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„Religion ist eine private Neigung, wie das Karnickelzüchten“

26. November 2015

Rainer Ponitka vom Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten – Thema 12/15 Ungläubig

choices: Herr Ponitka, wie ist es um die Säkularisierung bestellt?
Rainer Ponitka: Wir sind ziemlich weit mit der Säkularisierung. Aber zwei Baustellen möchte ich doch nennen: Einmal das kirchliche Arbeitsrecht, der sogenannte Dritte Weg, in dem für kirchliche Einrichtungen nicht das Betriebsverfassungsgesetz gilt. Die kirchlichen Arbeitgeber haben stattdessen eigene Gesetzgebungen. So können zum Beispiel Menschen mit dem falschen Taufschein oder keinem Glauben gekündigt werden, sobald ihr persönliches Leben nicht mit den Maßregeln der katholischen Kirche übereinstimmt.

Gibt es weitere Baustellen?

Rainer Ponitka
Foto: Presse

Zur Person: Rainer Ponitka (50) ist Geschäftsführer und Pressesprecher des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten sowohl auf Bundes-, als auch auf Landesebene. Er lebt und arbeitet in Overath.


Ja, die öffentlichen Schulen. Dort hören wir sehr häufig, dass Religionsunterricht oder Schulgottesdienste als Pflichtveranstaltungen deklariert werden. Das widerspricht aber eklatant der deutschen Rechtslage. Die Teilnahme an beidem ist grundsätzlich freiwillig. Da ist noch viel Aufklärungsarbeit zu tun, die wir mit unserer Aktion „Reli Adieu“ leisten.

Was halten sie von einem neutralen Religionsunterricht?
Das ist nach der aktuellen Gesetzeslage nicht gestattet. Nach einem Urteil des BVG aus dem Jahre 1985 muss Religionsunterricht missionieren. Der Urteilstext selber sagt, die Aufgabe des Religionsunterrichts ist es, Glaubensinhalte als Wahrheit darzustellen. Allein dadurch, dass Glaubensinhalte in allen Religionen sowie in nicht religiösen Weltanschauungen anders aussehen, sehen auch die propagierten Werte immer anders aus. Dementsprechend wäre ein neutraler Religionsunterricht gar nicht möglich. Religionen berufen sich auch gerne darauf, dass unsere Gesellschaft nach ihren Werten leben würde. Das ist aber ein Mythos.

Aber irgendwie muss man doch mit Religion in der Schule umgehen?
Was ich schön fände, wäre eine Geschichte der Werteerziehung, die auch fachübergreifend stattfinden kann. Das kann altersgerecht schon in der Grundschule beginnen: Wenn man im Sachunterricht die Römer durchnimmt, kann man auch die Expansion des Christentums behandeln. Selbstverständlich sollten dann auch die Blutspuren zur Sprache kommen, die sich knietief durch die Geschichte ziehen.

Aber reicht es grundsätzlich nicht, aus der Kirche auszutreten?
Das habe ich auch mal gedacht. Aber die Kirchen werden durch allgemeine Steuergelder finanziert. So wird unser Kardinal in Köln vom Land NRW mit etwa 11.000 Euro monatlich bezahlt. Und das Geld kommt aus dem allgemeinen Steuersäckel. Das wäre doch so, als würde ich den Vorsitzenden eines beliebigen Karnickelzüchtervereins aus dem allgemeinen Steueraufkommen bezahlen.

Sie wollen die katholische Kirche mit einem Karnickelzüchterverein vergleichen? Schießen Sie da nicht übers Ziel hinaus?
Nein, ich bin überzeugt, dass dieses Bild stimmt. Kirchen sind letztendlich nichts als private Organisationen, die sagen: Wir machen es uns zur Aufgabe wertestiftend und wertebegründend zu sein. Demgegenüber ist der Karnickelzüchterklub doch auch für die Allgemeinheit wichtig. Der liefert wenigstens Fleisch. Ich sehe den Unterschied nicht wirklich. Religion ist eine private Neigung, wie das Karnickelzüchten.

Aber ist Religion in Europa aus historischer Perspektive gesehen nicht tatsächlich wertsetzend?
Natürlich gibt es eine prägende Wirkung des Christentums auf Mitteleuropa. Das kann man nicht abstreiten. Aber alle fundamentalen Werte, unter denen wir heute leben, wie Meinungsfreiheit, Demokratie, Menschenrechten, Gleichberechtigung, auch die Religionsfreiheit, die wurden doch gegen die Kirchen erkämpft. Teilweise unter Einsatz des Lebens.

