choices: Herr Quaschning, eines der meiststrapazierten Argumente gegen Solarenergie hierzulande lautet, Deutschland sei zu sonnenarm. Was sagen Sie dazu?
Volker Quaschning: Es gibt ja eine ganze Palette an Argumenten, warum Wind und Solar in Deutschland angeblich keinen Sinn machen. Die kommen immer aus Kreisen heraus, die kein Interesse an einer Energiewende haben, weil sie mit Kohle, Öl und Gas ihr Geld verdienen – oder eben von Menschen, die die Energiewende schlichtweg ablehnen. Wissenschaftlich ist das aber kompletter Nonsens. Natürlich haben wir im Winter wenig Sonne, Wind haben wir dann aber deutlich mehr. Um die Energieversorgung in Deutschland abzusichern, müssen verschiedene erneuerbare Energien mit Speichermöglichkeiten kombiniert werden, dann funktioniert es auch. Solarenergie ist mittlerweile die preiswerteste Form der Energieerzeugung und wir sehen zurzeit einen spannenden Trend: Der Strompreis an der Börse steigt stark an, das heißt, für klassischen Kraftwerksstrom werden sehr hohe Preise verlangt, so dass mittlerweile einige Betreiber von Solaranlagen auf die Einspeisevergütung komplett verzichten. Denn an der Börse können sie mehr erlösen, als ihnen über die erhöhte Einspeisevergütung zugesichert ist. Das zeigt, dass die Solarenergie mittlerweile vollkommen konkurrenzfähig ist und preiswerten Strom zur Verfügung stellen kann. Für die Versorgungssicherheit müssen wir sie natürlich mit Speichern und anderen Energiequellen kombinieren, das ist vollkommen logisch.
„In Deutschland reicht ein Prozent der Ackerflächen aus“
Solarzellen auf Dächern sind das eine. Aber stehen großflächige Solarparks nicht in Konkurrenz zu anderen Nutzungen, wie der Landwirtschaft?
Also, rein rechnerisch würde ein Prozent der Fläche der Sahara ausreichen, um den weltweiten Strombedarf zu decken, um mal die Größenordnung darzustellen – natürlich nicht an einem Ort konzentriert, sondern über die ganze Welt verteilt. Auch in Deutschland reicht vielleicht ein Prozent der Ackerflächen aus. Das ist etwas, das wir sehr gut verschmerzen könnten. Dazu kommt, dass wir Solaranlagen so aufstellen können, dass eine Kombination mit landwirtschaftlicher Nutzung möglich ist, eine Agrarphotovoltaik. Darum sehe ich hier kein Problem und selbst, wenn wir dort wo wir die Module aufstellen die Landwirtschaft aufgeben, hat das auch positive Effekte, denn dann können sich die Böden von der intensiven Bewirtschaftung erholen und die Artenvielfalt nimmt wieder zu. Wenn es darum geht, den Flächenverbrauch einzuschränken, muss man eher über den Fleischkonsum reden. Wenn wir den deutlich reduzieren, halbiert sich auch der Flächenbedarf der Landwirtschaft. Dann würden wir in Flächen ertrinken und könnten auch noch neue Schutzgebiete einrichten. In der Frage ist die Photovoltaik kein treibender Faktor, da sind andere entscheidender.
„Will man wirklich wieder abhängig sein von Energieimporten?“
Vor einigen Jahren waren auch noch utopisch anmutende Großprojekte wie Desertec in der nordafrikanischen Wüste in der Diskussion. Ergeben sich daraus Schwierigkeiten für internationale Beziehungen?
