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Was für den Fußball gilt, sollte in der Sexualität selbstverständlich sein
Foto: Amélie Kai

„Sexualität ist sehr stark an das Selbstbewusstsein gekoppelt“

26. Juni 2014

Andrea Schaal über Sexualität und Unterschiede zwischen hetero- und homosexuellen Patienten – Thema 07/14 Sexualität

choices: Warum haben Sie sich dazu entschieden, Sexual- beziehungsweise Paartherapeutin zu werden?
Andrea Schaal: Für mich behandelt Paartherapie das, wo Menschen wachsen. Wir werden in eine Familie geboren, wir interagieren immer in einer Beziehung. Wenn wir aus dieser Familie hinausgehen und in eine Paarbeziehung kommen, inszenieren wir – mehr oder weniger – wieder die gleichen Traumata, die gleichen Schwierigkeiten, die wir zuhause in unserer Herkunftsfamilien erlebt haben. Wir bringen die dort erlernten Verhaltensweisen mit und hoffen, sie sind mit unserem Partner genauso wirksam. Mit dem Partner ist es ähnlich, aber gemeinsam auch gleichzeitig ganz anders. Wir lernen uns zu differenzieren, selbständig zu sein, uns zu zeigen und für uns einzustehen und sind andererseits gefordert, uns in die Welt des Anderen einzulassen und uns hinzugeben. Also: in unsere Persönlichkeit hineinzuwachsen.

Also der Partner als Erweiterung meines Ichs?

Andrea Schaal
Foto: Dominic Röltgen
Andrea Schaal (56) ist Sexual- und Paartherapeutin. In ihrer Praxis in Köln behandelt sie sowohl hetero- als auch homosexuelle Menschen und Paare. In den 1980er Jahren hat sie über 10 Jahre eine eigene Praxis in Los Angeles geführt.

Nicht als Erweiterung des Ichs, sondern als Spiegel, als Bezugsperson, mit der ich wachsen kann. Diese Dyade ist für mich das Faszinierende. Das ist die Herausforderung in meinem Beruf.

Und da kommt dann auch die Sexualität ins Spiel…

Zur Partnerschaft gehört nun einmal auch Sex. Auch wenn viele Therapeuten die Sexualität in ihren Sitzungen ausschließen – aus den verschiedensten Gründen. Mir war allerdings von Anfang an klar, dass die Paartherapie die Sexualtherapie einschließen muss, denn Sex ist immer ein Thema. Viele Paare sind übrigens erstaunt, dass ich das mit einschließe, weil sie zuvor bereits Paartherapien hatten, wo das nicht der Fall war.

Ich kann mir vorstellen, dass man bei Ihrem Beruf ein sehr entspanntes Verhältnis zur eigenen Sexualität haben muss…
Das ist ganz richtig. Man sollte definitiv ein entspanntes Verhältnis zur eigenen Sexualität haben, aber auch zur Sexualität generell. Man muss schon einen Zugang zu seinem eigenen Körper, seiner eigenen Sexualität haben, um ganz offen mit anderen Menschen darüber reden zu können.

War das bei Ihnen schon immer so?
Ich würde sagen, meine Sexualität war schon immer ganz normal. Also in der Pubertät war ich sicherlich genauso verschüchtert wie andere auch. Aber Sexualität war immer ein Bestandteil meines Lebens – etwas, was man ausprobiert, worüber man sprechen und was man erforschen kann.


Was sind die häufigsten Probleme, mit denen Sie zu tun haben?

Also in der Sexualtherapie gibt es ein großes Thema: unterschiedliches Verlangen. Es gibt einfach sehr häufig die Kombination, dass einer mehr Sex als der andere haben möchte – oder umgekehrt. Dadurch entstehen in Beziehungen Machtkämpfe und große Unzufriedenheit. Daran müssen Menschen wachsen und lernen, damit umzugehen. Ein anderes großes Thema sind natürlich Funktionsstörungen wie Orgasmus- oder Erektionsstörungen oder Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. Das kann bei Frauen wie bei Männern sowohl körperliche als auch psychische Hintergründe haben. Wenn etwas nicht so klappt, wie man es eigentlich haben möchte, steckt da immer eine Botschaft hinter.

Und in der Paartherapie?

Da sind es ganz klar Themen wie das Auseinanderleben. Häufig ist es ein schleichendes Auseinanderleben, was ins Bewusstsein tritt, wenn gemeinsame Kinder in die Pubertät kommen oder ausziehen. Da wurde dann oft ein Projekt gemeinsam verfolgt, die Partnerschaft aber aus den Augen verloren. Daneben gibt es aber auch ganz gravierende Probleme, die plötzlich auftreten – oder plötzlich aufzutreten scheinen. Beispielsweise eine Affäre.

Aus Film und Fernsehen kennt man Paartherapien eigentlich nur als etwas, was die Frau vorschlägt und wogegen sich der Mann zunächst wehrt. Können Sie dieses Klischee bestätigen?
Nein, nicht unbedingt. Es ist vielmehr auch der Mann, der vorschlägt, etwas zu machen, und oft die Frau, die sagt: Brauchen wir nicht. Es ist ja sowieso klar, wer schuld ist. Es ist aber schon so, dass die Frau bereiter ist, mit anderen über das Thema zu reden. Der Mann ist häufig reservierter, weil er generell nicht gerne über seine Gefühle spricht. Aber das hängt dann eher ganz speziell mit dem jeweiligen Mann zusammen. Es ist aber wahrscheinlich, würde ich behaupten, ein leichter Überschuss bei den Frauen, von denen die Initiative kommt. Mittlerweile ist die Paartherapie auch nicht mehr so verpönt, wie sie es einmal war. Man holt sich einfach einen Experten hinzu wie bei anderen Themen auch.

