El Clan
Argentinien, Spanien 2015, Laufzeit: 108 Min., FSK 16
Regie: Pablo Trapero
Darsteller: Guillermo Francella, Peter Lanzani, Lili Popovich
>> elclan-derfilm.de
Thriller nach wahren Begebenheiten mit politischen Untertönen
Es geschah am helllichten Tag
„El Clan“ von Pablo Trapero
Es ist ein freundliches Szenario: Die angesehene Familie Puccio lebt in einem Haus in Buenos Aires, dem ein kleiner Laden angeschlossen ist. Vater Arquímedes grüßt immer freundlich, wenn er morgens den Bürgersteig kehrt, die Mutter Epifanía sorgt liebevoll für die vielen Kinder. Die jüngste Tochter Adriana ist ein typischer, lebensfroher Teenager und auch ihr Bruder Guillermo scheint ein ganz normaler Junge zu sein. Silvia ist schon erwachsen und lebt ebenso wie der älteste Sprößling Alejandro immer noch Zuhause. Auch als Alejandro eine längere Beziehung zu Mónica aufbaut, bleibt er, der bereits als Rugbyspieler in der Nationalmannschaft beachtliche Erfolge feiert, dem Familienhaus treu. Nur der Zweitälteste Maguila lebt nicht mehr im Haus, seit er unter mysteriösen Umständen nach Neuseeland ausgewandert ist. Soweit die Kulisse. Denn wenn das Radio nicht laut genug dröhnt und man sich der Kellertreppe nähert, hört man grauenerregende Schreie aus dem Untergeschoss des so unauffällig wirkenden Familienhauses.
Kontrastreiche Inszenierung
Der argentinische Regisseur Pablo Trapero hat hierzulande zum ersten Mal im Jahr 2004 mit seinem komödiantischen Roadmovie „Familia Rodante – Argentinisch reisen“ Aufmerksamkeit erregt. Mit der ungewöhnlichen Story seines Films „Löwenkäfig“ (2008) über eine Frau, die im Gefängnis ein Kind bekommt, hat er dann einen bleibenden Eindruck hinterlassen. „Löwenkäfig“ ist kein leichter Film und löst unangenehme Gefühle aus. Mit „El Club“ treibt Trapero die Manipulation des Zuschauers auf die Spitze, indem er einen starken Kontrast zwischen der düsteren Handlung und seiner Inszenierung aufbaut. Ganz so, wie es das grausige Doppelleben der Puccios vormacht: Als Ältester ist Alejandro der Gehilfe bei den Plänen seines Vaters. Er lockt die der Familie meist bekannten Opfer an, sein Vater Arquímedes und zwei Komplizen kümmern sich dann um die Entführung, das Versteck im Keller des Hauses, die Lösegelderpressung und die Übergabe des Geldes. Um die Übergabe der Entführungsopfer müssen sie sich nicht kümmern, denn auch nach erfolgter Geldübergabe werden sie von den Tätern einfach ermordet. Während die jüngste Tochter lange von all dem nichts mitbekommt, flüchtet Guillermo eines Tages, weil er es nicht mehr aushält. Auch Alejandro leidet unter den Taten, kann sich hingegen von der Autorität seines Vaters nicht lösen.
Die Geschichte von „El Clan“ basiert auf wahren Begebenheiten, die sich Anfang der 80er Jahre ereigneten und national für große Aufregung sorgten. Nicht nur, weil Alejandro als Rugbyspieler einige Popularität genoss und sich niemand – am allerwenigsten seine Mitspieler, Freunde oder seine Freundin – seine Beteiligung an den Taten vorstellen konnten und noch jahrelang an einen Justizirrtum glaubten. Sondern auch, weil der Fall eine politische Ebene hatte. Denn Arquímedes war zur Zeit der Militärjunta 1976 bis 1983 für den Geheimdienst tätig und an Entführungen und Folterungen beteiligt. Mit solchen Lösegelderpressung und dem Verkauf geraubter Kinder hatte sich das Regime Geld beschafft; Arquímedes hat dann auf eigene Rechnung dieses „Geschäft“ weiter verfolgt. Gedeckt wurde er von der Militärregierung. Doch mit dem Ende der Diktatur und der Wahl des demokratischen Präsidenten Raúl Alfonsín schwand der Einfluss des Militärs und dessen Rückendeckung für Arquímedes und seine Familie.
