Gegen den Strom
Island, Frankreich, Ukraine 2018, Laufzeit: 100 Min., FSK 6
Regie: Benedikt Erlingsson
Darsteller: Halldóra Geirharðsdóttir, Jóhann Sigurðarson, Juan Camillo Roman Estrada
>> www.gegen-den-strom-film.de
Skurril erzähltes, tragikomisches Öko-Drama
Allein für alle
„Gegen den Strom“ von Benedikt Erlingsson
Es ist erst Benedikt Erlingssons zweiter Spielfilm, aber man kann jetzt schon sehen, wo diese Reise hingeht, und es wird spannend werden. Erlingsson ist ein kreativer Querkopf, von Haus aus Schauspieler, Autor und Bühnenregisseur. In Island lieben sie ihn schon lange für seine Soloprogramme, mit denen er sechs Jahre landesweit die Theater füllte. Die Welt liebte Erlingsson dann zum ersten Mal 2012 für sein vielfach ausgezeichnetes Spielfilmdebüt „Von Menschen und Pferden“: eine bizarre Komödie über Islands karge Natur, die Tiere darin und Menschen, die versuchen zu den Tieren und zueinander Kontakt aufzunehmen. Jetzt also „Gegen den Strom“, ein Öko-Thriller, der dieselbe Naturliebe und trockene Lustigkeit mitbringt, aber auch einen viel lineareren Spannungsbogen. Und eine Heldin, so still und einsam und stark, dass man sie so schnell nicht vergisst.
Als wir die 50-jährige Halla (Halldóra Geirharðsdóttir) treffen, hat sie ihre Bestimmung in der Welt gefunden. Eine ruhige, hübsche Frau mit einem herzwarmen Lächeln, die in ihrer Arbeit als Chorleiterin aufzugehen scheint und entspannt auf dem Fahrrad durch die Stadt kurvt. Doch Halla ist auch die geheimnisvolle „Bergfrau“, Islands gefürchtetste Politkriminelle, von der Polizei gejagt und den Medien verurteilt. Nachts und am Wochenende zieht sie mit Säge und Sprengstoff raus aufs Land, um ein mächtiges Aluminiumwerk zu sabotieren. Sie kappt Stromleitungen, sprengt Sicherheitstüren, holt mit Pfeil und Bogen Drohnen vom Himmel.Das könnte vermutlich noch lange so weiterlaufen, wäre da nicht die ahnungslose Zwillingsschwester (auch Geirharðsdóttir), die durch Hallas Treiben ebenfalls in Gefahr gerät. Und das kleine Waisenmädchen, das Hallas Herz berührt hat und dringend eine Mutter braucht.
Wenn man Erlingsson nach dem Drehbuch fragt, zitiert er aus Astrid Lindgrens „Die Brüder Löwenherz“. Dass man gewisse Dinge tun müsse, auch gefährliche, weil man sonst kein Mensch sei, sondern nur ein Fliegenschiss. Halla nennt er seine „Artemis“ nach der griechischen Jagdgöttin. Eine furchtlose Beschützerin der Natur, eine, die klaren Auges in die Zukunft sieht. Allein, unverstanden, aber dem Herzen des Zuschauers sehr nah.Und weil die griechische Sagenwelt präsent ist in diesem nordischen Drama, wird Halla stets begleitet von ihrem persönlichen Chor aus Dämonen, einer dreiköpfigen Band und einem ukrainischen Folklore-Trio, die den Soundtrack einfach mitten in der Landschaft einspielen. Dass Erlingsson mit Islands Schauspielikone Halldóra Geirharðsdóttir eine Kindheitsfreundin castete, ist ein Glück für den Film. So unbeirrbar gibt sich Halla, dass man ganz automatisch um sie bangt, auch in dramatischen Momenten ist sie noch souverän und, selbst in den schlimmsten Lagen, voller Würde. So gelingt Erlingsson etwas Besonderes: ein poetischer Umweltkrimi ohne bleierne Moralkeule und ein Actionfilm mit Sinn und Verstand.
Hamburg Film Festival 2018: Bester Spielfilm
(Renée Wieder)
Kino als Empathie-Maschine
Warum wir Kino in Zukunft mehr brauchen denn je – Vorspann 01/25
Stark durch Solidarität
„Billige Hände“ im Filmhaus – Foyer 12/24
Übers Ankommen in Deutschland
„Zwischen Sein und Nichtsein“ von Leocadie Uyisenga – Film 12/24
Toleranz zum Jahresende
Mit Kino zu mehr Empathie finden – Vorspann 12/24
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
„Mir wurden die Risiken des Hebammenberufs bewusst“
Katja Baumgarten über ihren Film „Gretas Geburt“ – Foyer 11/24
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Liebe und Macht
choices preview zu „Power of Love“ in der Filmpalette – Foyer 10/24
Schnitte in Raum und Zeit
Die 24. Ausgabe des Festivals Edimotion in Köln ehrt Gabriele Voss – Festival 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24
Die hemmungslose Leinwand
Sexualität im Kino – Vorspann 10/24
„Zuhause sehnen wir uns nach der Ferne...“
Kuratorin Joanna Peprah übers Afrika Film Fest Köln – Festival 09/24
Afrikanisches Vermächtnis
Das 21. Afrika Film Festival widmet sich dem Filmschaffen des Kontinents – Festival 09/24
Kurzfilmprogramm in der Nachbarschaft
„Kurzfilm im Veedel“ zeigt Filme zu aktuellen Themen in Köln – Festival 09/24
Sorge um die Filmkultur
Veränderungen und Einsparungen stehen vor der Tür – Vorspann 09/24
Disziplin, Drill und Durchlässigkeit
„Mädchen in Uniform“ im Filmforum – Foyer 08/24
Volles Programm(heft)
40-jähriges Jubiläum der Internationalen Stummfilmtage Bonn – Festival 08/24
Sommer-Endspurt
Humor und Weltrettung für Jung und Alt – Vorspann 08/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Queere Menschen in Polen
„Boylesque“ im Filmhaus – Foyer 07/24
Pssst!
Zu Spoilern, Prequels und Remakes – Vorspann 07/24
„Es geht um Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft“
Regisseurin Natja Brunckhorst über „Zwei zu eins“ – Gespräch zum Film 07/24