Eine Frau mit Überzeugung, ein Buch mit Tiefe – besser hätte man zweieinhalb Stunden in der KHM nicht füllen können. Natasha A. Kelly stellt ihr Buch „Schwarzer Feminismus – Grundlagentexte“ vor. Und macht deutlich: Das geht uns alle an.
Das Buch der Kommunikationssoziologin umfasst eine ausgewählte Sammlung deutscher Übersetzungen von relevanten Texten schwarzer Feministinnen. Den Ausgangspunkt bildet die Rede „Ain‘t I a Woman“ von Freiheitskämpferin und Frauenrechtlerin Sojourner Truth auf einem Frauenkongress in Akron, Ohio. Die Rede markiert für Kelly den Ursprung des Diskurses und die Entstehung des Begriffes der Intersektionalität. Und meint damit: die Form der Mehrfachdiskriminierung. Sojourner Truth ist der Meilenstein, auf den sich alle weiteren Autorinnen in Kellys Buch beziehen: Angela Davis, The Combahee River Collective, bell hooks, Audre Lorde, Barbara Smith, Kimberlé Crenshaw und Patricia Hill Collins.
Mit der chronologischen Anordnung der Texte möchte Kelly eine Kontinuität schaffen, die unter anderem eine Antwort auf die Frage geben soll: Wie sah Widerstand aus und wie hat er sich entwickelt? Gleichzeitig kann das Buch als Ehrung der Ende des 18. Jahrhunderts geborenen und versklavten Sojourner Truth verstanden werden, die durch ihr Leben und Wirken den Grundstein für den sich noch heute im Prozess befindlichen Diskurs um schwarzen Feminismus gelegt hat.
„Ain‘t I a Woman?“
Kelly stellt in der KHM das Leben Sojourner Truths vor und liest ihre Rede – eine gelungene Einleitung für die Vorführung von „Sojourner“, einem 22-minütigen Film von Cauleen Smith aus dem Jahr 2018. Ausgesucht hat ihn die Moderatorin des Abends, Dr. Maxa Zoller, unter anderem neue Leiterin des Internationalen Frauenfilmfestivals Dortmund / Köln (24 - 29.3.). Smith reimaginiert in ihrem Film eine radikale feministische Utopie und schafft eine Hommage an Sojourner Truth. Der Film verbildlicht die spirituelle Reise, auf die sich die Frauen begeben, bekleidet mit afrofuturistischen Outfits, deren Leuchtkraft eine ungeheure Energie erzeugt. Untermalt werden die ausdrucksstarken Bilder von Zitaten aus der der afro-amerikanischen Freiheitsbewegung.
Resist und reimagine – genau an dem Punkt stecke Deutschland momentan fest, so Kelly. „Dieses Neudenken, dieses reimaginieren, visionieren, überhaupt Räume zu kriegen, zu kämpfen, wir sind ständig am fighten fighten fighten.“
Im Anschluss an den Film folgt ein Gespräch zwischen Kelly und Zoller – das schnell deutlich macht, dass die Bedeutung von Schwarzem Feminismus noch keinen Konsens gefunden hat. So antwortet Kelly auf die Frage Zollers, ob ihr starker Eingriff in die Texte hinsichtlich der Übersetzung nicht auch kritisch wäre: „Ja, das höre ich oft aus eurozentristischer Perspektive.“ Und stellt klar, „Übersetzen ist feministisches Handeln, ist ‚transforming silence into language' um die Worte von Lorde zu benutzen.“ Es wäre schlicht und ergreifend nicht mehr notwendig beispielsweise das N-Wort zu verwenden, da es Alternativen gäbe, durch deren Verwendung sich die Bedeutung des Textes keinesfalls ändern würde.
Es wird deutlich, wie viele Diskussionen Kelly und ihr Team geführt haben müssen bezüglich einzelner Begriffen und Anpassungen. Dass die Leser über einige Stellen vermutlich stolpern werden, wäre richtig und wichtig, denn: „So viel Selbstbewusstsein muss sein, im antirassistischen Kampf.“
„Das Buch ist für dich!“
Die Resonanz der abschließenden Diskussionsrunde verdeutlicht, wie wichtig die Thematik des Buches ist, die gerade erst Einzug in das allgemeine Bewusstsein, wie auch in den Bestand universitärer Bibliotheken hält. Der Weg zu einem differenzierten Umgang mit dem Gegenstand scheint noch ein langer zu sein. Gerade weil viele Rassismus für erledigt halten – das sind jedoch meistens diejenigen, die davon nicht betroffen sind.
Eine Besucherin erklärt, dass sie oft nicht wisse, wie sie anderen deutlich machen kann, dass sie mehr Rechte haben und dies oft nicht sehen. Damit trifft sie einen für die Herausgeberin zentralen Punkt – dass weiße Frauen oft nicht wahrhaben wollen, dass weibliche People of Color sich mit Vorurteilen konfrontiert sehen, die erstere schlichtweg nicht kennen. Es müsse deshalb in diesem Diskurs auch mal in Ordnung sein zu sagen: „Sit down and shut up“, so die Herausgeberin.