Da muss man inzwischen ohnehin fragen, macht das noch Sinn? Damals war das Konzept interessant, weil Solartechnik relativ teuer war, daher gab es die Überlegung nach Nordafrika zu gehen, denn dort bekommt man das Doppelte aus einer Solarzelle heraus und hat eine Win-Win-Situation: Deutschland bekommt billigen Strom und kann gleichzeitig Nordafrika helfen, sich zu entwickeln. Dadurch, dass die Solartechnik so preiswert ist, hat sich das jetzt verschoben. Das heißt, der Transport ist mittlerweile teurer, es gibt keine Kostenvorteile mehr. Die einzige Argumentation, eine derartige Anlage in Nordafrika zu bauen, ist die Frage nach der Akzeptanz. Wir wollen also keine Windräder oder Solaranlagen sehen und schieben diese daher an die Menschen in Marokko ab – ja, das wäre eine neue Form des Kolonialismus, das müsste man ganz klar sagen. Die nächste Frage die sich stellt, will man wirklich wieder abhängig sein von Energieimporten? Und schafft man es das zeitlich noch umzusetzen, in einem Rahmen, der für den Klimaschutz ausreichend ist? Da kann man klar sagen, wahrscheinlich nein. Der Bau einer Leitung dauert innerhalb Deutschlands schon etwa 15 Jahre, bei einer transkontinentalen Leitung quer durch Europa sollte man mit 25 bis 50 Jahren rechnen. So viel Zeit haben wir einfach nicht mehr. Den Strom für den deutschen Verbrauch werden wir auch innerhalb Deutschlands produzieren müssen.
„Die Frage ist, gelingt es den Wirkungsgrad zu steigern und die Kosten zu senken“
Welche technischen Fortschritte wurden in der Photovoltaik in der letzten Dekade gemacht?
Technisch hat sich gar nicht so dramatisch viel getan, vorherrschend ist immer noch die klassische Siliziumhalbleitertechnologie. Verbessert hat sich in den letzten Jahren der Wirkungsgrad, wir bekommen aus der gleichen Fläche also deutlich mehr Strom heraus. Gleichzeitig sind die Herstellungskosten dramatisch gefallen, das ist der große Fortschritt den wir gemacht haben. Vor fünfzehn Jahren waren die Preise für Solarstrom verglichen mit der Situation heute noch viermal so hoch. So einen Preisverfall auf ein Viertel des früheren Niveaus, das hat man selten irgendwo erlebt. Das ist natürlich auch der Hoffnungsschimmer für den Klimaschutz. Solarstrom ist weltweit zur billigsten Technologie geworden – vor zehn, zwanzig Jahren hat man noch postuliert, es sei die teuerste, das ist wirklich passé.
Hat die Technologie mehr Potential oder sind die Grenzen der Physik absehbar?
Da wird sich noch relativ viel tun. Wir sind bei Wirkungsgraden von 20 Prozent, das ist passabel – auf einem Einfamilienhausdach kann ich mehr Strom produzieren, als das Haus insgesamt verbraucht. Wenn sich der Wirkungsrad noch weiter steigert, umso besser, dann brauchen wir einfach noch weniger Fläche. Wenn wir die Grenzen der Physik ausreizen würden, könnten wir wohl 80 Prozent erreichen – allerdings nicht mit der Siliziumtechnik, da bräuchten wir noch andere Ansätze. Was die Physik anbelangt, ist also noch richtig viel Luft nach oben, allerdings würde der Herstellungsaufwand wieder steigen. Die spannende Frage ist daher, gelingt es den Wirkungsgrad deutlich zu steigern und gleichzeitig die Kosten zu senken – da tut sich sicherlich noch ein bisschen was, wir werden in zehn, zwanzig Jahren Module sehen, die deutlich höhere Wirkungsgrade haben und deutlich weniger kosten. Für die globale Energiewende und -versorgung spielt das aber im Grunde keine Rolle mehr, weil der Energiemarkt stark reglementiert ist und subventioniert wird. Da hilft auch eine extrem preiswerte Photovoltaik nur bedingt weiter. Insofern hängt der Durchbruch der Solartechnik jetzt nicht mehr an technologischen Entwicklungen, sondern daran, ob man die Rahmenbedingungen schafft, oder diese eben verhindert.
„Man hat die Solarbranche geopfert“
Wie haben sich diese Rahmenbedingungen im letzten Jahrzehnt geändert?
