Man on Wire
GB 2008, Laufzeit: 94 Min.
Regie: James Marsh
Darsteller: Paul McGill, Ardis Campbell, David Roland Frank, David Demato, Aaron Haskell
1974 tanzt Philippe Petit eine knappe Stunde auf einem zwischen den Twin Towers gespannten Drahtseil. Der Film rekonstruiert die illegale Kunstaktion.
Das World Trade Center in New York ist noch nicht mal gebaut, da weiß der Franzose Philippe Petit bereits, dass er eines Tages zwischen den beiden Türmen in über 400 Metern Höhe umherwandeln will. Petit ist 17 Jahre alt und hat erst kürzlich mit dem Drahtseiltanz begonnen, als er eine Zeitungsnotiz vom geplanten Bau des dann kurze Zeit höchsten Gebäudes der Welt liest. Schnell ist er von der Idee besessen, an die immense Höhe tastet er sich langsam heran: Eine Brücke in Sydney wird übertanzt, zwischen den Türmen von Notre Dame in Paris vollführt er elegante Schritte. Dann beginnt die aufwändige Planung seiner imposantesten Aktion. Nicht nur seine Kunstfertigkeit in schwindelnder Höhe ist gefragt, sondern auch eine perfekte Planung. Nicht alleine aus Sicherheitsgründen, denn wie alle Aktionen von Petit und seinen Helfern ist der Drahtseilakt zwischen den Twin Towers illegal. Das ist ein wichtiger Aspekt in Petits Werk. Vielleicht hätte er auch darum ringen können, die Aktion mit einer Genehmigung durchzuführen. Doch neben dem artistischen ist für Petit auch das subversive Moment ein wesentlicher Bestandteil der Tat. Wie eine Gang einen Bankraub plant, so planen Petit und seine Mitstreiter den Coup: Sie inspizieren heimlich das Gebäude, erstellen Pläne und Berechnungen, proben neben dem Drahtseilakt auch den Einstieg und die Installation des Seils. Diebische Freude am Verbotenen, die Erfahrung körperlicher Überwindung und Höchstleistung und nicht zuletzt der Wunsch, ein poetisches Kunstwerk zu erschaffen, sind der Antrieb für ihn, eine Woche vor seinem 25. Geburtstag dieses unglaubliche Kunststück zu realisieren.
James Marsh fängt alle Aspekte von Philippe Petits Aktionskunst ein: Die Vorbereitungen des Coups inszeniert er mit Hilfe von Archivmaterial und nachgestellten Szenen wie einen Krimi der 70er Jahre, das Üben auf dem Drahtseil wird bei ihm zu einer leichten, romantischen Spielerei. Die eigentlichen Aufnahmen von den Aktionen rauben einem dann aber regelrecht den Atem. Der Adrenalinkick beim gewöhnlichen Zuschauer im sicheren Kinosessel dürfte wohl größer sein als damals bei Petit während seines Tanzes in den Wolken. Was einen letztlich komplett von der Aktion und dem Mann dahinter vereinnahmt, ist der Esprit und Witz, mit dem der inzwischen fast 60Jährige seine Geschichte erzählt. Wenn man dann sieht, wie er den angerückten Polizisten zulächelt und sich anschließend seelenruhig rücklings auf das in 400 Meter Höhe gespannte Seil legt, dann ist ein so großes Gefühl wie Ehrfurcht angebracht.
(Christian Meyer)
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