Nachhall der Diktatur
„El Clan“ war im vergangenen Jahr der erfolgreichste Film in Argentinien. Nicht nur der große Erfolg lässt an Juan José Campanellas Thriller „In ihren Augen“ aus dem Jahr 2009 denken. Auch dort spielt der eigentlich durch seine komischen Rollen bekannte Guillermo Francella, in „El Clan“ ist er als Arquímedes allerdings komplett gegen sein Image besetzt. Und auch die Militärdiktatur spielt bei Campanella eine ähnliche Rolle, wird auch dort die Aufdeckung eines Verbrechens durch die verbrecherischen Machthaber vereitelt: Justizbeamte zeigen mit kaum verborgener Eindeutigkeit, dass sie alle Mittel haben, um ihr Gegenüber zum Schweigen zu bringen. In „El Clan“ gibt es ganz ähnliche Szenen, und die Dreistigkeit und Skrupellosigkeit, wie die Familie ihre Verbrechen am helllichten Tag durchführt, spricht deutlich von den moralischen Verschiebungen während der Diktatur. Trapero unterstreicht diesen surrealen Charakter des Szenarios mit freundlichen, sonnendurchfluteten Bildern und einem geradezu perversem Einsatz von mitreißender Filmmusik (u.a. „Sunny Afternoon“ von The Kinks), der an Tarantinos „Reservoir Dogs“ erinnert. In einer gänzlich schockierenden Parallelmontage sehen wir im Wechsel, wie Alejandro im Fond seines Autos mit seiner Freundin leidenschaftlich Sex hat, während sein Vater das zuvor von Alejandro angelockte Opfer töten. Der echte Alejandro Puccio hat nach seiner Verhaftung bis zu seinem Tod mit 49 Jahren immer wieder versucht, sich umzubringen. Diese fortgeführte Gewalt, die Traumata, zerstörte Leben, die Schuld – all das begleitet auch Argentinien seit der Diktatur bis in die Gegenwart.
Venedig 2015: Silberner Löwe für Beste Regie
(Christian Meyer)
Kino als Empathie-Maschine
Warum wir Kino in Zukunft mehr brauchen denn je – Vorspann 01/25
Stark durch Solidarität
„Billige Hände“ im Filmhaus – Foyer 12/24
Übers Ankommen in Deutschland
„Zwischen Sein und Nichtsein“ von Leocadie Uyisenga – Film 12/24
Toleranz zum Jahresende
Mit Kino zu mehr Empathie finden – Vorspann 12/24
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
„Mir wurden die Risiken des Hebammenberufs bewusst“
Katja Baumgarten über ihren Film „Gretas Geburt“ – Foyer 11/24
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Liebe und Macht
choices preview zu „Power of Love“ in der Filmpalette – Foyer 10/24
Schnitte in Raum und Zeit
Die 24. Ausgabe des Festivals Edimotion in Köln ehrt Gabriele Voss – Festival 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
Die hemmungslose Leinwand
Sexualität im Kino – Vorspann 10/24
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24
„Zuhause sehnen wir uns nach der Ferne...“
Kuratorin Joanna Peprah übers Afrika Film Fest Köln – Festival 09/24
Kurzfilmprogramm in der Nachbarschaft
„Kurzfilm im Veedel“ zeigt Filme zu aktuellen Themen in Köln – Festival 09/24
Afrikanisches Vermächtnis
Das 21. Afrika Film Festival widmet sich dem Filmschaffen des Kontinents – Festival 09/24
Sorge um die Filmkultur
Veränderungen und Einsparungen stehen vor der Tür – Vorspann 09/24
Disziplin, Drill und Durchlässigkeit
„Mädchen in Uniform“ im Filmforum – Foyer 08/24
Volles Programm(heft)
40-jähriges Jubiläum der Internationalen Stummfilmtage Bonn – Festival 08/24
Sommer-Endspurt
Humor und Weltrettung für Jung und Alt – Vorspann 08/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Queere Menschen in Polen
„Boylesque“ im Filmhaus – Foyer 07/24
Pssst!
Zu Spoilern, Prequels und Remakes – Vorspann 07/24
Ein Fest des Kinos
Die Kölner Kino Nächte präsentieren an 4 Tagen knapp 50 Filme – Festival 07/24