Ich war noch niemals in New York
Deutschland, Österreich 2019, Laufzeit: 122 Min., FSK 0
Regie: Philipp Stölzl
Darsteller: Heike Makatsch, Moritz Bleibtreu, Katharina Thalbach
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Quietschbuntes Musical
Platz an der Sonne
„Ich war noch niemals in New York“ von Philipp Stölzl
Der Rezensent hat einmal in den 90ern „Das Phantom der Oper“ besucht und ist mit der Erkenntnis aus dem Musical herausgegangen, dass derlei Singsang nicht seines ist. Vor allem aber zeigte er sich seinerzeit erstaunt darüber, dass dort für gutes Geld Menschen auf der Bühne stehen, die singen und tanzen können, aber nicht schauspielern. Und dass sich die Zuschauer zu diesem überteuerten Popanz so kleiden und zieren, als gingen sie in die Oper. Eine fremde Welt, der Rezensent bleibt dem Musical seitdem fern – auch im Kino.
Aktuelle Anlässe führten nun unverhofft zu einer Wiederannäherung, und das kam so: Als Gebührenzahler muss man ja bereits missmutig hinnehmen, dass im öffentlich-rechtlichen Fernsehen „Das Traumschiff“ weiterhin rußend und unbescholten durch die kranken Weltmeere schwappt; oder dass ein dokumentarisches Format wie „Verrückt nach Meer“, das völlig unkritisch den Alltag auf den steuerfrei fahrenden Umweltschleudern begleitet, nach 340 Folgen in die zehnte Staffel geht. Jetzt aber, im Jahr Greta und als Nachhall zur UN-Klimakonferenz gesellt sich der maritime Stinkefinger auch noch auf die große Leinwand? In Gestalt eines Kreuzfahrt-Musicals?!
Tief empört überwindet sich der Autor, „Ich war noch niemals in New York“ zu sichten, um mitreden zu können. Um seine Vorbehalte bestätigt zu sehen und seine Empörung mit Nachdruck und Polemik in diese Zeilen zu gießen. Dass nämlich auch diese Großproduktion die Augen vor der Welt verschließt, dass sie ihre wohlstandsverzogene Zielgruppe bestärkt in der fortschreitenden Verantwortungslosigkeit. Diese Zielgruppe, die keine Klimazielgruppe ist, jawohl!
Und dann sitzt er in diesem Film und bekommt ziemlich bald gute Laune: Die Makatsch singt, die alte Thalbach, der Bleibtreu und der Ochsenknecht. In einem Bonbon in türkis-pink, das alles dafür tut, kein Stinkefinger zu sein. Indem es nämlich in jeder Sekunde zeigt und singt: Ich bin eine „Illusion“, ich bin der „Platz an der Sonne“. Letzterer findet sich hier an Bord der Maxilmiliane, deren nostalgischer Kosmos irgendwo zwischen den 60er und 80er Jahren angesiedelt ist. Und der sich nonstop als reine Kulisse outet. Als Blase, die komplett der Welt und der Zeit entrückt ist – ihren Sorgen, dem Klima, etwaiger Verantwortung.
Das ist gemein, denn das Musical entzieht sich damit jeglicher Angriffsfläche. Ich bin eine Blase! Ich will verklären, nicht aufklären! Damit ist dieses Musical ehrlicher als 340 verklärte Doku-Folgen. Und es ist realistischer als über 80 Folgen „Traumschiff“ – weil „Ich war noch niemals in New York“ so etwas wie Realität gar nicht erst behauptet. Die Maximiliane ist gar kein Kreuzfahrtschiff. Sie ist auch kein Statement. Sie ist ein hübsches kleines Nichts. Einziger Bezugspunkt zur Realität bleiben die Emotionen, die zugleich nichts anderes sind als Plagiate echter Gefühle: sie werden für den Film bloß abgeschrieben. Aber das gilt ja für neunzig Prozent aller Hollywoodproduktionen.
Damit hat sich dem Autor das Wesen des Musicals ein Stück weit erschlossen – und das kommt dem weltentrückten, verklärt sorglosen Zustand auf einem Kreuzfahrtdampfer vermutlich recht nahe. Freispruch für diesen Film also, denn nicht das Musical ist die Welt, sondern die Welt mancher Menschen ist ein Musical.
Bleibt noch, auf die Inszenierung einzugehen: Die Montage ist flott, das Timing stimmt, die Ausstattung ist ein Hingucker und die Beteiligten zeigen große Spielfreude. Und sie singen tatsächlich alle selbst. Philipp Stölzl („Nordwand“) liefert eine beswingte Nostalgiedusche mit netten musikalischen Interpretationen aus dem Oeuvre von Udo Jürgens, die dem gleichnamigen Bühnenmusical entspringen. Ein Lutschbonbon aus Zucker, nicht sättigend – ein süßes kleines Nichts. Nach hinten raus vielleicht etwas lang. Und natürlich kommt das alles nicht an die großen amerikanischen Vorbilder heran, dazu sind Budget und das Talent einiger Darsteller zu beschränkt. Doch die Choreos (Robin Poell) fangen das von vorneherein auf, sprich: Man überfordert hier niemanden und kaschiert geschickt. Und das ist immer noch besser als tanzende Sänger, die nicht spielen können.
In unserer Welt hier draußen warten wir derweil darauf, dass die nächstbeste Reederei ihren neuesten Dampfer „Greta Thunberg“ tauft und zur Törn auf Gretas Spuren über den Atlantik nach New York einlädt. Willkommen zurück im Leben.
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