September 5 - The Day Terror Went Live
Deutschland, USA 2024, Laufzeit: 91 Min., FSK 12
Regie: Tim Fehlbaum
Darsteller: Peter Sarsgaard, John Magaro, Ben Chaplin
Brisanter historischer Thriller
Die Macht der Bilder
„September 5 – The Day Terror Went Live“ von Tim Fehlbaum
Die Olympischen Spiele in München 1972. Am 5. September um 4 Uhr morgens ist Schichtwechsel beim Sports-Team des US-Fernsehsenders ABC, das die Spiele erstmals mit Live-Kameras begleitet. Dann fallen im olympischen Dorf Schüsse, elf Mitglieder der israelischen Mannschaft werden von palästinensischen Terroristen als Geiseln genommen. Die Sonne geht auf, die Kameras werden ausgerichtet. Produzent Roone Arledge (Peter Sarsgaard) und sein Team begleiten die 21 Stunden währende Tragödie medial. Eine Berichterstattung, die von den Verantwortlichen unter hohem Zeitdruck fortwährend Improvisation abverlangt – und Entscheidungen, denen sich die Medienmacher so noch nie ausgesetzt sahen.
2022 jährte sich das Attentat zum 50. Mal. Film und Fernsehen widmeten sich dem blutigen Vorfall in der Vergangenheit aus unterschiedlichsten Perspektiven – am prominentesten Steven Spielbergs Action-Thriller „München“ von 2005, der faktenbasiert, aber über weite Strecken fiktional dem Einsatz eines Mossad-Teams folgt, das in der Folge des Attentats die Verantwortlichen jagt. Der Schweizer Tim Fehlbaum nun geht mitten hinein ins Geschehen und verdichtet die 21 Stunden auf atemberaubende 95 Minuten. Geplant, sagt der Regisseur, war ein Drama, das von den Opfern über die Polizei bis hin zu den Tätern verschiedene Perspektiven einnehmen sollte. Während der Recherche und der Stoffentwicklung aber entschied sich Fehlbaum für eine einzige Perspektive: die der medialen Berichterstattung, die mit damals revolutionären technischen Möglichkeiten in die Spiele ging. Es war die Geburt der großangelegten Live-Schalte, die sofort dramatisch auf den Prüfstand gestellt wurde: Arledge und sein Team (darunter als Dolmetscherin: Leonie Benesch, „Das Lehrerzimmer“) müssen sich gegenüber der eigenen Nachrichtenredaktion behaupten und mit der Quote im Rücken verantwortungsvoll entscheiden, was sie senden. Und sie erkennen dabei zu spät, dass das, was sie senden, auch die Falschen sehen.
Kammerspielartig bannt Fehlbaum diese Herausforderung auf die Leinwand. Während außerhalb des Studios die Verantwortlichen postulieren: „The games must go on“ und Olympioniken in der Sonne baden oder Minigolf spielen, münden die „heiteren Spiele“ in unmittelbarer Nähe in einem furchtbaren Blutbad. Die Journalist:innen der TV-Anstalt schütteln schon bald ihre Köpfe über die Inkompetenz der deutschen Polizei – bis sich die Zunft selbst in Fehlverhalten und –entscheidung verstrickt.
Nach seinen beiden Dystopien, dem minimalistischen „Hell“ (2011) und dem opulenteren „Tides“ (2021), hatten wir Tim Fehlbaum schon federführend im nächsten Hollywood-Spektakel gesehen. Stattdessen dreht der Regisseur „bloß“ in München und in den Bavaria Studios. Zum Glück! Fehlbaum inszeniert ein hochspannendes Thrillerdrama und verknüpft effektiv schick ausgestattete Spielszenen mit dem ABC-Originalmaterial von 1972. Ein historischer Thriller, der unter die Haut geht in Zeiten, in denen Terrorismus an der Tagesordnung ist und in denen die Medien mit ihrer Berichterstattung weiterhin für die Quote an moralischen Grenzen kratzen.
(Hartmut Ernst)
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