Noch vor 50 Jahren soll es Kölner gegeben haben, die ihr Leben lang nicht aus ihrem Veedel herauswollten. Für ein genügsam-fröhliches Leben war mit Kneipe, Kirche und Karneval auch alles am Platz. Heute ist das Veedel Mythos. Inzwischen bewegt sich der Kölner weitläufig in der Region – zusammen mit anderen Menschen aus dem Umland. Viele, die in Köln leben, arbeiten anderswo, entspannen im Bergischen und radeln den Rhein hinauf und hinunter. Nirgendwo sonst in NRW sind die Anrheiner so mobil wie zwischen Düsseldorf und Bonn, dem Oberbergischen und Aachen. Köln wäre nicht Millionenstadt, wenn nicht täglich an die 300.000 EinwohnerInnen pendelten. Dementsprechend ist die DB-Strecke Köln-Düsseldorf die meistbefahrene in Deutschland. „Heute ist die Region das Veedel, aber ein europäisches“, sagt deshalb Reimar Molitor, der Geschäftsführer der Regionale 2010.
KIRCHTURMDENKEN
Für die Bürger mag das stimmen, die Politik ist da deutlich konservativer. Für sie zählt der eigene Kirchturm deutlich mehr. Politik in und für die Region ist allenfalls Nebensache. Regionale Konflikte werden wie lokale Angelegenheiten behandelt. Das Beispiel Köln. Bei der Auseinandersetzung, ob und wie die Städtischen Bühnen abgerissen, neu gebaut oder saniert werden sollten, stand der Denkmalschutz im Mittelpunkt der Kontroversen. Neuere kulturpolitische Konzepte für die Nutzung von Oper und Schauspiel wurden gar nicht behandelt. Die Finanzplanung jongliert mit ihren Zahlenkolonnen bis zum Jahr 2050, doch welches Publikum aus Stadt und Region die Spielstätten etwa im Jahr 2025 noch besuchen kann oder will, interessiert kaum jemanden: Nur wer baut, der bleibt. Das Beispiel Bonn. Hier sind eben die hochfliegenden Pläne für ein Festspielhaus gescheitert. Die Stadt ist pleite und kann die Folgekosten für den Konzertbetrieb nicht tragen. Die privaten Partner Telekom, Deutsche Post und die Postbank mochten in der Krise auch nicht mehr sponsern. Noch ärger lief es beim World Congress Center Bonn WCCB, bei dem die Stadt wie in einem Krimi internationalen Betrügern in die Hände fiel. Für das aufgeblasene Kongresscenter wurden schon 150 Millionen Euro in den Sand gesetzt – Ende nach oben offen. Auch ein paar Kilometer nordöstlich geht es ums dicke Geld. Die Nachbarstädte Siegburg und St. Augustin planen überdimensionierte Einkaufszentren, die sich gegenseitig die Kunden abjagen sollen. Mindestens eine Ruine ist schon programmiert.
REGIONALE NETZWERKE
Kommunalpolitiker mögen auf die eigene Stadt fixiert sein, kommunale Unternehmen agieren dagegen längst rational-regional. So hat netcologne seine Netze auch in Bonn, im Rhein-Sieg-Kreis, bis nach Aachen und entlang der Eifel geknüpft. Die Stadtsparkassen Köln und Bonn haben 2005 zur Sparkasse KölnBonn fusioniert. Die KVB fährt längst nicht mehr nur zwischen Nippes und Zollstock, sondern ist Teil des regionalen Verkehrsverbundes VRS. Bei einer Umfrage haben sich eben die Kunden des öffentlichen Nahverkehrs für ein einheitliches Tarifsystem in ganz NRW ausgesprochen. Es ist offensichtlich: Im Bereich der Daseinsvorsorge lassen sich viele Probleme nur regional bewältigen.
