Obwohl Frauen mittlerweile seit rund 100 Jahren im Journalismus vertreten sind, kann von Gleichberechtigung keine Rede sein. Immer noch sind Führungspositionen mehrheitlich von Männern besetzt, verdienen männliche Kollegen besser als weibliche, arbeiten Journalistinnen häufiger frei mit weniger Absicherung. Eine Möglichkeit, diesem Missstand abzuhelfen, besteht in der Teilnahme an Frauennetzwerken. Dass diese gestern wie heute wichtig sind für das berufliche Vorwärtskommen, darüber waren sich Altjournalistin Marlies Hesse und Tina Groll, Karriere-Ressortleiterin bei „ZEIT Online“, beim BÄM! Talk #2 unter der Moderation von Luise Pilz einig. Obwohl beide unterschiedlichen Generationen angehören, scheint die Problematik seit Jahrzehnten unverändert.
Marlies Hesse (82) war persönliche Referentin des Intendanten beim Deutschlandfunk, Leiterin der journalistischen Ausbildung für ARD und ZDF und Geschäftsführerin des Journalistinnenbundes. Seit vielen Jahren engagiert sie sich für Frauenförderung. Hesse über ihre Karriere: „Ich wurde vom Pressechef des DLF sehr gefördert. Damals gab es dort nur Männer. Nach seiner Pensionierung hätte ich seinen Posten übernehmen können, was ich leider nicht tat. Der Mann, der dann kam, war eine Lusche.“ Gelächter im vollen Saal im Solution Space, wo „And She Was Like: BÄM!“, eine Initiative junger Frauen aus Kunst und Design für Gleichstellung in Beruf und Gesellschaft, zum zweiten Mal ihren Talk veranstaltet. Tina Groll, die auch bei „Die Chefin – der Blog für Führungsfrauen“ schreibt, schildert, dass sie von Frauennetzwerken unterstützt wurde, die sie auch empfohlen haben. „Man muss aber auch für eine Sache brennen, Fleißarbeit leisten und darf keine Angst haben.“
Sie schildert auch Schwierigkeiten: „Ich wurde als ‚junge Frau‘ abgestempelt, musste mir in Männerrunden schmutzige Witze anhören und konnte nie ich selbst sein.“ Obwohl beide der Ansicht sind, dass Frauennetzwerke bei der Karriere helfen, zeichnen Studien ein widersprüchliches Bild. Frauenbünde seien nur dann erfolgreich, wenn genügend Alphatiere, Entscheiderinnen in Machtpositionen vorhanden seien, die andere nachziehen können. Allerdings, auch das belegen Studien, neigen erfolgreiche Frauen dazu, jüngere nicht zu unterstützen. Groll zu choices: „Die ‚Stutenbissigkeit‘ hat auch mit Neid zu tun. Man kann versuchen, den Konflikt anzusprechen und Bewusstsein für Verbindendes zu schaffen. Allerdings sehen Frauen Konkurrenz bedrohlicher als Männer. Da habe ich auch keine Lösung.“ Marlies Hesse, die 2003 für ihr Gleichstellungsengagement mit dem deutschen Verdienstorden ausgezeichnet wurde, weist darauf hin, dass Teilhabe in Netzwerken ein ‚Geben und Nehmen‘ ist: „Man soll sich engagieren, darf nicht aufdringlich sein und muss auch ‚Danke‘ sagen können.“ Sie selbst hat in 30 Jahren Networking viele positive Erfahrungen gemacht, vor allem Freundschaften fürs Leben geschlossen.
Tina Groll weiß, dass Förderprogramme, die mittlerweile viele DAX-Unternehmen anbieten, für Frauen zur Falle werden: „Während Frauen in der Förderschleife hängen, machen Männer Karriere!“ Und erklärt auf Nachfrage: „Den Frauenförderprogrammen hängt der negative Beigeschmack einer ‚Karrierehilfe‘ an.“ Frauen schaffen es zwar ins mittlere Management, jedoch selten bis in Führungspositionen. Groll dazu: „Viele Frauen fühlen sich in Führungspositionen nicht wohl, weil sie Widerstand aus dem Mittelmanagement bekommen. Das ist allerdings empirisch schwer messbar. Viele entscheiden sich dann für Familie und Kinder.“ Marlies Hesse hatte übrigens 2002 beim Journalistinnenbund einen Nachwuchspreis gestiftet – aus eigener Tasche, was nicht bekannt werden sollte. 2012 wurde der Preis nach ihr benannt – einer der wenigen nach einer Frau benannten in der Branche.
In weiterer Folge kommt die Runde auf die schwere Vereinbarkeit von Karriere und Kindern zu sprechen. Groll weist auf regionale Unterschiede hin: „Während im Rheinland 30% der Väter in Karenz gehen, sind es in Ostdeutschland 40%.“ Sie rät dem überwiegend weiblichen jungen Publikum, solche Fragen auch bei der Partnerwahl zu berücksichtigen.
Einig sind sich beide Rednerinnen, dass die Situation für junge Journalistinnen schwierig geworden ist. Neben der Empfehlung des Networking haben beide noch Tipps parat. Groll: „Man muss auf Tagungen gehen, Vorschläge machen, sich einbringen.“ Hesse empfiehlt Mentorinnen, die junge Kolleginnen bei der Berufsplanung unterstützen. Aus dem Publikum folgen Hinweise auf weitere Frauennetzwerke und -aktivitäten wie den Equal Pay Day oder Internationalen Frauentag. Zum Schluss gibt’s noch einen Extratipp: „Wichtig ist trotz allem, mit den Männern zusammenzuarbeiten.“
Der nächste BÄM!-Talk findet am 2. März statt.
Info: www.andshewaslikebam.de
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