Once Upon A Time… In Hollywood
USA 2019, Laufzeit: 162 Min., FSK 16
Regie: Quentin Tarantino
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Brad Pitt, Margot Robbie, Al Pacino, Kurt Russell, Michael Madsen
Ein abgehalfteter TV-Serienstar und sein Stuntman streifen durchs Hollywood der 60er Jahre.
Wenn die Mörder an der falschen Haustür klingeln...
„Once Upon a Time in Hollywood“ von Quentin Tarantino
Als der Film bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes seine Weltpremiere feierte, war die Tarantino-Gemeinde nicht nur in heller Vorfreude auf das neunte Werk ihres Meisters, das wieder versprach, liebevoll in der Filmgeschichte herum zu zitieren. Sie war auch gespannt darauf, wie der für seine lustvoll zelebrierten Gewaltexzesse bekannte Filmemacher mit jenem Ereignis umgehen würde, das am 9. August 1969 die (Medien-)Welt erschütterte: Der bestialische Mord an Roman Polanskis hochschwangerer Freundin Sharon Tate durch die Charles-Manson-Family, der von ihm – wenn auch anders als erwartet – hier aufgegriffen wird.
„Once Upon a Time in Hollywood“ beginnt mit einer visuellen Referenz an die in den 50er und 60er gedrehten TV-Westernserien: Rick Dalton (Leonardo DiCaprio), der Hauptdarsteller der beliebten Westernserie „Bounty Law“, und sein Stuntdouble Cliff Booth (Brad Pitt) werden von einem Reporter am Set interviewt. Dann weitet sich das Bild vom Schwarzweiß-Normalformat ins farbige Cinemascope – und wir finden uns im Februar des Jahres 1969 wieder. Mit dem technischen Fortschritt scheint auch der Rückschritt in Daltons Karriere begonnen zu haben. Den Sprung auf die große Leinwand hat er nie geschafft, hält sich als „böses“ Pendant zum „guten“ Hauptdarsteller in TV-Pilotfilmen über Wasser. Der Produzent Marvin Schwarz – den Al Pacino in seinem Cameo-Auftritt etwas lustlos herunterspielt – macht ihm wenig Hoffnung auf große Hollywood-Rollen, empfiehlt ihm, eher beim „Spaghetti-Western“ in Italien sein Glück zu versuchen. Aber ehe Rick sich dazu durchringt, zieht er weiter mit Cliff, der auch sein persönlicher Fahrer und bester Freund ist, durch Tinseltown, blickt neidisch über den Gartenzaun auf die Nachbarsvilla, in die der gerade angesagte Regisseur Roman Polanski (ohne Ausstrahlung: Rafal Zawierucha) mit seiner schwangeren Freundin Sharon Tate (hat leider nicht deren Sexappeal: Margot Robbie) eingezogen ist. Aber ein persönlicher Kontakt, geschweige denn ein beruflicher Traum, erfüllt sich dadurch nicht.
Als Cliff das Hippiemädchen Pussycat kennenlernt, die mit der Manson-Family in jener Western-Fake-Stadt wohnt, in der einst „Bounty Law“ gedreht wurde, ahnt man, dass diese beiden Handlungsstränge irgendwann mal zusammenfinden werden. Aber erst einmal nimmt Rick doch noch das Italo-Western-Angebot an, kehrt aber nach vier Filmen aus Europa zurück, fast pleite, aber mit einer italienischen Gattin. Er muss Cliff, sein „Mädchen für alles“ entlassen, der auch als Stuntman keine Chance mehr hat, seitdem er den aufstrebenden Martial-Arts-Star Bruce Lee (eher eine Witzfigur: Mike Moh) mal so eben gegen das Auto der Frau (wunderbar herrisch: Tarantinos Lieblingsstuntfrau Zoe Bell) des Herstellungsleiters wirft, den „Klapperschlange“ Kurt Russell gar nicht „giftig“, sondern als „Pantoffelhelden“ gibt. Gehört diese Prügelei zu den witzigen Szenen des Films, gibt es zum Finale dann die erwartete Tarantino-Gewalt-Orgie…
160, manchmal lang werdende, Minuten braucht Tarantino, um sich „unhistorisch“ aus der Geschichte zu stehlen, die keine erzählt, sondern nur ziellos, wie seine beiden Protagonisten, durch ein Hollywood im Umbruch streift. Mit den beiden grandiosen Hauptdarstellern, die in ihrer symbiotischen Beziehung an Paul Newmans und Robert Redfords „Butch Cassidy and the Sundance Kid“ erinnern, begegnen wir Leinwandikonen wie Steve McQueen (täuschend ähnlich: Damian Lewis) und erfahren, dass auch Rick im Gespräch für dessen Rolle in „Gesprengte Ketten“ gewesen war. Was wiederum Tarantino sofort visuell umsetzt und DiCaprio in eine Szene aus dem Film digital einmontiert. Überhaupt sind seine immer wieder eingebauten Zitate ein wahres „Ostereier-Suchen“ für den Filmfan. Sein nostalgischer Rückblick gibt dem Film eine melancholische Stimmung, die in der Szene, als sich Sharon Tate ihren eigenen Film in einem Kino ansieht und glücklich die Reaktionen des Publikums aufsaugt, ihren zärtlichen Höhepunkt hat.
Auch wenn man sich an der Ausstattung mit all ihren detailverliebten Filmsets, den eleganten Straßenkreuzern, aber auch den schmuddeligen Ecken, wie Cliffs Wohnmobil neben einem Autokino, nicht sattsehen kann, wirken immer wieder einige Szenen entbehrlich. Beim zynisch-exzessiven Showdown bestätigt Tarantino wiedermal seinen Ruf, letztlich nicht erwachsen werden zu wollen: Die Pickel sind weg, aber die Pubertät ist geblieben. Aber dafür lieben ihn ja seine Fans – und er sich selber wohl auch.
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