Zum Thema Frauenrechte haben zuletzt emotional aufgeladene Debatten wie die um Gina-Lisa Lohfink oder ein etwaiges Burka-Verbot die Medien beherrscht. Abgesehen davon stellt sich die Frage nach der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Auch wenn unbestritten ist, dass die Frauenemanzipation vorangeschritten ist und Erfolge erzielt wurden, ist ebenfalls zu konstatieren, dass sich ihre Situation in einigen Bereichen nicht verbessert, ja sogar verschlechtert hat.
Hier ließen sich Aspekte wie (Alters)Armut, Pay Gap, geschlechtsspezifischer Einkommensunterschied oder mangelnde Vereinbarkeit von Kind und Karriere anführen. Ein weiteres Faktum: der Gender Backlash, der Gegenschlag gegen Feminismus. 1991 veröffentlichte die amerikanische Journalistin Susan Faludi das Buch „Backlash: The Undeclared War against American Women“, worin sie einen Gegenangriff auf die von der Frauenbewegung errungenen Rechte beschrieb. Insbesondere würden negative Stereotype über berufstätige Frauen verbreitet. Das Buch rief eine breite Debatte hervor, wurde von konservativer Seite kritisiert und erhielt eine Auszeichnung. 2008 benannte Katherine van Wormer, Professorin für Soziale Arbeit an der University of Northern Iowa, die Folgen des Backlash‘ in den USA: Weniger Sozialleistungen und Geld für Frauen sowie Beratungsstellen, (infolgedessen) eine steigende Zahl junger obdachloser Frauen, die unter sexueller Ausbeutung und Drogenabhängigkeit leiden. Das Abtreibungsrecht wird infrage gestellt, uneheliche Schwangerschaften gleichzeitig geächtet. Weniger Unterstützung für Gewaltopfer, deren Glaubwürdigkeit unterminiert wird, während Frauen zunehmend als Täterinnen dargestellt werden. Die Trends lassen sich auch in Kanada, Europa und dem Nahen Osten beobachten. Van Wormer stellt dies in den Kontext globaler Entwicklung: Neoliberalismus, Materialismus und Kriminalität fördern antifeministische Stimmungen. Bewegungen, die die Rolle des Mannes in Familie und Berufsleben stärken wollen, wachsen.
Diese Einschätzungen teilt die Münsteraner Philosophin Katja Stoppenbrink hinsichtlich des Wissenschaftsbetriebs: „Viele Männer sehen sich durch Frauenförderungen ungerecht behandelt und stellen sie infrage. Diese sind jedoch notwendig, solange Frauen immer noch unterrepräsentiert sind. Erst dann ist an Abschaffung zu denken.“ Dass auch die Gläserne Decke, die den beruflichen Aufstieg von Frauen hemmt, angezweifelt wird, ärgert Stoppenbrink, denn diese sei durch Studien bewiesen. Obwohl es an allen Unis Gleichstellungsbeauftragte gibt, sieht die Philosophin deren Position geschwächt: „Früher fungierten unabhängige Professorinnen, die nichts zu befürchten hatten. Heute sind es im Rektorat angesiedelte, abhängige Stabstellen – ein strukturelles Manko.“
Vor kurzem hat Katja Stoppenbrink die Tagung „Frauen in der Wissenschaft“ organisiert, die große Nachfrage erfuhr. Ausgangspunkt war die Tatsache, dass trotz Förderung die Zahl der Hochschullehrerinnen nur langsam steigt. „Anfangs sehen Jungakademikerinnen ihre Benachteiligung nicht“, so Stoppenbrinks Erfahrung. „Erst am Flaschenhals, wenn sie sich auf eine der wenigen Professuren bewerben, erkennen sie die Bedeutung von Frauenförderung.“ Obwohl laut Statistischem Bundesamt inzwischen über 50% der Absolventen Frauen sind, liegt ihr Anteil bei den Professoren nur bei 22%, bei den hochdotierten C4-Stellen sogar nur bei 11%.
Für den Aufstieg von Frauen kämpft auch eine der mächtigsten Managerinnen der Welt: Sheryl Sandberg ist Operative Geschäftsführerin bei Facebook mit 30 Mio. Dollar Jahresgehalt. In ihrem Buch „Lean In: Women, Work and the Will to Lead“ schildert sie, was Frauen am Aufstieg hindert und ermutigt sie, am Konferenztisch vorn Platz zu nehmen. „Traut Euch!“ ist ihre Botschaft. Eines der Hauptprobleme ist die mangelnde Vereinbarkeit von Karriere und Familie. „In Deutschland ist das Kinderbetreuungsangebot unzureichend“, so Stoppenbrink. „Wir hinken Skandinavien hinterher, wo es selbstverständlich ist, um 16 Uhr die Kinder abzuholen.“
Fakt ist, dass sich kritische Stimmen am Feminismus mehren, auch von Frauen. So sprach sich 2015 die Journalistin Ronja von Rönne in ihrem Artikel „Warum mich der Feminismus anekelt“ gegen Frauensolidarität und für Einzelkämpfertum aus. Später distanzierte sie sich von dem Text, den sie alsspontane Wutrede verstanden wissen wollte.
So zeigt die Zwischenbilanz ein durchwachsenes Ergebnis. Die Erfolge überwiegen, festzustellen sind aber auch Rückschritte und Stimmungsdreh beim Kampf der Frauen um Gleichberechtigung. Stimmt die feministische Zielrichtung noch? Und last but not least: Wie kann ein harmonisches Miteinander der Geschlechter zum Wohl aller erreicht werden?
Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und engels-kultur.de/thema
Aktiv im Thema
www.hdfg.de | Haus der FrauenGeschichte (HdFG) Bonn fördert geschlechterdemokratisches, historisches Bewusstsein
www.dab-ev.org | Deutscher Akademikerinnenbund e.V., einer der ältesten Frauenverbände Deutschlands, setzt sich für die Förderung von Frauen und ihre Gleichberechtigung in Familie, Beruf und Politik ein
Thema im November MÄNNERMACHT
Wie auch das „starke Geschlecht“ von der Emanzipation profitiert
Neue Männlichkeit zwischen Weinen, Wickeln und Weiterentwicklung. Wann ist ein Mann ein Mann? Schreiben Sie uns unter meinung@choices.de.
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Vereinbarkeit nur für Frauen?
"Eines der Hauptprobleme ist die mangelnde Vereinbarkeit von Karriere und Familie."
Wenn das eines der Hauptprobleme ist, warum wird es nicht sowohl für Frauen, wie auch für Männer angegangen?
Warum muss nach Trennung und Scheidung sich ein Vater der "erhöhten Erwerbsobliegenheitspflicht" beugen - also das Alleinernährerideal bedienen - statt mehr Zeit für die Kinder im Wechselmodell zu haben?
Es ist das Familienrecht, die Familienrechtsprechung, die Rollenstereotype festschreibt.
Der Feminismus hängt an diesem Familienrecht, also, hängt es an Rollenstereotype.
Daher ist es nicht lauter, zu behaupten, dass der Feminismus für eine moderne Gesellschaft steht, wenn es sich für ein tradiertes Familienbild stark macht, das durch die Justiz vertreten wird.
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