Phoenix
Deutschland 2014, Laufzeit: 98 Min., FSK 12
Regie: Christian Petzold
Darsteller: Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Nina Kunzendorf
>> www.phoenix-der-film.de
Symbolträchtiges Nachkriegsmelodram
Geisterstunde
„Phoenix“ von Christian Petzold
Christian Petzold macht seit 20 Jahren Filme, die der sogenannten Berliner Schule zugerechnet werden. In „Die innere Sicherheit“, „Gespenster“, „Wolfsburg“, „Yella“ oder „Jerichow“ hat er mit betont ruhigen, undramatischen Inszenierungen Befindlichkeiten der deutschen Gegenwartsgesellschaft erkundet. Lange ging es in seinen Filmen darum, in den zwischenmenschlichen Beziehungen aktuelle Zustände aufzuspüren. Mit „Barbara“ machte er zuletzt eine Reise in die jüngere deutsche Vergangenheit, in die DDR der 80er Jahre. Nun geht er mit „Phoenix“ weiter zurück, zur Stunde Null ins Berlin des Jahres 1945: Nelly (Nina Hoss) kehrt mit einer schweren Gesichtsverletzung aus Auschwitz zurück. Ihre Freundin Lene (Nina Kunzendorf) kümmert sich um sie, während sie sich einer Operation unterzieht. Mit annähernd wiederhergestelltem Gesicht macht sie sich trotz Lenes Warnung auf die Suche nach ihrem Mann Johnny (Ronald Zehrfeld), der wie sie vor dem Krieg Musiker war. Als sie ihn in einem Nachtclub ausfindig macht, wo er als Aushilfskraft arbeitet, erkennt er sie allerdings nicht. Doch die Ähnlichkeit mit seiner unbewiesen für tot gehaltenen Frau bringt ihn auf eine Idee: Nelly soll sich als seine Frau Nelly ausgeben, damit Johnny an ihr Erbe kommt. Im Folgenden versucht er Nelly beizubringen, wie Nelly zu sein. Das fällt ihr natürlich bis hin zur Handschrift nicht schwer. Umso mehr verzweifelt sie daran, dass Johnny sie trotzdem nicht als die Echte erkennt, gibt sich ihm aber dennoch nicht zu erkennen.
Diskursives Vakuum
Petzold hat seine von literarischen und filmischen Einflüssen inspirierte Liebesgeschichte als melodramatischen Film Noir inszeniert: Es gibt viele Nachtszenen, die Räume sind eng, die Beziehungen zwischen den wenigen Protagonisten auf tragische Weise miteinander verknüpft. Über jeder Szene liegt eine unheilvolle Anspannung. Alleine historisch passt die Verknüpfung zwischen Petzolds Nachkriegsgeschichte und dem Film Noir, da die 40er Jahre die Hochzeit des Genres waren. In dem Noir-Krimi „Dark Passage“ („Das unbekannte Gesicht“) mit Humphrey Bogart von 1947 findet man sogar das Motiv der Gesichtsoperation. Und auch die Verknüpfung der Themen Liebe und Geld verbindet „Phoenix“ mit der Schwarzen Serie. Die Verbrechen, die die Menschen in „Phoenix“ umtreiben, sind jedoch andere als in den amerikanischen Krimis. Habgier oder Eifersucht wirken gegen den Genozid der Nazis an den Juden allzu menschlich und verständlich. Kinobilder vermögen den Schrecken der Naziherrschaft kaum adäquat abzubilden. Petzold zeigt in seinem Film kein einziges Kriegsbild und keine Bilder aus den Lagern – weder dokumentarische noch nachgestellte. Doch der Schrecken, dessen Ende zu Beginn von „Phoenix“ nur wenige Monate zurückliegt, hat sich tief in die Menschen eingeschrieben – in deren Seelen wie in deren Körper. Die einen wirken sehr vorsichtig und steif, als seien sie aus einem Albtraum erwacht, der noch nachhallt und von neuem beginnen könnte; die anderen wirken wie erlöst, geben sich betont locker, als gelte es das Vergangene abzuschütteln; die einen wünschen sich zu dem unschuldigen Zustand vor der Katastrophe zurück, die anderen wollen vergessen und von hier aus neu beginnen: Es gibt die Opfer und die (Mit-)Täter. Zwischen ihnen klafft ein Loch, das sich wie eine Amnesie über das Land legt. Petzold gelingt es beängstigend gut, das diskursive Vakuum, das die gegenläufigen Bewegungen erzeugen, in seiner kammerspielartigen Inszenierung erfahrbar zu machen.
Gespenst in Trümmern
Nicht erkennen, nicht benennen – das ist das Klima der frühen Nachkriegszeit. Die jüngere Vergangenheit ist weitgehend ausgeblendet. Die traumatisierte Nelly kann das gar nicht verstehen: Weder ihr Mann erkennt sie, noch fragt sie jemand nach ihren Erlebnissen in Auschwitz. Zugleich ist ihre eigene Identität im tiefsten Inneren zerrüttet, zerstört. Sie weiß selber nicht mehr, wer sie ist und wandelt wie ein Gespenst durch die Trümmer Berlins. Immer wieder spricht sie von der ‚alten‘ Nelly in der dritten Person. Nicht einmal mehr das Attribut Jude kann sie für sich als Identität annehmen: Als Zuschreibung der Nazis muss sie auch diese auslöschen. Das einzige, was eine Verbindung zur alten Nelly herstellen könnte, wäre die Wiedererweckung der Liebe zwischen Nelly und Johnny. Daran klammert sie sich.
Obwohl vieles in „Phoenix“ symbolisch erscheint und den klassischen Regeln des Melodramas folgt, steht der Film ganz im Zeichen des Realismus. Doch es ist nicht jener kunsthandwerkliche Realismus, den man von vielen anderen Filmen zur deutschen Geschichte kennt, wie etwa Joseph Vilsmaiers „Stalingrad“, für den sogar die Unterhosen der Wehrmacht originalgetreu genäht wurden. Doch sie haben nichts zu erzählen. Aber die Gestik, die Mimik und die Worte in „Phoenix“ erzählen von den Menschen.
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