Bis 2012 war es die Idee des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), mehr zu bauen und Photovoltaik zu fördern, aber dann hat sich die Denkweise verändert. Ziel der Neufassung des EEG von 2012 war es, zu verhindern, dass mehr Solarenergie gebaut wird. In den entsprechenden Gesetzen wurden überall Bremsen und Deckel eingebaut, da man gesagt hat, wir wollen zwar weiterhin Solartechnik, aber nur bis zu einem gewissen Grad. Die Mengen hat man damals sicher auch am stillen Tisch mit RWE und Co ausgehandelt. Denn es ging im wesentlichen darum – das hat man damals nicht laut ausgesprochen – dass die Zubauzahlen der Solartechnik so hoch waren, dass die klassischen, auf Braunkohle basierenden Geschäftsmodelle von RWE und Co innerhalb von fünf bis zehn Jahren zerstört gewesen wären und man Braunkohlekraftwerke eigentlich nicht mehr hätte wirtschaftlich betreiben können. Das wollte man verhindern und hat dafür die Solarbranche geopfert. Das gibt natürlich niemand zu – die offizielle Linie war, dass die Kosten zu hoch seien, und deswegen gebremst werden musste, damit die Bürger noch bezahlbare Stromrechnungen haben. Nur sind die Kosten zwischen 2012 und 2015 dramatisch gefallen, das heißt, ab 2015 hätte es im Grunde gar nicht mehr weh getan, weiter auszubauen und gerade da hat man im Prinzip den Markt abgewürgt. Wäre es um die Kosten gegangen, hätte man es drei Jahre früher machen müssen. Da ging es also im wesentlichen um Geschäftsmodelle. Jetzt erkennt man, dass man die Solartechnik wegen des Klimaschutzes doch braucht und fängt wieder von vorne an, aber das ist halt Politik.
„Der Verlust von Knowhow hat mich schockiert“
Die Folgen für die Solarindustrie waren bekanntlich drastisch.
Ganz klar. Noch 2012, vor der Neufassung des EEG, haben wir Solaranlagen mit einer Leistung von 7,5 Gigawatt gebaut – ein Gigawatt ist die Leistung eines Atomkraftwerks – das ist bis 2015 auf 1,5 Gigawatt eingebrochen, also weniger als ein Viertel. Die Solartechnik hätte eben noch günstige Rahmenbedingungen und auch Förderung gebraucht. Die hat man aber so zusammengestrichen, dass der Markt kollabiert ist. In der Folge sind 80.000 Arbeitsplätze abgebaut worden, die Photovoltaik in Deutschland war tot. Die ganzen Produktionslinien, die in Deutschland produziert haben, sind abgezogen worden, China hat sie übernommen und ist mittlerweile Weltmarktführer in der Solarbranche. Das ist es, was wir aufgegeben haben. 2015 war in dieser Hinsicht der absolute Tiefpunkt. Das war damals eine schlimme Zeit, weil die Topleute, die wir ausgebildet haben, alle ihre Stellen verloren haben, weil die Firmen alle insolvent gegangen sind. Gut, Ingenieurinnen und Ingenieure bekommen in Deutschland auch andere Jobs, Arbeitslosigkeit ist also nicht das Problem, aber es war der Verlust an Knowhow, der mich so schockiert hat. Ab 2015 ging es dann langsam wieder aufwärts. Das ist jetzt sechs Jahre her, es hat also langsam schon etwas von Vergangenheitsbewältigung.
Hätten die Folgen dieser politischen Entscheidung mehr Beachtung finden sollen?
Dass diese Entwicklung in der Öffentlichkeit nicht groß wahrgenommen wurde, ist sicher richtig. Aber 2012 wurde die Diskussion um die Kosten in allen Medien geführt. Es gibt die INSM, die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, hinter der Arbeitgeberverbände stehen, die wollten die Solartechnik abwürgen. Durch die Einführung die Solarenergie hatten wir eine sehr starke Konkurrenz auf den Strommärkten und die Preise für Kohlestrom sind so stark unter Druck geraten und gefallen, dass die Industriestrompreise 2015 so niedrig waren wie nie zuvor. Man hat aus der Industrielobby heraus die Solartechnik abgeschossen und das Argument der Kosten sehr stark in den Vordergrund gestellt. Auch in der Bevölkerung ist daher angekommen: Solarstrom ist teuer und der Strompreis steigt, deshalb müssen wir etwas langsamer machen mit dem Ausbau. Das hat man so häufig wiederholt, dass es am Ende alle nachgeplappert und geglaubt haben. Da ist viel Lobbyarbeit und Geld geflossen. Die INSM hat für ihre damalige Kampagne viele Millionen Euro investiert, um dieses Kostenargument einzuhämmern.
„Wir brauchen eine konzertierte Aktion“
Welche politischen Maßnahmen sind nötig, um die Fehler der Vergangenheit auszubügeln?
