Nacht und Nebel
Frankreich 1955, Laufzeit: 32 Min., FSK 16
Regie: Alain Resnais
Poetisch-eindringlicher Dokumentarfilm
Kein Film, ein Mahnmal
"Nacht und Nebel" von Alain Resnais
Eine grüne Einöde, Gleise umrahmend, die auf das Tor des Konzentrationslagers Auschwitz führen, spärlich bewachsen und menschenleer. Aus dem Off ertönt die Stimme Kurt Glass‘, der den Text des französischen Dichters Jean Cayrol spricht. Langsam aufsteigende, schrille Flötentöne begleiten die Kamerafahrt über dieses verstummte und historisch einbetonierte Schienengelände.
So beginnt eines der ersten und bis heute wichtigsten filmischen Werke über die industrielle Vernichtung von Menschenleben durch das NS-Regime in den Konzentrationslagern. Alain Resnais‘ „Nacht und Nebel“ („Nuit et brouillard“) wird heute noch als Dokumentarfilm gelistet, dabei wurde er bereits als Kunstwerk, als Entnazifizierungsserum, als Gift für bilaterale Beziehungen und schließlich wieder als unverzichtbares Dokument des Holocaust bezeichnet. Die Rezeptionsgeschichte ist lang und wurde selbst Gegenstand wissenschaftlicher Arbeiten.
Was filmästhetisch „Nacht und Nebel“ in die Nähe eines Unikats rückt, ist seine stilistische Eigenheit. Resnais verwendete eine Montage aus schwarz-weißem Archivmaterial und farbigen Originalaufnahmen, die er in den KZs Auschwitz und Birkenau 1955 gedreht hatte. Während sich in den kompilierten Archivbildern eine zeitliche Abwärtsspirale von den Deportierungen der Opfer bis zu den Bildern von Leichenbergen dreht, fallen dazwischen immer wieder die menschenleeren und nahezu statischen Aufnahmen des Schauplatzes. Nahezu museal würde dies wirken, als filmische Reflexionspause für den Zuschauer zu den schwarz-weißen Dokumenten, wenn nicht der Sprecher aus dem Off immer weitere Details schildern würde, immer mehr die Imaginationskraft des Zuschauers fordern würde – bis sie mit dem Barbarischen konfrontiert wird, das jenseits jeglicher menschlicher Vorstellungskraft liegt – aber sich auf der Leinwand zeigt.
„Nacht und Nebel“ schafft es, eines der dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte künstlerisch anzufassen und es als Statement gegen das Vergessen loszulassen, ohne dass es als Dokument einer vergangenen Epoche verblasst. Dies mag an dem frühen Zeitpunkt liegen, an dem der Film gedreht wurde. 1955 gab es weder einheitliche Dokumentarfilmformate für ein solches Thema, noch konnte man von einem kollektiven Gedächtnis sprechen, das sich im Hinblick auf den Holocaust bereits manifestiert hätte – weder in Frankreich, erst recht nicht in Deutschland. Ein anderer Unikats-Aspekt ist eher das Zusammenspiel von Bild, Off-Sprecher und Musik. Jean Cayrols Text ist alles andere als eine Guido Knoppeske Annäherung an die chronischen Ereignisse, es ist ein in poetischen Schilderungen verpackter Fetzen aus Beschreibungen, Hoffnungen, Fakten, Erinnerungen und nicht zuletzt, Verdrängungen.
Getragen werden Bild wie auch Ton von der Musik Hans Eislers. Eisler, der nach dem Krieg überzeugter Bürger der DDR wurde und deren Nationalhymne komponierte, schuf eine Filmmusik, die weit über die Funktion der auditiven Begleitung hinausgeht. Schnelle Streicherpassagen überspielen die Leere der KZ-Stätten, im gegensätzlichen Spiel von hohen Flötentönen und Trommeln kündigt sich das Schrecken unterbewusst an, bevor es an die Oberfläche tritt.
Eislers Musik sorgte auch für einen der ersten Eklats – und damit für den Beginn einer unverwechselbaren Rezeptionsgeschichte. „Nacht und Nebel“ sollte 1955 in Cannes aufgeführt werden, jedoch außer Konkurrenz. Das Deutsche Außenministerium drängte aber auf die Absetzung des Films vom Festival, um nicht die jungen, bilateralen Beziehungen zwischen der BRD und Frankreich zu stören. Die Szenen, in denen Menschen von Soldaten in die Züge gedrängt werden, sind vom Thema des Kaiserquartetts begleitet. Jenes Thema aus der Feder Joseph Haydns, das bis heute der Deutschen Nationalhymne zugrunde liegt. Aufgrund massiver Proteste wurde der Film 1955 dennoch in Cannes projiziert. Seit dem gibt es aber zwei deutsche Versionen von "Nacht und Nebel".
(Dawid Kasprowicz)
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