Der Veedelsbeirat Mülheim 2020 soll die Programmumsetzung begleiten und die Einbindung der Akteure vor Ort sicherstellen. Seine Zusammensetzung: 15 Mülheimer Bürger, Vertreter lokaler Organisationen/Verbände und Mülheimer Geschäftsleute – den Vorsitz hat Bezirksbürgermeister Norbert Fuchs. Der VB berät die Bezirksvertretung Mülheim in allen MÜLHEIM 2020 betreffenden Fragen. Darüber hinaus entscheidet er über einen Verfügungsfonds von jährlich 50.000 Euro, der kleinere Projekte vor Ort mit bis zu 2.500 Euro fördert. Dass hier mitunter Antragsteller über ihre eigenen Anträge entscheiden, wird von vielen Mülheimern als problematisch empfunden.
choices: Herr Scherer, Herr Honecker, wie nehmen Sie – als Teil der Verwaltung – die Kritik an MÜLHEIM 2020 wahr?
Albrecht Scherer: Jede Maßnahme, die entwickelt wird, braucht ihre Zeit. Die Aufstellung von diesem Programm ist sehr, sehr schnell gelaufen und konnte deswegen natürlich auch nicht in die Tiefe gehen. Was wir jetzt machen, ist, dass wir ab einem bestimmten Zeitpunkt in die Tiefe gehen und dann genau gucken: Reichen diese Fördergelder?
Kritisiert werden etwa handwerkliche Fehler bei der Antragstellung und der Projekte-Definition ...
Wolfgang Honecker: Ich weiß nicht, ob wirklich handwerkliche Fehler gemacht worden sind. Das ist vielmehr ein Knick im Fördersystem – da kann man den Kollegen keinen Vorwurf machen. Die Kostenermittlung läuft zunächst immer über einen Pauschalwert, auf dessen Basis die Fördermittel berechnet werden. Die Probleme kommen dann in der Detailplanung, denn erst da können Sie die tatsächlichen Kosten einschätzen. Insofern ist der Weg des Fördergebers zu sagen „Gut, ich gebe dir für die Maßnahme jetzt eine Million, und das ist unveränderlich“ ein bisschen weltfremd. Es müsste im Nachhinein noch Anpassungsmöglichkeiten geben. Die sieht aber die Fördersystematik nicht vor.
Hängt man die Erwartungen an die städtebaulichen Veränderungen nicht zu hoch? Die Qualität der erneuerten Plätze hängt auch von den Menschen ab, die sich dort tummeln.
Honecker: Genau deswegen ist das Förderprogramm MÜLHEIM 2020 auf unterschiedlichen Säulen aufgebaut. Man darf den Städtebau nicht überschätzen: Wir können Rahmen schaffen und dann festlegen, wo man was darf, aber nicht welche Läden dort aufmachen.
Scherer:Die Wohnumfeld-Verhältnisse zu verbessern und die Quartiersentwicklung zu stärken, das können wir von der stadtplanerischen Seite nur ansatzweise beeinflussen.
Welche Steuerungsinstrumente gibt es etwa für eine Aufwertung des Wiener Platzes?
Honecker: Es gibt zum Beispiel einen Entwurf zum Einzelhandels- und Zentrumskonzept, der 2012 der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Der setzt den Wiener Platz und die Frankfurter Straße bis zum Kaufland hinterm Bahnhof als Bezirkszentrum fest. Für so ein Bezirkszentrum haben wir im Baugesetzbuch ein Instrument, um es als zentralen Versorgungsbereich zu schützen. Da steht u.a., dass auf dieser Fläche keine Vergnügungsstätten zulässig sind, insbesondere nicht diese kleinen Daddelbuden (Spielhallen, die Red.).
Inwiefern greifen die einzelnen Handlungsfelder von MÜLHEIM 2020 ineinander?
Honecker:Durch ihre gesellschaftsbezogenen Aspekte. Man hat sich gefragt, wie kommt man mit diesen Maßnahmen in die Familien, in die Mülheimer Gesellschaft rein? Da ist einerseits die Unterstützung der lokalen Ökonomie, andererseits das Thema Integration und Bildung, wobei ja z. B. die Stadtteilmütter eine wichtige Rolle spielen. Beide Felder sind wichtig, um zusammen mit den räumlichen, städtebaulichen Aspekten, die wir einbringen, das Programm zu einem ganzheitlichen Erfolg zu führen.
Ihre Prognosen für die künftige Entwicklung von Mülheim?
Honecker: Ich will mit Blick auf MÜLHEIM 2020 noch mal betonen, dass die Veränderung eben nicht nur über den Städtebau geht, sondern auch über gezielte Maßnahmen für Bevölkerungsschichten, die wir als Verwaltung überhaupt nicht erreichen. Im Rahmen des Programms gehen zum Beispiel Menschen mit einem eigenen Migrationshintergrund gezielt in die zum Teil sehr geschlossenen Lebensbereiche mancher Migranten und leisten wertvolle Integrations- und Bildungsarbeit. Hier sehe ich den größten Mehrwert des Programms. Man schafft Stellen, um den Kontakt zu Familien und Schulen herzustellen und eine gesellschaftliche Vernetzung zu erreichen, die man rein baulich natürlich nicht herstellen kann.