Verwechseln Sie da nicht Religion und Klerus? Ist der Wert der Solidarität nicht ein fundamental christlicher Wert?
Die Arbeiterbewegung aus dem 19. Jahrhundert behauptet: Die Solidarität als gesellschaftlicher Wert fußt auf uns. Wem soll man da jetzt mehr Glauben schenken? Man kann auch hingehen und sagen, ich finde Bibelstellen, in denen Solidarität eingefordert wird. Nur dann liest man die Bibel selektiv. Nimmt man die Bibel als Ganzes, dann findet man auch genug Stellen, die mit Solidarität nichts zu tun haben, da wird dazu aufgefordert Andersgläubige zu töten. Ich denke nicht, dass man sich in Hinsicht auf die Werte des Zusammenlebens auf das Christentum berufen sollte. Ich bin auch davon überzeugt, dass die Werte, die die Freiheit des Individuums gefördert haben, erst gebildet wurden, als die Aufklärung einsetzte und Kirche und Glaube mehr ins Private zurückgedrängt wurden.

Wie stehen Sie zu religiösen Symbolen im öffentlichen Raum?
Im staatlichen Raum, in Schulen, Einwohnermeldeämtern, Gerichten und so weiter, hat religiöse Symbolik nichts verloren. Überhaupt nichts! Was die Kirche, ihre Gebäude und Gebiete angeht, darf selbstverständlich ein jeder Verein dort seine Symbolik benutzen, wenn sie auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Der öffentliche Raum, der nicht explizit staatlich ist, für den sollte es Vereinbarungen darüber geben, welche Religion, Weltanschauung oder Ideologie darf was aus- und aufstellen.

Also kein Bildersturm nach dem Motto: Holt die Kreuze von den Gipfeln und entfernt die Kruzifixe von den Wanderwegen?
Was wir festgestellt haben ist, dass es am einen oder anderen Wanderweg sehr viele Kruzifixe gibt. Eine andere Weltanschauung, die beispielsweise sagt, wir wollen da jetzt auch unser Symbol aufstellen, denen wird das sehr wahrscheinlich nicht erlaubt werden. Das ist im Sinne der Gleichberechtigung sicherlich fragwürdig und ganz bestimmt nicht säkular. Aber ich war neulich erst auf der Zugspitze, und da zu sagen: „Macht das Kreuz weg!“, das muss nicht sein. Wäre da jetzt noch ein Corpus dran, dann würde ich das sicherlich anders sehen

Die Mitgliederzahlen der Konfessionen sinken durch Austritte und vor allem durch Sterbefälle. Bis 2030 sollen die Christen sogar in der Minderheit sein. Löst sich das, wofür Sie eintreten, nicht mit der Zeit von selbst?
Ja das wird sich biologisch lösen. Die Todesfälle sind höher, als die Taufen. Mit der zurückgegangenen Geburtenrate, wird es so kommen. Aber dennoch ist es jetzt schon und immer noch an der Zeit für die Interessen von Atheisten und Konfessionslosen einzutreten. Wir sind konfessionslose, wir sind über ein Drittel der Bevölkerung, also hört uns, seht uns und schränkt unsere Rechte nicht ein sei es im Arbeitsleben oder an der Schule.

Wie verbringen Sie als Atheist eigentlich Weihnachten, das kurz vor der Tür steht?
Weihnachten ist in meinen Augen ein durch und durch säkulares Fest geworden. Seit ewigen Zeiten wurde die Wintersonnenwende von Naturvölkern, Kulten, Religionen und Weltanschauungen gefeiert. Für die Christen hat es Papst Gregor der „Grobe“ vereinnahmt, und mit der Geburt des christlichen „Erlösers“ hat es nur mythologisch zu tun. Ich selbst werde das Ende des Jahres ruhig verbringen und an den gesetzlichen Feiertagen Bekannte, Freunde und Familie treffen.


Aktiv im Thema

www.ibka.org | Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten
fowid.de | Forschung Weltanschauungen in Deutschland
www.giordano-bruno-stiftung.de | Giordano-Bruno-Stiftung
de.richarddawkins.net | Richard Dawkins Foundation

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Interview: Bernhard Krebs

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