Kennen Sie Andrea Asch, Yvonne Gebauer oder Arndt Klocke? Wenn ja, erhalten Sie 99 Punkte und rücken im Rating unter Kölns politikinteressierten Bürgern auf einen vorderen Platz. Für alle anderen zur Erklärung: Die drei aus Köln wollen am 9. Mai in den Düsseldorfer Landtag gewählt werden. Yvonne für die freiheitlich-dekadenten Gelben, Andrea und Arndt für die Grünen. Ihr Bekanntheitsgrad ist gering, deshalb sind sie über die Landesliste ihrer Parteien abgesichert und werden uns mit größter Wahrscheinlichkeit als Mitglieder des Landtags – kurz MdL – wieder begegnen. Die Kölner CDU macht es mit ihrem Vorsitzenden Jürgen Hollstein ebenso wie die Kölner SPD mit ihren Vormännern Jochen Ott und Martin Börschel. Wobei Letzterer bereits MdL ist, im Parlament bisher aber kaum auffiel. Seine relative Bekanntheit verdankt er seiner Tätigkeit als Fraktionsvorsitzender der SPD-Ratsfraktion. Vor kurzem erfand er zusammen mit seinem Kämmerer Norbert Walter-Borjans eine „Kulturförderabgabe“ gegen die desaströsen Folgen des schwarz-gelben Wachstumsbeschleunigungsgesetzes und erregte damit sogar bundesweit Aufsehen. Das Landtagsmandat ist für ihn wie für andere Kommunalpolitiker im Lande unverzichtbar – schon aus finanziellen Gründen. Die meisten MdLs sind daheim Fraktions- oder Parteivorsitzende und können sich so als Berufspolitiker ihren Geschäften in Kommune und Partei unbeschwerter widmen. Berufspolitiker ohne diese Absicherung müssen ihren Wahlkreis direkt gewinnen, ein Risiko mit ungewissem Ausgang. In Köln-Mülheim wagt Marc Jan Eumann (SPD) diesen Schritt, er war bisher vor allem in der Medienpolitik aktiv. In Köln-Süd versucht sich erstmals Barbara Moritz direkt – wenn die derzeitige Vorsitzende der Grünen-Ratsfraktion verliert, muss sie zurück in den Schuldienst.
KLEINE BUNDESTAGSWAHL
Den wirklichen Reiz der anstehenden Landtagswahl machen andere Dinge aus. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat einen respektablen Fehlstart hingelegt und fürchtet um ihre Mehrheit im Bundesrat. Das Wort von der „spätrömischen Dekadenz“ des Guido Westerwelle trifft nicht Hartz IV-Menschen, beschreibt aber ganz gut das Gebaren der Mächtigen. Die Banker und ihre Boni. Auch die Tatsache, dass zur Entourage des aktuellen Vizekanzlers Geschäftsleute wie Cornelius Boersch gehören, die gerne für die FDP spenden, ansonsten mit dubiosen Geschäftspartnern dealen und das Zahlen von Steuern hierzulande als Zumutung empfinden. Boersch stuft sich selbst als „schnell, oberflächlich, opportunistisch“ ein und setzt ganz auf seine „aufgebauten Netzwerke“. Ein anderes erfolgreiches Netzwerk ist die Katholische Kirche, die per Konkordat in den Bundesländern mitmischt und so in NRW u.a. in die Hochschulautonomie eingreift. Auch die 442 Mio. Euro historische Staatsleistungen, die die Länder alljährlich den Kirchen zuweisen, sind kein Wahlkampfthema. Dazu schweigen die Landespolitiker, während die meisten Kleriker ihren Pädophilen-Skandal beschweigen, der nach den USA, Irland und Österreich nun auch Deutschland erreicht hat. Mittlerweile ist die schwarz-gelbe Mehrheit in NRW selbst richtig ins Gerede gekommen. In den letzten Monaten reiht sich ein Skandal an den nächsten. Zuerst diffamierte Arbeitführer Jürgen Rüttgers Rumänen und Chinesen. Dann ließ seine Partei Hannelore Kraft (SPD) überwachen. Schließlich wurde bekannt, dass ein Date mit dem Ministerpräsidenten Rüttgers für 6.000 Euro zu haben war. Von all dem will der Parteivorsitzende Rüttgers nichts gewusst haben. Klar ist damit, dass er seinen Parteiladen nicht im Griff hat. Hinzu kamen eine raffgierige CDU-Landtagspräsidentin oder CDUGrößen mit falschen Doktorentiteln. Und die Freiheitlich- Dekadenten? Die mögen nicht von ihrem Parteichef lassen. Da kann die SPD aktuell kaum mithalten. Sie hat ihre großen Skandale ebenso wie ihre Regierungszeit erst einmal hinter sich.
AUF DER SUCHE
Es geht also um Alternativen. Doch wer steht für den Wechsel? Die SPD kann vor Kraft kaum laufen. Bis vor kurzem kam die Politikerin vor allem als polemische Kratzbrüste rüber. Den NRW-Grünen fehlt es an bekannten Leuten. Fraktionschefin Sylvia Löhrmann ist qua Amt häufiger zu sehen. Der einzige, der in den NRW-Medien daneben als Bürgeranwalt auffällt, ist Verkehrsexperte Horst Becker aus dem Rhein-Sieg-Kreis. Und Die Linke? Wenigstens hat sich herumgesprochen, dass sie weiche Drogen legalisieren will. Dafür hat vor allem die CDU gesorgt. Kein Wunder, dass die politische Farbenlehre im Lande verwirrt. Mit den richtig Roten will keiner, die Grünen wollen Schwarz- Gelb-Grün nicht, die Gelben nicht Rot-Grün-Gelb. Für Schwarz-Gelb wie für Schwarz-Grün wird es kaum reichen. Bleibt also erst einmal Schwarz-Rot. Bei diesen Aussichten könnte man gleich zu Hause bleiben – wenn da nicht noch Berlin wäre. Bleibt NRW schwarz-gelb, drohen uns weitere Varianten des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes. Dabei gibt es viel zu tun. Das finanzielle Ausbluten der Kommunen muss gestoppt werden. Das Bildungssystem muss durchlässig werden – in keinem anderen Land entscheidet die soziale Herkunft so sehr über den sozialen Aufstieg wie hierzulande. Der Klimawandel muss seriös bekämpft werden. Themen, die teilweise seit Jahrzehnten auf der Agenda stehen, ohne dass die Politische Klasse sich kümmert. Ein Restart tut not – dazu braucht es ein Engagement über die Wahl hinaus.
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