Es ist ein merkwürdiges Wesen (Gwendolin Gemmrich), das über die Bühne der Orangerie tanzt. Bekleidet mit einem fleischfarbenen Lendenschurz und einem Bustier stakst es mit gebeugtem Rücken und ständig sich windenden Armen durch eine Skulpturenlandschaft. Eine gnomenhafte Mimik verzerrt das weiß geschminkte Gesicht. Auf dem Rücken baumeln sieben schwarze Kugeln. „Wah“ nennt Theatermacher Kristóf Szabó dieses Wesen, das aus seiner Sicht für die Einheit der Welt steht, die der Mensch durch sein dualistisches Denken zerstört.
Es ist eine Art negative Schöpfungsgeschichte, die hier erzählt wird – jedenfalls, wenn man dem Märchen von Szabó glauben will, das im Programmheft abgedruckt ist. Solch selbstgebastelte Mythen bergen immer die Gefahr des philosophischen Talmi. Dem entgeht auch Szabós „Der Moment – Geometrie der Köpfe – oder wie der Gedanke die Realität erschafft“ nicht. Nachdem Wah seine verkrümmte, orthopädisch bedenkliche unio mystica zelebriert hat, erobern zwei Menschen, eine Frau und ein Mann, die Bühne. Lara Pietjous erstes Wort lautet erwartungsgemäß „Ich“, Roland Sapper dagegen fragt nach dem Bösen in der Welt. Die beiden klettern an einer löchrigen Kletterwand, streifen durch einen Strauß aus Besenstilen, räumen Holzkisten von einen Gestell, das an Duchamps Flaschentrockner erinnert. Dass sie Pat und Mel heißen, injiziert dem Abend noch einen Ladung Beckettschen Endzeitspiels. Doch die Höhe seines irischen Vorbilds erreicht der Abend nie. Mann und Frau erklären sich zu Individuen und beginnen, nach anderen Mitbewohnern zu suchen, während sie die Bühnen umbauen; dann geht es im Assoziationsgalopp vom Paradies zu „MTV-Opfern“ und dem „Schlamm von Woodstock III“. Kaum kommt es beim Aufräumen zum Ehestreit, zerbricht Wah eine Kugel in zwei Hälften, woraus folgerichtig der gesamte Kosmos in Gegensatzpaare zu zerfallen droht. Dualistisches Denken ist eben Teufelszeug. Untermalt von Geräuschsounds (Musik: Cem Güney) zelebriert Szabó eine Art Bewegungstheater mit brüchigen Dialogen, das bis auf einige Bildfindungen weder als Tanz- noch als Sprechtheater überzeugen kann.
„Der Moment“ | Konzept und Regie: Kristóf Szabó | Orangerie | keine Termine im Januar | 0221 952 27 09
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