres Werkes, ausgehend von dem gesteigerten Interesse der Frauenbewegung an ihren Texten, erlebte die 1970 an Krebs gestorbene Literatin nicht mehr. Umso erfreulicher ist die späte Würdigung ihres wohl bekanntesten Buchs „Die Wand“ mit einer Verfilmung, die wohl ganz im Sinne der Autorin sein dürfte. Julian Roman Pölsler ist vornehmlich Fernsehregisseur. So hat er bislang vier Polt- und zwei Daniel Käfer-Romane von Alfred Komarek verfilmt. Mit Literaturverfilmungen kennt er sich also aus. Doch „Die Wand“ ist ein ganz anderes Kaliber: eine einzige Darstellerin, fast nur innerer Monolog, kaum Ereignisse. Das kann leicht schiefgehen.
Pölsler geht behutsam mit dem Stoff um. Das fantastische Moment der Geschichte umreißt er ganz schlicht mit einer pantomimischen Darstellung. Nur eine kleine Nuance auf der Tonspur – ein Brummton hier, das Ausbleiben der Umgebungsgeräusche dort – deutet die unsichtbare Abgeschlossenheit der Protagonistin an. Die in den Film eingeflossenen Textpassagen des Buchs kommen gänzlich aus dem Off. Gerade dieses Stilmittel kann auf Dauer bemüht, gekünstelt klingen, und den Zuschauer von der Empathie zur Person wegtragen. Hier ist das Gegenteil der Fall. Martina Gedeck schafft es nicht nur, die Nüchternheit der Vorlage mit ihrem Spiel zu wahren – Pathos fühlt man im Angesicht ihres Robinson-Schicksals nicht. Gleiches gelingt ihr auch auf der Tonebene mit dem eingesprochenen Text, der wie im Buch als von der Figur verfasster Bericht von den Ereignissen erzählt. Es gibt noch weitere Tonebenen, die Pölsler ebenfalls als Off-Kommentar verstanden wissen möchte. Da wäre zum einen die sparsam, aber effektiv eingesetzte Filmmusik. Nicht nur der melancholische Tonfall von Bachs Partiten für Violine solo, auch die Verwendung eines Solostücks fügt sich in das Thema des Films, das auf einer dritten Tonebene mit der absoluten Stille reflektiert wird: Einsamkeit. Auf die Leinwand legt sich – frei nach Thomas Bernhard – Frost.
Die Kälte. Eine Isolation
Der Einsamkeit, der Unsicherheit, der Angst steht die Reichhaltigkeit der Natur gegenüber. Pölsler, der selber in der abgeschiedenen Bergwelt aufgewachsen ist, fängt im Wandel der Jahreszeiten die Schönheit und Zugewandtheit der Natur ebenso ein wie ihre Kargheit und ihr abweisendes Antlitz. Anders als die zweite beeindruckende Kino-Apokalypse der letzten Zeit – Bela Tarrs „Das Turiner Pferd“ – setzt Pölsler der inneren Verzweiflung mit berauschenden Bildern der Natur etwas Sinnstiftendes entgegen. Wo sich in „Das Turiner Pferd“ mit monolithischen Schwarzweißbildern langsam aber sicher das Bild und mit ihm die Welt verdunkelt, gibt es in „Die Wand“ – im Buch wie im Film – Hoffnung. Die Natur ist ein Grund zu leben, die Tiere werden zu Freunden, und die eigenen Gedanken sind ja auch noch da. „Schließlich gab ich meine sinnlose Flucht auf und stellte mich meinen Gedanken“, rezitiert Gedeck einmal, und grenzt die freie Interpretation des Stoffs zwischen Psychologie und Philosophie, Naturromantik und Zivilisationskritik damit nicht ein.
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