Systemsprenger
Deutschland 2019, Laufzeit: 125 Min., FSK 12
Regie: Nora Fingscheidt
Darsteller: Helena Zengel, Albrecht Abraham Schuch, Gabriela Maria Schmeide
>> www.systemsprenger-film.de/
Hoffentlich keine bleibenden Blessuren
Matt513 (266), 30.11.2019
Man muß sich ja um die kleine Helena regelrecht sorgen, sie möge keine bleibenden Blessuren an der Seele davongetragen haben, so wie sie sich in Fingscheidts verstörendem Film verausgabte. Ein unglaubliche Leistung, die für den Zuschauer die Grenzen zwischen Schauspiel und Realität verschwimmen läßt. Wie kann ein kleines Kind das so spielen? Vermutlich eben deswegen, weil es (noch) ein kleines Kind ist.
In Bennis Mutter enthält der Film gewissermaßen sein eigenes Prequel, denn so haltlos und überfordert wie sie ist, wird ihr eigener Werdegang ähnlich desaströs verlaufen sein wie jener der Tochter. Das ist ein valides Abbild der Geschichte vieler junger Menschen in der heutigen Zeit; verkrachten Verhältnissen entstammend, kommen sie mit den immer dynamischeren Anforderungen an sich selbst nicht mehr klar. Kommen dann kleine Kinder hinzu, wird das Verhängnis an die nächste Generation vererbt.
Schauspielerisch nicht überzeugend war der Film für mich nur an dem einen Punkt, wenn die Betreuer zum Beratungsgespräch zusammensitzen. Im Gegensatz zum Rest wirkte das holzschnittartig. Aber vielleicht sollte das so sein; passte es doch zum schablonenartigen Vorgehen, mit dem der fürsorgliche Sozialstaat Fälle wie den einer Benni im realen Leben zu lösen versucht: Erst Maßnahme A. Greift die nicht, dann Maßnahme B. Greift die nicht, dann.. usw. Bennis eigenes Empfinden, wie sie ihr schief aufgegleistes Dasein wahrnimmt, bleibt dabei außen vor. Und recht bald, wenn das nicht funktioniert, wird ein junges Leben mit dem wenig charmanten Begriff Systemsprenger etikettiert, der bei mir eine ziemlich negative Konnotation evoziert. Das drückt auch ein Stück weit aus, wie hilflos man letztlich gegenüber denen ist, die nicht systemkonform sind bzw. werden.
Der Film ist als deutscher Kandidat für den Auslands-Oscar im Gespräch. Er hätte dies sehr verdient. Umso mehr, als daß ich es wichtig finden würde, daß man anderswo auch mal eine unübliche Ansicht deutscher Gegenwart vermittelt bekommt; anders als all die Kandidaten, die die tradierten Themen Drittes Reich und DDR behandelten.
Schon ein paar Wochen her ...
tinetuschen (142), 26.11.2019
... und immer noch erzähle ich jedem der es nicht hören will, dass er/sie diesen Film sehen muss. Ich freue mich so über die vielen Zuschauer. Dieser Film geht ganz tief und ist unfassbar anstrengend aber er gibt auch soviel. Danke.
Ein Schlag in die Magengrube
Raspa (392), 08.10.2019
Hallo ihr Horrorfreunde! Ihr wollt einmal wahren Horror erleben? Dann geht in diesen Film. Hier könnt ihr einen Horror erleben, wie er von einigen Menschen, die für das, was sie ständig leisten, notorisch unterbezahlt sind, jeden Tag erlebt und, so gut es eben geht, aufgefangen wird.
Wo haben sie diese Helene bloß gefunden, die die Benni darstellt? Unglaublich, mit welcher atemberaubenden Authentizität sie dieses Wahnsinnskind verkörpert. Sie hat jeden Darstellerpreis verdient, den es hierzulande gibt, und der Film selbst bekommt hoffentlich auch all die Ehrungen, die er verdient. Wenn ich überhaupt etwas zu bekritteln habe, dann vielleicht den Schluss, der mir etwas zu symbolbehaftet erschien. Aber das tut dem Gesamteindruck überhaupt keinen Abbruch.
Furcht und Mitleid soll die Tragödie beim Zuschauer bewirken, postulierte Aristoteles. Nun, beides wird uns hier reichlich zuteil.
Kino als Empathie-Maschine
Warum wir Kino in Zukunft mehr brauchen denn je – Vorspann 01/25
Stark durch Solidarität
„Billige Hände“ im Filmhaus – Foyer 12/24
Übers Ankommen in Deutschland
„Zwischen Sein und Nichtsein“ von Leocadie Uyisenga – Film 12/24
Toleranz zum Jahresende
Mit Kino zu mehr Empathie finden – Vorspann 12/24
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
„Mir wurden die Risiken des Hebammenberufs bewusst“
Katja Baumgarten über ihren Film „Gretas Geburt“ – Foyer 11/24
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Liebe und Macht
choices preview zu „Power of Love“ in der Filmpalette – Foyer 10/24
Schnitte in Raum und Zeit
Die 24. Ausgabe des Festivals Edimotion in Köln ehrt Gabriele Voss – Festival 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24
Die hemmungslose Leinwand
Sexualität im Kino – Vorspann 10/24
„Zuhause sehnen wir uns nach der Ferne...“
Kuratorin Joanna Peprah übers Afrika Film Fest Köln – Festival 09/24
Afrikanisches Vermächtnis
Das 21. Afrika Film Festival widmet sich dem Filmschaffen des Kontinents – Festival 09/24
Kurzfilmprogramm in der Nachbarschaft
„Kurzfilm im Veedel“ zeigt Filme zu aktuellen Themen in Köln – Festival 09/24
Sorge um die Filmkultur
Veränderungen und Einsparungen stehen vor der Tür – Vorspann 09/24
Disziplin, Drill und Durchlässigkeit
„Mädchen in Uniform“ im Filmforum – Foyer 08/24
Volles Programm(heft)
40-jähriges Jubiläum der Internationalen Stummfilmtage Bonn – Festival 08/24
Sommer-Endspurt
Humor und Weltrettung für Jung und Alt – Vorspann 08/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Queere Menschen in Polen
„Boylesque“ im Filmhaus – Foyer 07/24
Pssst!
Zu Spoilern, Prequels und Remakes – Vorspann 07/24
„Es geht um Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft“
Regisseurin Natja Brunckhorst über „Zwei zu eins“ – Gespräch zum Film 07/24