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Vera Drake
Großbritannien 2004
Regie: Mike Leigh
Darsteller: Imelda Staunton, Philip Davis, Peter Wight, Adrian Scarborough, Heather Craney, Daniel Mays, Alex Kelly, Sally Hawkins, Eddie Marsan, Ruth Sheen, Helen Coker Martin Savage

Fassungslosigkeit? Sprachlosigkeit? Wie soll man den Zustand beschreiben, den Imelda Staunton in der letzten halben Stunde von Mike Leighs neuem Film verkörpert. Sie begreift überhaupt nicht mehr, was da vor sich geht. Die von Imelda Staunton dargestellte Vera Drake fällt nicht nur aus allen Wolken, sie fällt aus ihrem Leben, als sie bei einer Familienfeier von der Polizei verhaftet wird. Deutlicher kann man eine Differenz zwischen persönlich gerechtfertigtem Handeln und gesetzlich verbotenen Taten nicht darstellen, als in diesem Aufeinanderprallen von Mütterchen Drake und den Londoner Gesetzeshütern. Mike Leigh ist neben Ken Loach der filmische Chronist der Gesinnungslage der britischen Gesellschaft. Loach hat gerade mit "Just a kiss" eine genaue Beschreibung interkultureller Probleme in der britischen Gesellschaft abgeliefert ? Leigh kontert mit einem Drama um die Problematik der Abtreibung, das wie die meisten seiner Vorgänger ("Naked", "Secrets and lies") in der Unter- bis Mittelschicht spielt. Doch überraschend legt Leigh sein sozialrealistisches Drama erstmals in der Vergangenheit an. Sicher nicht, um einen famosen Ausstattungsfilm zu realisieren. Zwar ist die Ausstattung des Films äußerst gelungen, aber sie ist bei Leigh natürlich keinesfalls Selbstzweck. "England war selbstgefällig, statischÖ", schreibt Jon Savage in seinem Buch "England's Dreaming" über die britische Nachkriegszeit. Die Szenerie in Leighs Film repräsentiert genau diese muffige Gemütlichkeit und wird durch dunkle Räume in schweren Brauntönen bestimmt. Man hat sich in seinem Leben eingerichtet, auch wenn es nicht das Beste ist ? das Ungemütliche wird ausgeblendet. Ungemütliches wie das Verbot von Abtreibungen, das natürlich nur bewirkt, dass diese dann illegal ? verbunden mit einem hohen Risiko für die Frau ? praktiziert werden. Dies sind keine Themen in der Familie Drake und sogar Vera scheint sich dieser Probleme nicht sehr bewusst zu sein. Sie hat irgendwie damit angefangen und weiß gar nicht mehr wann und wie. "Ich helfe Frauen, die in Not sind" erklärt sie den Beamten bei der Vernehmung, mehr bringt sie nicht raus. Mike Leigh gelingt es, diesen merkwürdig vorbewussten Zustand von Vera Drake plausibel herzuleiten. Vera Drake ist schlicht eine herzensgute Frau, die handelt, aber sich nicht allzu viele Gedanken darüber macht, was sie da warum tut und welche Konsequenzen das für sie oder andere haben könnte. Umso erschütternder ist es, wenn sie dann in die Mühlen der Justiz gerät. Denn welche Konsequenzen Drakes Handeln hat, wissen die Beamten natürlich genau. Ebenso wie Leigh an Hand von Vera Drake zeigt, wie Moral und Gesetz kollidieren können, zeichnet er nach, wie mit zunehmendem Dienstgrad der Mensch hinter der Funktion zurücktritt: Ist die Polizistin noch äußerst liebevoll und voller Mitleid, so ist der Kommissar noch verständnisvoll, der erste Richter nur noch sachlich, der zweite, höherrangige aber schon sehr dienstbeflissen und hinter seiner Richter-Rolle als fühlender Mensch nicht mehr wahrnehmbar. Dies spiegelt ein System in einer "Ära, in der jeder wusste, wo er hingehört" (Savage). Leigh ergänzt daher das Bild um das Schicksal einer reichen Bürgerstochter, die mit Hilfe einer psychologischen Indikation eine offizielle Abtreibung erhält ? ein Weg, der der Unterschicht, aus finanziellen wie aus Gründen mangelnder Bildung, nicht offen stand. Aber natürlich verlegt Leigh seinen Film nicht in die Vergangenheit, weil das Thema historisch ist, sondern um es aus dem aktuellen Diskurs zu reißen und einen relativ unverstellten Blick zu gewinnen. Mike Leighs knapper Kommentar: "Es liegt an uns allen, solchen Themen ohne Vorurteile entgegenzutreten und gleichzeitig den Blick für die Realität zu bewahren." Ein Balanceakt, der Leigh mit seinem Film hervorragend gelingt.

(Christian Meyer)

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