Es war ein Paukenschlag, der nicht nur in Köln und Leverkusen zu vernehmen war: Im April kündigte Straßen.NRW den Vertrag mit dem Generalunternehmer für den Neubau der Leverkusener Rheinbrücke, die österreichische Porr AG. Grund: mangelhafte Stahlteile aus chinesischer Fertigung. Damit kommt es bei einem der wichtigsten Infrastrukturprojekte der Bundesrepublik zu Verzögerungen mit unüberschaubaren Konsequenzen. Nach dem Hauptstadtflughafen BER, Stuttgart 21 oder – warum in die Ferne schweifen, wenn das Versagen liegt so nah? – die Kölner Schauspiel- und Opernsanierung ist der Neubau der Leverkusener Rheinbrücke das nächste Großprojekt, bei dem im Land der Ingenieurskunst nichts läuft, wie es soll. Statt wie geplant Ende 2021, soll der Neubau erst 2023 fertig sein. Wie viel teurer er wird, ist ungewiss.
Das Brückendesaster für eine Globalisierungskritik einzuspannen, geht aber fehl. Auch wenn das Thema im Stahlland NRW symbolträchtig ist: Warum Stahl aus China für einen Rheinbrückenbau in Leverkusen importieren, wenn Thyssen-Krupp ums Eck in Duisburg Baustahl produziert? Auf Nachfrage des Handelsblatts hieß es aus der Essener Thyssen-Krupp-Zentrale aber: Stahl für den Brückenbau gehöre nicht zum Kerngeschäft. Auch die Zahlen der deutschen Stahlindustrie für 2019 bieten keinen Stoff für Globalisierungskritik. Bei einer Produktion von gut 42 Millionen Tonnen waren die Auftragsbücher der Branche durch Auto-, Maschinenbau- und Bauindustrie gut gefüllt, das Verhältnis von Ein- und Ausfuhr nahezu ausgeglichen.
Man ist schlecht beraten, wenn das Hauptkriterium für die Auftragsvergabe nur der niedrigste Angebotspreis ist. Wegen des knallharten Wettbewerbs werden Angebote von den Konzernen erst künstlich kleingerechnet, um am Ende über Nachträge die echten Baukosten doch noch hereinzuholen. Im Dezember 2019 deutete Porr für den Brückenbau schon Mehrkosten von 250 Millionen Euro an. Ein Teil dieser wäre durch die von Porr angebotene Mängelbeseitigung am China-Stahl vor Ort auf der Baustelle entstanden. Gestützt wurde Porr durch ein eigens in Auftrag gegebenes Gutachten vom TÜV Rheinland. Frei nach dem Motto: „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“ bescheinigten die technischen Prüfer, dass der Stahl aus China einwandfrei sei, die deutschen Standards für Brückenbauwerke den Chinesen aber Probleme machten. Die Gutachter von Straßen.NRW kamen zum Urteil, dass der Stahl „erheblich mangelhaft“ war und nur eine Neuproduktion in Frage komme.
Porr hat den Auftrag also nur bekommen, weil von Anfang an mit Billigstahl aus China kalkuliert wurde. Abgeschmackt ist, dass Porr daraus nicht mal einen Hehl macht. Laut Medienberichten räumte der Vorstand ein, dass ihr Angebot mit deutschem Stahl 70 Millionen Euro höher gelegen und man den Auftrag mithin nicht bekommen hätte. Dass man hingegen mit der Auftragsannahme auch die Verpflichtung eingegangen war, die vereinbarte Qualität zum vereinbarten Preis zu liefern, darüber verliert der Vorstand kein Wort.
Die Lehre aus dem Brückendesaster kann daher nur sein, neben dem Preis auch Qualität, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des Bieters zu berücksichtigen. Nur so lassen sich ungeeignete Bieter trotz des niedrigsten Angebots von der Vergabe ausschließen. Zudem muss bei der Vergabe klar sein, dass es kein Umtauschrecht gibt. Der erste Versuch muss gelingen, ansonsten muss eine Regresspflicht gelten. Bei Bauwerken wie Brücken darf Sicherheit kein verhandelbares Gut sein. Ein bisschen Sicherheit bedeutet Unsicherheit.
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