Punch-Drunk Love
USA 2002, Laufzeit: 94 Min., FSK 12
Regie: Paul Thomas Anderson
Darsteller: Adam Sandler, Emily Watson, Luis Guzmán, Rico Bueno, Hazel Mailloux, Julie Hermelin, Salvador Curiel, Jorge Barahona, Ernesto Quintero, Mary Lynn Rajskub, Lisa Spector, Nicole Boroda Gelbard, Mia Weinberg, Karen Hermelin, Larry Ring, Kerry Gelbard
Wenn Barry Egan (Adam Sandler) mit seinem taubenblauen Anzug im gleißenden Licht des San Fernando Valley steht, fühlt man sich an James Stewart in "Vertigo" erinnert, der bei seinem somnambulen Trip durch San Francisco ebenfalls aussieht wie ein hoffnungslos verlorener Versicherungsvertreter. Regisseur Paul Thomas Anderson ("Boogie Nights", "Magnolia") hat die Rolle des lebensuntüchtigen, verschüchterten, erfolglos ins Geschäftsleben eingestiegenen Barry Egan dem US-Komödien-Star Sandler ("Big Daddy", "Mr. Deeds") auf den Leib geschrieben, und diese Maßnahme war Programm: eine Fehlbesetzung, die das tragische Thema ironisch bricht und den Irrsinn einer sonnenüberstrahlten, vollends verrückten Welt erst recht deutlich macht. Adam Sandler spielt hervorragend. Was ihm widerfährt, ist ein Befreiungsschlag, brillant in Szene gesetzt als scharfe Kritik am american way of life' und zugleich als tiefmoralische, ebenso typisch amerikanische Parabel auf die Selbstfindung eines Mannes, der im entscheidenden Augenblick auch nicht vor Gewalt zurückschreckt, um die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Bizarre Bilder und Ereignisse begleiten Barry Egans Initiation. Am Anfang des Films tritt er in aller Herrgottsfrühe - er leidet an Schlaflosigkeit und hat wegen einer sinnlosen Flugmeilen-Werbeaktion endlos herumtelefoniert - aus seinem tristen, leeren Büro in einer riesigen Lagerhalle ins Licht auf die Straße hinaus. Da passiert etwas Seltsames (an dieser Stelle sei der Kinobesucher vor einer der heftigsten Schrecksekunden der Kinogeschichte gewarnt!): ein eigenartiger Autocrash, kurz danach bremst ein Kleinlaster, und man stellt ein Harmonium auf den Gehweg.Dann erst geht die eigentliche Geschichte los. Lena Leonard (Emily Watson) fährt auf den Hof und bittet Barry, auf ihr Auto aufzupassen. Barry hat sieben Schwestern, die ihm das Leben schwer machen. Eine von ihnen ist mit Lena befreundet und will die beiden verkuppeln. Nichts hasst Barry mehr als die Hilfsaktionen, Tiraden und Nörgeleien seiner Familie, aber hier hat er eine Frau getroffen, die sehr starke Gefühle in ihm weckt. Um sie zu gewinnen, setzt er von nun an alle Hebel in Bewegung. So will er ihr zum Beispiel bei einer Geschäftsreise nach Hawaii nachfliegen. Und da kommen die Bonusmeilen ins Spiel. P. T. Anderson ist zu der Story angeregt worden durch die authentische Geschichte eines Mannes, der 12.150 Puddingbecher im Wert von rund 3.000 Dollar gekauft hatte und damit in den Genuss der auf den Verpackungen versprochenen Flug-Bonusmeilen - insgesamt über eine Million! - gekommen war. Er konnte von da lebenslang umsonst fliegen.Barry hat es natürlich nicht so leicht, an solche Vergünstigungen zu kommen, aber nach Hawaii schafft er es doch, und er und Lena werden eine Liebespaar. Parallel allerdings kündigt sich eine Katasrophe an: da er sich zu einer Sache hat hinreißen lassen, die niemand erfahren darf, wird Barry von einem gewalttätigen Fiesling (Philip Seymor Hoffman) erpresst, was die ersehnte Romanze mit Lena stark gefährdet. Ein ungleicher Kampf kündigt sich an. Gegenüber dem gewaltigen Drei-Stunden-Opus "Magnolia" ist "Punch Drunk Love" eine Miniatur, doch die visuelle Kraft, die der 32-jährige Autorenfilmer, der in Cannes den Regiepreis erhielt, mit seinen virtuosen Einstellungen und Kamerafahrten - unterstützt von einem faszinierenden Soundtrack - erzeugt, ist atemberaubend. Andersons Umgang mit den filmischen Mitteln - und das unterschiedet ihn etwa von Filmemachern wie den Coen-Brüdern, die ähnlich eklektisch und ironisierend arbeiten - ist dabei allerdings mehr als bloßes filmästhetisches Sampling. Man kann ihn nach dieser kalifornischen Trilogie durchaus als einen modernen Moralisten des Kinos bezeichnen.
(Heinz Holzapfel)
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