Nocturnal Animals
USA 2016, Laufzeit: 115 Min., FSK 16
Regie: Tom Ford
Darsteller: Amy Adams, Jake Gyllenhaal, Michael Shannon
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Elegantes Drama um Liebe, Enttäuschung und die Macht der Poesie
Schatten der Vergangenheit
„Nocturnal Animals“ von Tom Ford
Tom Ford scheint nach seinem gefeierten Debüt „A Single Man“ nun zugleich zwei Filme ins Kino zu bringen. Der eine Film erzählt von der latent unglücklichen Kunsthändlerin Susan (Amy Adams). Sie lebt mit ihrem Ehemann Hutton (Armie Hammer) in einer schicken Villa mit Blick über Los Angeles. Hutton scheint gerade kurz vor der Insolvenz zu stehen, aber seine Sorgen und was ihn sonst noch umtreibt teilt er nicht mit Susan. Die hat zwar Erfolg im Beruf, fühlt sich aber einsam und leer. Die gemeinsame Tochter lebt längst ihr eigenes Leben. Wenn Susan nicht auf zynischen Vernissagen unterwegs ist oder mit Kolleginnen im Konferenzraum sitzt, streift sie durch ihr elegantes, großflächig verglastes Haus. Eines Tages erhält sie von ihrem Ex-Mann Edward (Jake Gyllenhaal), von dem sie sich zwanzig Jahre zuvor getrennt hat, sein Manuskript eines Romans, den er ihr mit der Bitte um ihre Meinung schickt. Etwas brisant an der Sache ist, dass Susan Edward vor 20 Jahren verlassen hat, weil er als Schriftsteller nicht Fuß fassen konnte, aber auch nicht bereit war, für einen gemeinsamen Lebensentwurf seine Karriereziele zu ändern.
Ästhetischer Spagat
Tom Ford ist ein Ästhet. Bereits sein Debüt „A Single Man“ war nicht nur ein berührendes Porträt eines schwulen Collegeprofessors, der Anfang der 60er Jahre mit dem Tod seines langjährigen Partners hadert, sondern zugleich auch eine Feier des guten Geschmacks: Die Wohnung und die Kleidung des Protagonisten sind stilvoll, und sie sind mit ihren gedeckten Brauntönen zugleich ein Blick in seine traurige Seele. Auch die großen leeren Räume in „Nocturnal Animals“ haben eine Erzählfunktion. Susan bewegt sich in ihren eleganten Kostümen verloren durch diese weite, leere Landschaft, die durchaus schön anzusehen ist. Es gibt eine Szene, in der Ford diese subtilere Ebene verlässt: Susan ist bei der Arbeit, spricht mit Kolleginnen, die der Film in ihrer Oberflächlichkeit diskreditiert. Da ist Tom Ford selber unsubtil, unelegant und auch oberflächlich. Man wähnt sich kurz in Nicolas Winding Refns letztem Film „The Neon Demon“, der in einer selten gesehenen Mischung aus Style und Splatter über die Modeszene von Los Angeles herzieht. Bei Ford erscheint diese Szene wie ein Fremdkörper.
Tatsächlich gibt es diesen anderen Tom Ford, der plakativ und auch brutal sein kann. Wir lernen ihn kennen, wenn Susan beginnt, das Manuskript ihres Ex-Manns zu lesen. Denn diese Geschichte illustriert der Regisseur in einem parallelen Handlungsstrang, der ästhetisch und narrativ in starkem Kontrast zu Susans Umgebung steht: Tony (ebenfalls Jake Gyllenhaal) fährt nachts mit seiner Frau und seiner erwachsenen Tochter über einen endlosen Highway in Texas, als sie von einem anderen Wagen bedrängt und schließlich zum Halten genötigt werden. Die drei Insassen des anderen Wagens führen offensichtlich nichts Gutes im Schilde und wirken in ihrem Wechsel zwischen übertriebener Freundlichkeit und Aggression deutlich psychotisch. Tony kann nicht verhindern, dass die Bande mit seiner Frau und seiner Tochter abzieht und ihn alleine in tiefer Verzweiflung in der Wüste zurücklässt. Aus diesem Kriminalroman, der im Film zum Crime-Movie wird, entfaltet sich langsam ein Revenge-Thriller, dessen Wendungen den Zuschauer immer wieder schockieren. Die Art, wie Tom Ford diesen Handlungsstrang inszeniert, erinnert an einen staubiges Racheepos von Sam Packinpah oder Tarantino. Nicht nur den Zuschauer schockiert die Handlung, auch Susan schreckt zurück, während sie diesen brutalen Roman ihres damals so zarten Mannes liest. Auf einer dritten Ebene kreisen nun Susans Erinnerungen um die Zeit mit Edward. Der Film zeigt, wie sich die beiden kennen lernen, gegen den Willen von Susans Mutter heiraten und wie sich schließlich die enttäuschte Susan von ihm abwendet.
Sturz ins bodenlose
Auch in „A Single Man“ hat Tom Ford mittels zahlreicher Rückblenden einen Gefühls- und Entwicklungszustand einer Person an einem Wendepunkt beschrieben. Während sein Debüt wesentlich homogener ausfiel, geht er bei der Adaption von Austin Wrights Roman „Tony & Susan“ das Risiko eines ästhetischen Spagats ein. Der Zuschauer wird zwischen den sehr unterschiedlichen Handlungsebenen hin- und hergerissen. Für die Empathie ist das eine große Herausforderung, und tatsächlich hörte man bereits Kritik, dass es am Ende dann vielleicht doch etwas zu viel von allem sei. Zugleich macht gerade das Spannungsverhältnis, die kaum zu fassenden, sich immer wieder verschiebenden Analogien und Abweichungen in den unterschiedlichen Ebenen einen großen Reiz des Films aus, der nicht zuletzt von seinen Hauptdarstellern getragen wird: Amy Adams („Arrival“) und vor allem Jake Gyllenhaal („Nightcrawler“), der in seiner Doppelrolle mit einem breiten emotionalen Spektrum glänzt. Aber: Ist das überhaupt eine Doppelrolle, die Jake Gyllenhaal da spielt? Und wie viel Wirklichkeit steckt in Fiktion? Ein Film der viele Fragen aufwirft, ein Film ohne Boden.
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