Schon früher half häufig die regionale Karte. Bonn wäre als zeitweilige Bundeshauptstadt ohne die „Metropole“ direkt nebenan nicht so erfolgreich gewesen. Das turbulente Köln war für das biedere Bonn Lebenselexier. Um ganz sicher zu gehen, überließen die Kölner den Bonnern sogar ihren vormaligen OB. Mit dem Umzug der Bundespolitik in die neue Hauptstadt Berlin geriet das eingespielte Verhältnis in die Bredouille, obwohl man doch immer noch mitten in Europa lag. Der reichlich bemessene Bonn/Berlin-Ausgleich (1,43 Milliarden Euro für Kultur, Wissenschaft und internationale Einrichtungen) mag zeitweise die Bedeutung des regionalen Raums verdrängt haben. Bonn empfand sich irgendwie als Teil des abgehobenen globalisierten Konferenzwesens, Köln pflegte wie immer den Traum von früherer Größe. Der 1992 der EU-Subventionen wegen gegründete Verein Region Köln/Bonn dümpelt vor sich hin. Nur wenn über regionale Strukturprogramme des Landes Fördermittel locken, verspüren auch Lokalpolitiker regionale Regungen. Jüngstes Beispiel: die Regionale 2010. Hier standen insgesamt 340 Millionen ins Haus. Damit wurden Projekte finanzierbar, für die in den klammen Stadtkassen schon das Geld fehlte. Was für Köln die Archäologische Zone, ist für Leverkusen die Neue Bahnstadt Opladen oder für Gummersbach die Umwandlung einer Kesselhausschmiede in ein Hochschul- und Technologie-Zentrum. Dass dort die Maschinentechniker der Fachhochschule Köln studieren, überrascht den Gummersbacher ebenso wie den Kölner. Dabei wären auch anderswo Kooperationen über die Gemeindegrenzen hinweg sinnvoll. Hürth und Köln zum Beispiel vermarkten bis heute die TV-Studios in Hürth und Ossendorf getrennt. Man könnte auch den Dom, die Brühler Schlösser und den Oberen Mittelrhein gemeinsam als UNESCO-Kulturerbe bewerben. Oder über eine Philharmonie KölnBonn nachdenken. Und sich Gedanken über eine Opern-Koop machen. Auch in Bonn muss da saniert werden. Kostenpunkt: mindestens 30 Millionen Euro.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Es sind bloß Spiele
Teil 1: Leitartikel – Videospiele können überwältigen. Wir sind ihnen aber nicht ausgeliefert.
Werben fürs Sterben
Teil 2: Leitartikel – Zum Deal zwischen Borussia Dortmund und Rheinmetall
Das Spiel mit der Metapher
Teil 3: Leitartikel – Was uns Brettspiele übers Leben verraten
Demokratischer Bettvorleger
Teil 1: Leitartikel – Warum das EU-Parlament kaum etwas zu sagen hat
Europäische Verheißung
Teil 2: Leitartikel – Auf der Suche nach Europa in Georgien
Paradigmenwechsel oder Papiertiger?
Teil 3: Leitartikel – Das EU-Lieferkettengesetz macht vieles gut. Zweifel bleiben.
Friede den Ozeanen
Teil 1: Leitartikel – Meeresschutz vor dem Durchbruch?
Vom Mythos zur Mülldeponie
Teil 2: Leitartikel – Wie der Mensch das Meer unterwarf
Stimmen des Untergangs
Teil 3: Leitartikel – Allen internationalen Vereinbarungen zum Trotz: Unsere Lebensweise vernichtet Lebensgrundlagen
Zu Staatsfeinden erklärt
Teil 1: Leitartikel – Der Streit über Jugendgewalt ist rassistisch aufgeladen
Der andere Grusel
Teil 2: Leitartikel – Von der rätselhaften Faszination an True Crime
Maßgeschneiderte Hilfe
Teil 3: Leitartikel – Gegen häusliche Gewalt braucht es mehr als politische Programme
Die Masse macht’s nicht mehr
Teil 1: Leitartikel – Tierhaltung zwischen Interessen und Idealen
Wildern oder auswildern
Teil 2: Leitartikel – Der Mensch und das Wildtier
Sehr alte Freunde
Teil 3: Leitartikel – Warum der Hund zum Menschen gehört
Durch dick und dünn
Teil 1: Leitartikel – Warum zum guten Leben gute Freunde gehören
Von leisen Küssen zu lauten Fehltritten
Teil 2: Leitartikel – Offene Beziehungen: Freiheit oder Flucht vor der Monogamie?
Pippis Leserinnen
Teil 3: Leitartikel – Zum Gerangel um moderne Lebensgemeinschaften
Sinnvolle Zeiten
Teil 1: Leitartikel – Wie Arbeit das Leben bereichern kann
Verfassungsbruch im Steuer-Eldorado
Teil 2: Leitartikel – Die Reichsten tragen hierzulande besonders wenig zum Gemeinwohl bei
Über irrelevante Systemrelevante
Teil 3: Leitartikel – Wie Politik und Gesellschaft der Gerechtigkeitsfrage ausweichen
Angst über Generationen
Teil 1: Leitartikel – Wie Weltgeschehen und Alltag unsere Sorgen prägen
Keine Panik!
Teil 2: Leitartikel – Angst als stotternder Motor der Vernunft
Wie die AfD stoppen?
Teil 3: Leitartikel – Plädoyer für eine an den Bedürfnissen der Mehrheit orientierte Politik
11 Millionen Eitelkeiten
Teil 1: Leitartikel – Fitnessstudios: zwischen Gesundheitstempeln, Muckibuden, Selbstverliebtheiten und Selbstgeißelung?