Tage und Wolken
Italien/Schweiz 2007, Laufzeit: 115 Min.
Regie: Silvio Soldini
Darsteller: Margherita Buy, Giuseppe Battiston, Antonio Albanese, Alba Rohrwacher, Carla Signoris, Fabio Troiano, Antonio Francini, Paolo Sassanelli, Arnaldo Ninchi, Teco Celio
Ein Ehepaar verliert seine bürgerliche Existenz. Der finanzielle Verlust zieht eine ungeahnte Krise nach sich.
Es geht ihnen gut in Genua, der Elsa (Margherita Buy) und ihrem Michele (Antonio Albanese): Sein Job ermöglicht dem Paar ein luxuriöses Leben, viele Reisen und ihr die Möglichkeit, den Doktortitel in Kunstgeschichte nachzuholen. Michele geht gelegentlich das Temperament durch, Töchterchen Alice (Alba Rohrwacher) ist gerade erwachsen und etwas rebellisch, aber insgesamt ist das Leben schön. Bis Michele von seinen beiden Geschäftskollegen gefeuert wird. Schon seit zwei Monaten enthält er seiner Frau den Schicksalsschlag vor. Als sie den Doktor hat, gesteht er seinen Jobverlust. Elsa schwankt zwischen Verständnis und Vorwürfen, während sie nun selbst der Tochter nichts erzählt. Die finanziellen Reserven sind schnell aufgebraucht, das gestrandete Akademikerpaar begibt sich auf Jobsuche. Das Alter ist ein Störfaktor, schon bald winken Kurierdienst und Callcenter. Und der Umzug in eine günstigere Wohnung in einem günstigeren Stadtteil. Wohlstand ade!
Man könnte angesichts der Inhaltsangabe die Nase rümpfen und dem Verlust des luxuriösen Lebensstandards des Pärchens mit Schadenfreude begegnen. Und Regisseur Silvio Soldini („Brot und Tulpen“) hätte daraus eine schwarze Komödie machen können. Doch Soldini spinnt ein wundervoll lebensnahes, mitreißendes Drama über eine Kleinfamilie, der die Existenz unter den Füßen wegbricht und die von nun an mit Verlustängsten zu kämpfen hat, die alltäglich sind und jeden treffen können. Und Soldini spiegelt an seinen Figuren nachvollziehbar die emotionalen Konsequenzen einer existenziellen Krise: vor allem an Michele, der beginnt, an gebrochenem Stolz, Machtlosigkeit und Erniedrigungen zu zerbrechen. Die Nerven liegen blank, der materielle Verlust provoziert ein Wechselspiel von ungeahnter Anfeindung und Wiederannäherung. Psychologisch beleuchtet Soldini die zwischenmenschlichen Auswirkungen in immerzu bewegenden Szenen einer bröckelnden Ehe. Vor allem weil seine Charaktere allesamt nicht fehlerfrei sind, weicht eine etwaige Schadenfreude schon schnell dem Mitgefühl angesichts der Menschlichkeit, aus der die Geschichte zehrt.
Gemildert wird die Not durch die Menschen in der neuen Heimat, in der Siedlung, wo die Nachbarn dem Paar zur Hand gehen und wo Geld schlicht kein Gesprächsthema ist. Ob das am Ende reichen wird, um Elsa und Michele nach allerlei Tiefschlägen wieder zu vereinen, wird nicht verraten. Wohl aber, dass der Regisseur ein bewegendes Ende findet, das nicht zuletzt eins bezeugt: dass Silvio Soldini bei aller Realitätsnähe immer auch ein wundervoller Poet ist.
(Hartmut Ernst)
Kneecap
Start: 23.1.2025
Der Brutalist
Start: 30.1.2025
Poison – Eine Liebesgeschichte
Start: 30.1.2025
Maria
Start: 6.2.2025
Mutiny in Heaven – Nick Caves frühe Jahre
Start: 6.2.2025
Heldin
Start: 27.2.2025
Like A Complete Unknown
Start: 27.2.2025
Das kostbarste aller Güter
Start: 6.3.2025
Flow
Start: 6.3.2025
Köln 75
Start: 13.3.2025
Das Licht
Start: 20.3.2025
The End
Start: 27.3.2025
Kino als Empathie-Maschine
Warum wir Kino in Zukunft mehr brauchen denn je – Vorspann 01/25
Stark durch Solidarität
„Billige Hände“ im Filmhaus – Foyer 12/24
Übers Ankommen in Deutschland
„Zwischen Sein und Nichtsein“ von Leocadie Uyisenga – Film 12/24
Toleranz zum Jahresende
Mit Kino zu mehr Empathie finden – Vorspann 12/24
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
„Mir wurden die Risiken des Hebammenberufs bewusst“
Katja Baumgarten über ihren Film „Gretas Geburt“ – Foyer 11/24
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Liebe und Macht
choices preview zu „Power of Love“ in der Filmpalette – Foyer 10/24
Schnitte in Raum und Zeit
Die 24. Ausgabe des Festivals Edimotion in Köln ehrt Gabriele Voss – Festival 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24