Scherer: Ich gebe Mülheim gute Chancen, weil im Moment viele Kräfte zusammenwirken, die den Standort weiter stärken können. Die Ergebnisse aus dem rechtsrheinischen Workshop, die wir jetzt weiter bearbeiten müssen. Die Umnutzungen, die eine Riesenchance bedeuten. Die ganze Aufbruchsstimmung, die das Image von Mülheim im Moment prägt. Das zusammengerechnet, passiert hier mächtig was. Aber natürlich hängt es am Ende immer davon ab, wie die Akteure miteinander agieren.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Mülheim am Scheideweg (1)
Veedel zwischen Aufbruch und Gentrifizierung – Spezial 05/18
Gut gedacht, schlecht gemacht?
40 Millionen Euro werden in die Entwicklung von Mülheim gesteckt – MÜLHEIM 2020 – THEMA 11/11 MÜLHEIM 2020
„Mülheim kann weiter wachsen“
Silvia Beuchert über Kultur im Stadtteil, Stadtentwicklung und das Ordnungsamt – Thema 11/11 Mülheim 2020
„Eine Flaniermeile ist für mich Malaga am Strand“
Norbert Fuchs über die Stadtverwaltung und Mülheim im Wandel der Zeiten – Thema 11/11 Mülheim 2020
„Ein Überbietungswettbewerb zwischen den EU-Staaten“
Teil 1: Interview – Migrationsforscherin Leonie Jantzer über Migration, Flucht und die EU-Asylreform
„Die Kategorie Migrationshintergrund hat Macht“
Teil 2: Interview – Migrationsforscher Simon Moses Schleimer über gesellschaftliche Integration in der Schule
„Es braucht Kümmerer-Strukturen auf kommunaler Ebene“
Teil 3: Interview – Soziologe Michael Sauer über Migration und Arbeitsmarktpolitik
„Früher war Einkaufen ein sozialer Anlass“
Teil 1: Interview – Wirtschaftspsychologe Christian Fichter über Konsum und Nostalgie
„Nostalgie verschafft uns eine Atempause“
Teil 2: Interview – Medienpsychologe Tim Wulf über Nostalgie und Politik
„Erinnerung ist anfällig für Verzerrungen“
Teil 3: Interview – Psychologe Lars Schwabe über unseren Blick auf Vergangenheit und Gegenwart
„Viele Spiele haben noch einen sehr infantilen Touch“
Teil 1: Interview – Medienpädagoge Martin Geisler über Wandel in der Videospiel-Kultur
„Genießen der Ungewissheit“
Teil 2: Interview – Sportpädagoge Christian Gaum über das emotionale Erleben von Sportevents
„Ich muss keine Konsequenzen fürchten“
Teil 3: Interview – Spieleautor und Kulturpädagoge Marco Teubner über den Wert des Spielens
„Die Bürger vor globalen Bedrohungen schützen“
Teil 1: Interview – Politikwissenschaftler Oliver Treib über Aufgaben und Zukunft der Europäischen Union
„Mosaik der Perspektiven“
Teil 2: Interview – Miriam Bruns, Leiterin des Goethe-Instituts Budapest, über europäische Kultur
„Der Verkauf des Kaffees nach Europa ist gestoppt“
Teil 3: Interview – Sebastian Brandis, Sprecher der Stiftung Menschen für Menschen, über das EU-Lieferkettengesetz
„Tiefseebergbau ohne Regularien wäre ganz schlimm“
Teil 1: Interview – Meeresforscher Pedro Martinez Arbizu über ökologische Risiken des Tiefseebergbaus
„Wir müssen mit Fakten arbeiten“
Teil 2: Interview – Meeresbiologin Julia Schnetzer über Klimawandel und Wissensvermittlung
„Entweder flüchten oder sich anpassen“
Teil 3: Interview – Klimaphysiker Thomas Frölicher über ozeanisches Leben im Klimawandel
„Es liegt nicht am Gesetz, Kriminalität zu verhindern“
Teil 1: Interview – Kriminologe Dirk Baier über Gewaltkriminalität und Statistik
„Prüfen, ob das dem Menschen guttut“
Teil 2: Interview – Publizist Tanjev Schultz über ethische Aspekte der Berichterstattung über Kriminalfälle
„Eltern haben das Gefühl, sie müssten Buddhas werden“
Teil 3: Interview – Familienberaterin Nina Trepp über das Vermeiden von psychischer Gewalt in der Erziehung
„Ernährungsweisen verändern, ohne Zwang“
Teil 1: Interview – Tierethikerin Friederike Schmitz über vegane Ernährung
„Naturschutz wirkt“
Teil 2: Interview – Biologin Katrin Böhning-Gaese über Biodiversität, Wildtiere und Naturschutz
„Sie verstehen uns“
Teil 3: Interview – Tierhistorikerin Mieke Roscher über die Beziehung zwischen Menschen und Tieren