Eine weitere Zuhörerin bedankt sich ausdrücklich bei Kelly für das Buch und erklärt, dass rassistische Konfrontationen bei ihr seelische Schäden hinterlassen hätten und sie immer das Gefühl gehabt habe, dass für sie gesprochen werde. Kelly: „Das Buch ist für dich! Das ist der Grund, warum ich das mache, was ich mache… und für alle Schwestern, die vor dir und neben dir stehen.“
Mit welchen Hoffnungen und Ängsten sie auf die Zukunft des schwarzen Feminismus schaue, möchte ein Besucher von Kelly wissen. „Oh, we‘re gonna save the world, honey, und ihr werdet dankbar sein, wenn wir es tun“, so Kelly. „Um es mit den Worten von Sojourner Truth zu sagen: ‚Wir werden die Welt wieder auf die Füße stellen.‘“
Ihr Buch ist ohne Frage ein wichtiger Schritt hin in diese Richtung. Es soll den Anfang einer Reihe stellen, denn laut Kelly gibt es eben nicht den einen schwarzen Feminismus, viel mehr gäbe es viele feministische Ansätze, die aus einem schwarzen Kontext kommen. Es geht darum verschiedene Blickwinkel einzunehmen und darum, die entsprechenden Frauen für sich selbst sprechen zu lassen.
Natasha A. Kelly (Hg.): Schwarzer Feminismus: Grundlagentexte | Unrast Verlag | 232 S. | 16 €
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Theater von und für Frauen
Die BUSC zeigte im Stream das „Femme BUSCival“ – Bühne 03/21
Wie Frauen zu sein haben
Jovana Reisingers zweiter Roman „Spitzenreiterinnen“ – Wortwahl 03/21
#WeSitWithYou
Koreanerinnen erinnern an sexualisierte Kriegsgewalt – Teil 2: Lokale Initiativen
Autorinnen im Fokus
Weltfrauentag im Literaturhaus Köln – Literatur 03/20
„Wenn wir streiken steht die Welt still!“
Frauen*streikbündnis demonstriert am Weltfrauentag – Spezial 03/20
„Feminismus ein Gesicht geben“
Jasmin Mittag über die Ausstellung „Wer braucht Feminismus?“ – Interview 03/20
Geheimnisse und Lügen
Rachel Cusks radikaler Bericht über das Mutterwerden – Textwelten 02/20
Revolution und Vulva-Lolly
„Revolt. She said. Revolt again.“ am Freien Werkstatt Theater – Theater am Rhein 03/20
„Alice Birch verdreht Situationen und Sprache“
Killer&Killer inszenieren das feministische Stück „Revolt. She Said. Revolt Again.“ – Premiere 02/20
Die Gebär-Übermutter und der Philofeminist
„W.H.A.M.“ von c.t.201 an der Studiobühne – Auftritt 02/20
Ausgeliehene Perspektiven
Feministisches Literaturfestival „Insert Female Artist“ – Literatur 10/19
Leben und Tod
Ebertplatz Diary: Critical Rave, Totschlag und #metoo – Spezial 09/19
Doppelte Enthüllung
„Sputnik“ von Nikita Afanasjew – Literatur 12/24
Kampf den weißen Blättern
Zwischen (Auto-)Biografie und Zeitgeschichte – ComicKultur 12/24
Eine wahre Liebesgeschichte
Thomas Strässles „Fluchtnovelle“ – Textwelten 12/24
ABC-Architektur
„Buchstabenhausen“ von Jonas Tjäder und Maja Knochenhauer – Vorlesung 11/24
Übergänge leicht gemacht
„Tschüss und Kuss“ von Barbara Weber-Eisenmann – Vorlesung 11/24
Auch Frauen können Helden sein
„Die Frauen jenseits des Flusses“ von Kristin Hannah – Literatur 11/24
Comics über Comics
Originelle neue Graphic Novels – ComicKultur 11/24
Die zärtlichen Geister
„Wir Gespenster“ von Michael Kumpfmüller – Textwelten 11/24
Nachricht aus der Zukunft
„Deadline für den Journalismus?“ von Frank Überall – Literatur 10/24
Zurück zum Ursprung
„Indigene Menschen aus Nordamerika erzählen“ von Eldon Yellowhorn und Kathy Lowinger – Vorlesung 10/24
Eine Puppe auf Weltreise
„Post von Püppi – Eine Begegnung mit Franz Kafka“ von Bernadette Watts – Vorlesung 10/24
„Keine Angst vor einem Förderantrag!“
Gründungsmitglied André Patten über das zehnjährige Bestehen des Kölner Literaturvereins Land in Sicht – Interview 10/24
Risse in der Lüneburger Heide
„Von Norden rollt ein Donner“ von Markus Thielemann – Literatur 10/24