Simpel
Deutschland 2017, Laufzeit: 113 Min., FSK 6
Regie: Markus Goller
Darsteller: David Kross, Frederick Lau, Emilia Schüle
>> www.simpel-film.de/
Mix aus Bruderdrama und Roadmovie
Zwei sind einer zu viel
„Simpel“ von Markus Goller
Rein rechnerisch ist Barnabas, genannt Simpel, Bens großer Bruder, und doch wird er immer der Kleine sein. Bei der Geburt gab es Komplikationen, geistig bleibt der 22-Jährige auf dem Stand eines Kleinkinds. Bens (Frederick Lau) Tage sind erfüllt mit Simpel. Wenn er nicht arbeitet, geht er ihn im Nordseewatt einfangen, spielt mit Simpels geliebtem Stofftier Monsieur Hasehase oder bringt Simpel ins Bett. Als die Mutter stirbt und Simpel ins Heim soll, ist es Ben, der das nicht erträgt und ihn Hals über Kopf entführt.Nach Hamburg will er, zum Vater (Devid Striesow), der sich schon vor 15 Jahren vom Acker gemacht hat. Dass Ben auf dem Weg den Heimleiter verletzt und ein Polizeiauto klaut, macht die Aktion nicht besser.
Man könnte nicht behaupten, dass das Familiendrama „Simpel“ sein Genre neu erfindet, doch zweifellos ist der Film mit dem Herzen voll bei der Sache. Produzent Michael Lehmann entdeckte im Urlaub Marie-Aude Murais französischen Roman „Simple“, dessen Übersetzung 2006 den deutschen Jugendliteraturpreis bekam. Auch mit dem Regisseur lag Lehmann richtig: Markus Goller kann zwischen den Zeilen erzählen und menschliche Tragikomik genau gewichten, wie er 2010 im Ost-West-Buddyfilm „Friendship!“ schon gezeigt hat.
Halb Bruder-Melodram und halb Roadmovie, beobachtet nun „Simpel“ seine ungleichen Helden gleichermaßen genau, wobei Frederick Lau als Ben die interessanteren Konflikte mitbringt. Denn natürlich kann Ben eigentlich schon lange nicht mehr, sehnt sich uneingestanden nach einem eigenen Leben ohne Klotz am Bein und hat seinen Frust immer weniger im Griff. „Hör doch nur einmal zu, Simpel, keine Sekunde kann man dich aus den Augen lassen.“ Um Ausreden und Furcht vor dem Leben geht es im Film, um Verantwortung, vor allem die gegenüber der eigenen Person.
David Kross gibt Simpel mit Verve und viel Körpereinsatz. Das macht er nicht so gut wie der junge Leonardo DiCaprio damals in „Gilbert Grape – Irgendwo in Iowa“, übersteuert aber auch nicht so penetrant wie Sean Penn in „Ich bin Sam“. Auch die Nebendarsteller spielen elegant über eine ganze Reihe von Stereotypen weg. Da ist die warmherzige Prostituierte an der Hamburger Bushaltestelle, die kurzfristig zu Simpels Babysitterin wird – von Annette Frier so freizügig urkomisch gespielt, dass dem Film ein paar gute Lacher sicher sind. Wichtiger werden die Sanitäter Aria (Emilia Schüle) und Enzo (Axel Stein), wobei Goller den empathischen Enzo schnell als Kumpel für Simpel einteilt und die spröde Aria als dringend benötigtes Love-Interest für Ben. Und natürlich wartet die Konfrontation mit dem überforderten Vater, den ein schwächerer Schauspieler als Devid Striesow vielleicht als gelackten Schnösel ohne Gewissen dargestellt hätte. Bei ihm endet Bens und Simpels Trip nicht, man ahnte es vorher schon, und auch, wohin die Reise wirklich führt. Trotzdem, es lohnt sich, dabei zu sein.
(Renée Wieder)
Armand
Start: 16.1.2025
Kneecap
Start: 23.1.2025
Der Brutalist
Start: 30.1.2025
Poison – Eine Liebesgeschichte
Start: 30.1.2025
Maria
Start: 6.2.2025
Mutiny in Heaven – Nick Caves frühe Jahre
Start: 6.2.2025
Heldin
Start: 27.2.2025
Like A Complete Unknown
Start: 27.2.2025
Das kostbarste aller Güter
Start: 6.3.2025
Flow
Start: 6.3.2025
Köln 75
Start: 13.3.2025
Das Licht
Start: 20.3.2025
The End
Start: 27.3.2025
Kino als Empathie-Maschine
Warum wir Kino in Zukunft mehr brauchen denn je – Vorspann 01/25
Stark durch Solidarität
„Billige Hände“ im Filmhaus – Foyer 12/24
Übers Ankommen in Deutschland
„Zwischen Sein und Nichtsein“ von Leocadie Uyisenga – Film 12/24
Toleranz zum Jahresende
Mit Kino zu mehr Empathie finden – Vorspann 12/24
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
„Mir wurden die Risiken des Hebammenberufs bewusst“
Katja Baumgarten über ihren Film „Gretas Geburt“ – Foyer 11/24
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Liebe und Macht
choices preview zu „Power of Love“ in der Filmpalette – Foyer 10/24
Schnitte in Raum und Zeit
Die 24. Ausgabe des Festivals Edimotion in Köln ehrt Gabriele Voss – Festival 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24