Wenn Joaquin Phoenix einen Filmpreis entgegen nimmt, belässt er es für gewöhnlich nicht bei Dankesworten. So auch, als er im Februar den Oscar verliehen bekommt für „Joker“. Phoenix mahnt. Fordert mehr Demut im Umgang mit der Erde und Unseresgleichen. Im Anschluss: Applaus. So wie Greta Thunberg jedes Mal Applaus bekommt von den Mächtigen, wenn sie die Mächtigen rügt. Letztere gehen nach ihren kameratauglichen Standing Ovations wieder zur Tagesordnung über. Und das Publikum der Oscarverleihung gondelt anschließend im SUV zurück in die Beverly Hills.
Was also bringen derlei Apelle aus der Filmwelt? Was bringt es, wenn Al Gore in „Eine unbequeme Wahrheit“ zum Handeln in der Klimapolitik gemahnt? Nun, es bringt elf Jahre später eine Fortsetzung: „Immer noch eine unbequeme Wahrheit“. Was bringt es, wenn sich Michael Moore in „Bowling for Columbine“ über den Waffenkult der USA echauffiert? Mehr Waffen. Und wer wird gewählt, nachdem der Regisseur in „Michael Moore in Trumpland“ Donald Trump auseinandernimmt? Richtig: Donald Trump. Und unsereins? Wir sind bestürzt über Filme wie „Die Bucht“, in denen Delfine unter grausamen Umständen für Aquarien oder zum Abschlachten aussortiert werden – und gehen am Sonntag mit den Kindern in den Zoo. Wo die wilden Tiere eigentlich nicht wohnen. Für die einen Glücksoase. Für andere Tier-Knast: eine Kulisse, die uns vermittelt, die Tiere fühlten sich wohl dort und seien unsere Freunde. Sehen, was wir sehen wollen. Illusion. Auch das Kino ist Illusion. Kulisse. Und die Klimakrise bildet dort auch gern mal die Kulisse für große Blockbuster. „Waterworld“, „The Day After Tomorrow“: Der Klimawandel als Abenteuerspielplatz.
Der Mensch weiß vieles, denkt Gutes – und handelt zuwider. Was also soll da ausgerechnet ein Film draußen im Leben verändern? Inwieweit ist überhaupt ein Lichtspielhaus geeignet für die Läuterung? Geht man nicht ins Kino, um abzuschalten? Ja. Und nein. Denn das macht Kino aus: So, wie es uns ins Reich der Fantasie entführen kann, vermag es uns ebenso zurück auf den Boden der Tatsachen zu holen. Diesen März zum Beispiel mit dem Dokumentarfilm „Für Sama“, der vom Alltag in den Rebellenbezirken Aleppos erzählt und in seiner Relevanz gar nicht hoch genug einzuordnen ist. Der etwas in uns bewegt. Ja, oft bleibt durchaus etwas hängen. Von einem Appell, einer Oscarrede, einem Film. Vielleicht funktioniert der Kinobesuch wie die ausgeschmückten Träume in „Inception“: Er verankert sich im Unterbewusstsein und beeinflusst unser Handeln. Irgendwas bleibt immer hängen. Das macht aus einem „Waterworld“-Besucher nicht zwingend einen Klimaaktivisten. Aber vielleicht bewegt er sich ein kleines Stück. Kaum spürbar. Allein wenn das jeder von uns täte: sich nur ein kleines Stück bewegen – der Planet wäre vermutlich schon gerettet. Jetzt müssen nur noch die richtigen Leute die richtigen Filme gucken. Denn ein Trump-Fan schaut sich kaum einen Film von Al Gore an. Aber Trump-Wähler sitzen im (Fernseh-)Publikum bei der Oscar-Verleihung. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Die hemmungslose Leinwand
Sexualität im Kino – Vorspann 10/24
Sorge um die Filmkultur
Veränderungen und Einsparungen stehen vor der Tür – Vorspann 09/24
Sommer-Endspurt
Humor und Weltrettung für Jung und Alt – Vorspann 08/24
Pssst!
Zu Spoilern, Prequels und Remakes – Vorspann 07/24
Sternenkriege und Weißer Terror
Volles Sommerkinoprogramm – Vorspann 06/24
Ernster Mai
Der Frühling schwemmt viele Dokumentarfilme ins Kino – Vorspann 05/24
Show halt
Die Sache mit dem Oscar – Vorspann 04/24
Schöne Aussichten im Kino
Der Festivalauftakt in Berlin verspricht ein gutes Filmjahr – Vorspann 03/24
Krieg auf der Leinwand
Wenn Film über die Front erzählt – Vorspann 02/24
Neue Wege gehen
Starke Persönlichkeiten im Kino – Vorspann 01/24
Filmpolitik im Umbruch
Hoffnung auf Neuregelung und Sorge vor Sparzwang – Vorspann 12/23
Populistische Projektionsfläche
Über zwei befremdliche Filmpräsentationen – Vorspann 11/23
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
„Mir wurden die Risiken des Hebammenberufs bewusst“
Katja Baumgarten über ihren Film „Gretas Geburt“ – Foyer 11/24
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Liebe und Macht
choices preview zu „Power of Love“ in der Filmpalette – Foyer 10/24
Schnitte in Raum und Zeit
Die 24. Ausgabe des Festivals Edimotion in Köln ehrt Gabriele Voss – Festival 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24
„Zuhause sehnen wir uns nach der Ferne...“
Kuratorin Joanna Peprah übers Afrika Film Fest Köln – Festival 09/24
Afrikanisches Vermächtnis
Das 21. Afrika Film Festival widmet sich dem Filmschaffen des Kontinents – Festival 09/24
Kurzfilmprogramm in der Nachbarschaft
„Kurzfilm im Veedel“ zeigt Filme zu aktuellen Themen in Köln – Festival 09/24