Wir müssen einfach ausrechnen, was wir jährlich zubauen müssten, um noch irgendein Klimaziel zu erreichen: Das müsste etwa vier- bis sechsmal über dem heutigen Niveau liegen. Um das zu erreichen, müsste man erst mal alle Bremsen lösen. Im EEG kann ich sofort 20 Passagen nennen, die nur das Ziel haben, den Ausbau zu begrenzen, zu reglementieren, zu erschweren. Die muss man erst einmal alle streichen, dann würde sich da schnell ganz viel tun, ganz klar. Eine Verdoppelung wäre so sicher nicht das Problem, aber wenn man den Faktor vier oder sechs erreichen will, stellt sich die Frage des Personalbedarfs. Wenn ich sechsmal so viel bauen will, braucht es auch sechsmal so viele Leute, die haben wir im Moment gar nicht. Man muss es also von politischer Seite auch wirklich wollen und massiv begleiten, mit Umschulungsprogrammen und ähnlichem. Wir reden im Moment viel über die Leute, die beim Braunkohleabbau freigesetzt werden, oder auch in der Automobilindustrie, weil die Herstellung von Elektroautos weniger Personal braucht. Da bräuchte es jetzt einen intelligenten Weg, wie man dieses Personal fit für die Energiewende macht, um auch die erforderlichen Mengen bauen zu können. Das heißt, wir brauchen jetzt wirklich eine konzertierte Aktion, in der alles ineinander greift: Die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass die nötigen Menge an Solaranlagen gebaut werden kann und dafür sorgen, dass wir das nötige Personal und Material haben. Sonst haben wir tolle Rahmenbedingungen und stecken Gelder rein, und findet trotzdem niemanden, der das bauen kann. Das treibt ja auch wieder die Preise hoch, ohne dass wir einen Nutzen davon haben.
„Eine Verdoppelung der Solarkraft reicht nicht aus“
Wie bewerten sie die Pläne der Parteien?
Die Parteien sind relativ schwammig, was Ankündigungen angeht. Bei der Windenergie ist man noch schwammiger, für die Photovoltaik gibt es immerhin Ziele. Grüne, SPD und Linke haben für nach der Wahl Ausbauziele genannt, die auf eine Verdoppelung hinauslaufen. Nur, das reicht für den Klimaschutz nicht. Faktor zwei ist eben viel zu niedrig, wir brauchen Faktor vier bis sechs, das ist bei keiner der Parteien angekommen. Da werden wir noch einige Diskussionen führen müssen, denn wenn wir weiterhin nur mit Faktor zwei zubauen, werden wir keine Ziele erreichen. Dann wird sich auch das Verfassungsgericht wieder zu Wort melden, dass mehr passieren muss und dann werden wir vor dem Dilemma stehen, dass wir es im Expresstempo nachholen müssen und kaum noch hinbekommen können. Darum muss man jetzt etwas cleverer sein und auch von hinten her denken und sagen: Wir haben konkrete Ziele, wir brauchen gewisse Ausbaumengen und eine Verdoppelung der Solarkraft reicht nicht aus.
Die FDP setzt auch in der Klimapolitik auf den Markt, die Grünen auf Regulierung. Sehen Sie, wie daraus eine effektive Synthese entstehen kann?
Beide eint, dass sie in ihren Wahlprogrammen wirksamen Klimaschutz und das Einhalten des Pariser Klimaschutzabkommens versprochen haben, aber bisher zu wenig Maßnahmen zum Einhalten der 1,5-Grad-Grenze ergreifen wollten. Es spricht nichts dagegen, staatliche Regeln mit marktwirtschaftlichen Instrumenten zu verbinden. Wenn beide Parteien wirklich wirksamen Klimaschutz im Auge haben, könnte das sogar vielversprechend sein und in der Summe sogar das Klimaschutztempo erhöhen.
GRÜNE ENERGIE 2030 - Aktiv im Thema
klimawende.koeln | Die Kölner Bürgerbewegung Klimawende setzt sich mit einem Bürgerbegehren für die vollständige Versorgung mit Ökostrom bis 2030 sein.
ende-gelaende.org | Die Bewegung Ende Gelände kämpft für einen konsequenten Ausstieg aus der Kohle- und Atomkraft.
alle-doerfer-bleiben.de | Deutschlandweites Bündnis für den Erhalt der vom Braunkohleabbau bedrohten Dörfer.
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