Die Silberschüssel, in der der Kopf des Propheten Jochanaan der Salome präsentiert werden sollte, konnten die Requisiteure in der Kölner Aufführung getrost im Depot belassen; denn der Gefangene wurde mitnichten enthauptet (obwohl es so im Programm steht), sondern von Salome mit dem Dolch hingestreckt. Auch der Befehl des Herodes, Salome zu töten, wird nicht ausgeführt, sondern stattdessen wird von mehreren Sex-Sklavinnen unter den Herren der fein gekleideten Abendgesellschaft ein blutiges Gemetzel angerichtet. Eine Umkehrung der finalen Aktion, die dem Regieteam nicht nur deutlich vernehmbare Missfallensbekundungen einbrachte, sondern auch bei der Premierenfeier für heftige Diskussionen im fachkundigen Publikum sorgte. Kann man das machen, geben Libretto und Musik das her? Und wenn – muss es sein, unbedingt noch eine #MeToo-Debatte in dieses großartige Werk zu quetschen?
Der junge amerikanische Regisseur Ted Huffmann hat mit seinem Bühnenbildner Ben Baur den Saal 2 des Staatenhauses in eine beklemmende, Angst einflößende Atmosphäre getaucht und dabei die Anatomie des Saales geschickt ausgenutzt: die ohnehin vorhandene Säulenreihe links, gegenüber eine immense Freitreppe, die in einem Platz endet, auf dem das Gürzenichorchester höchst engagiert, farbig, durchsichtig und qualifiziert aufspielt. Wenn auch hinter einem leichten Gazevorhang; so ergießt sich die unglaubliche Musik von Richard Strauss durch den erhöhten Spielort fast uneingeschränkt ins Auditorium. Für Roth war Salome die erste Strauss-Oper, zuvor hatte er allerdings zahlreiche Werke des Bayern eingespielt. Vorteil ist auch, dass so die Tiefe des Raumes voll genutzt werden kann mit schweren Türen im Hintergrund zum Kerker des Propheten. Dass Kostas Smoriginas (Jochanaan) allerdings teilweise von hinten aus dem Off singen muss, ist trotz seiner sehr kräftigen und packenden Stimme ein kleiner Nachteil. Aber alles gleichzeitig geht halt nicht.
Huffmann hat eine vielschichtige Inszenierung hingestellt, packend und mit vielen Rückenschauern, ohne jeglichen Leerlauf. Er nutzt den vorhandenen Raum zu großflächiger Personenführung, mit opulentem Einsatz der Statisterie, und ganz ohne inszenatorische Mätzchen. Und bringt seine Grundidee überzeugend auf die Bretter, dass Salome (Ingela Brimberg) eben kein unschuldiges Girlie ist, die von ihrem Stiefvater Herodes angegrapscht wird. Sie ist eine reife, vielleicht unbefriedigte Frau, die sich den Jochanaan ersehnt. Der verweigert ihr den Kuss, symbolisch für den ersehnten Geschlechtsakt, und sie dreht dabei durch mit der bekannten Forderung. Ein klarer Fall für den Psychotherapeuten.
Die abnorme und verquerte Erotik am Hof des Herodes zeigt sich auch an den Sexsklavinnen, die an die Säulen gebunden sind und auf Anforderung der befrackten Männer der Abendgesellschaft diesen zu Willen sein müssen. Diese Herren sind so abgestumpft, dass sie ungerührt von den lautstarken Forderungen der Salome nach dem Kopf in der Schüssel sich vergnügt ihrer opulenten Mahlzeit widmen und auch beim Fluch des Propheten weiterhin mit Champagner anstoßen. Die Schwedin Ingela Brimberg, in Köln als Senta (unter Roth) und als Tosca in sehr guter Erinnerung, ist nahezu die ideale Verkörperung der Salome. Mit einer reifen, großen Stimme, mit sicherer, unverzerrter Höhe wie die großen Wagner-Heroinnen, mit einem Schlussmonolog, der das Premierenpublikum fast erstarren ließ, um dann in riesigen Jubel auszubrechen. Den Schleiertanz in klassischer Form (2004 ließ „die Thalbach“ Camilla Nylund sogar eine regelrechte Koch-Show abziehen) ersparte ihr der Regisseur und verordnete stattdessen den Nutten, auf dem Tisch lasziv zu tanzen.
Und dann das dicke Ende: Salome ersticht den Mann ihrer Begierde, scheint ihn noch mit einem Tuch ersticken zu wollen. Nix ist mit Küssen. Auf der Bühne greift Stillstand, alle schauen weg – immerhin hat man den Ernst der Situation erkannt. Und dann stürzen sich die Damen auf die Herrengesellschaft, stechen wie schon erwähnt wahllos auf sie ein, Blut fließt in großen Mengen.
Der Salome ebenbürtig singt John Heuzenroeder die große Partie des Herodes mit einer Riesenstimme. Er wuchs an dem Abend über sich heraus und hat sich nachdrücklich vom Mozartsänger fast zum Heldentenor entwickelt. Auch seine Bühnengattin Dalia Schaechter, seit Jahren in Köln ein Garant für anspruchsvolle Frauenrollen, stellt die Herodias stimmlich und szenisch äußerst eindrucksvoll dar. Unter den zahlreichen kleineren Rollen, davon viele mit Sängern aus dem Kölner Internationalen Opernstudio besetzt, sticht insbesondere der junge Dino Lüthy als Narraboth hervor, ebenfalls ein „Ehemaliger“ des Opernstudios. Das ausverkaufte Haus hat zur Premiere einen wirklich großen Opernabend erleben können, mit einem blendend aufgelegten GMD, der das Letzte aus seinem Orchester herausgeholt hat, mit superben Bläsern. Vielleicht auch als Dank, dass sein Vertrag nun endlich verlängert ist, wenn auch nur um zwei Jahre. Diesen Umstand hatte die Intendantin Dr. Birgit Meyer bei der Premierenfeier ausdrücklich hervorgehoben. Und das ist gut so.
„Salome“ | R: Ted Huffmann | 18., 20., 24., 26.10., 7., 10., 16.11. je 19.30 Uhr, 28.10. 19 Uhr, 4., 18.11. 18 Uhr | Oper Köln im Staatenhaus | 0221 221 284 00
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