Sexualität ist heutzutage ständig präsent und scheint so normal zu sein wie noch nie. Warum sind die Probleme in diesem Bereich nicht weniger geworden?

Dass Sexualität heute überall präsent ist, bedeutet nicht, dass Aufklärung da ist. Gerade weil Sexualität überall sichtbar und verfügbar ist, glauben gerade junge Menschen, sie müssten bereits alles darüber wissen. Die Mühe, tiefer hineinzuschauen und sich kundig zu machen, machen sich viele gar nicht mehr.

Gibt es mehr Probleme als früher?

Sie werden zumindest nicht weniger, bloß weil angeblich jeder überall Sex hat. Eine Sexualität muss entwickelt werden. Es ist etwas, was sehr stark an das Selbstbewusstsein gekoppelt ist – und daran, sich auf den anderen einlassen zu können. Das sind Fähigkeiten, die in der Interaktion mit einer realen Person erst wachsen müssen. Sexuelle Fähigkeiten sind eng mit dem geistigen und emotionalen Wachstum einer Person verbunden.

Gibt es bei homosexuellen Menschen spezifischere oder andere Probleme als bei Heterosexuellen?

Es gibt auf jeden Fall schwerpunktmäßig anders gelagerte Themen. Bei lesbischen Frauen ist häufiger die Sexualität das Thema, bei schwulen Männern dagegen mehr die Beziehung…

Da hätte ich eher gedacht, dass es genau umgekehrt ist…

Das habe ich zu Beginn auch gedacht. Aber zumindest bei mir in der Praxis ist es der Fall, dass Frauen nach einer relativ kurzen Zeit – so nach ein bis zwei Jahren – in einer Beziehung häufig sexuelle Probleme haben. Das ist, meiner Erfahrung nach, bei Männern seltener der Fall. Dort ist sehr häufig die Frage, ob man nun eine Beziehung haben soll, oder Eifersucht das Problem.

Und gibt es bei homosexuellen Paaren mehr Probleme?

In gewisser Hinsicht ja. Besonders in der Zeit des Coming-outs – je nach dem, wann das auftritt. Wenn das Outing allerdings durch ist und die Personen gut mit ihrer eigenen sexuellen Orientierung umgehen können, gleicht sich das den Problemen von heterosexuellen Paaren an. Gerade bei jungen Menschen erlebe ich häufig, dass sie zunächst Probleme haben, sich in ihre Rolle hineinzufinden.


Wie viele Patienten haben Sie denn, die sich noch nicht geoutet haben?
Ich habe generell mehr heterosexuell Paare als homosexuelle, und bei diesen sind es eindeutig mehr lesbische. Ich habe lediglich einige Männer türkischer Herkunft, die sich nicht geoutet haben und das auch nicht vorhaben. Das hat vor allem mit dem kulturellen Hintergrund zu tun.

Glauben Sie, dass es für Homosexuelle schwieriger ist, sich einer heterosexuellen Therapeutin zu öffnen?
Ich glaube, die erste Überwindung ist – egal ob bei einem homo- oder bei einem heterosexuellen Menschen – zunächst einmal dieselbe. Mit jemand Fremdes über die eigene Sexualität zu sprechen, ist für jeden zunächst einmal eine Hürde. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass diejenigen die zu mir kommen, darin ein Problem sehen, dass ich nicht homosexuell bin. Ich muss nicht gleichgeschlechtlich aktiv sein, um ein Problem nachempfinden oder die richtigen Fragen stellen zu können, um jemanden weiterhelfen zu können. Ein Arzt muss schließlich auch kein Krebs haben, um Krebs heilen zu können. Ich könnte mir aber natürlich durchaus vorstellen, dass es für manche homosexuelle Menschen leichter ist, mit jemanden zu reden, der ebenfalls homosexuell ist. Meine Erfahrung ist aber, dass die Menschen, egal welcher sexuellen Orientierung, sich in der Regel sehr schnell öffnen – häufig auch zu deren eigenen Erstaunen.

Wie sieht es eigentlich in dem Bereich Transgender aus, haben Sie da auch Patienten?
Nein, obwohl ich viele Anfragen habe. Die muss ich aber ablehnen, weil ich auf diesem Gebiet keine Erfahrungen habe. Das ist aber ein so wichtiges Thema, und wenn ich nicht das Gefühl habe, ich bin kompetent genug, überlasse ich so etwas lieber jemand anderem.

Haben sie denn vor, sich auf diesem Gebiet weiterzubilden?
Ja, das schon. Dafür müsste ich aber nach Hamburg oder Berlin. Und ich habe so viele Fortbildungen, so dass ich immer ein wenig sortieren muss, worauf ich mich spezialisiere. Ich denke außerdem, dass die Therapie für Transgender eng mit ärztlicher Begleitung vonstatten gehen sollte.


Hatten Sie schon einmal einen Fall, zu dem Sie überhaupt nicht vordringen konnten, dem sie einfach nicht helfen konnten?

Dass ich gar nicht wusste, wie ich weiterhelfen kann, ist mir noch nicht passiert. Es gibt aber durchaus Kombinationen, die komplex und sehr zeit- und dadurch auch kostenintensiv sind. Da hat es schon Fälle gegeben, wo ich auf Dauer nicht weiterhelfen konnte. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn ein Paar zu mir kommt, wo neben den Beziehungsproblemen noch gewisse Einzelprobleme vorherrschen, aus denen oft die Beziehungsprobleme erst entstanden sind. Da muss ich mich häufig mit Kollegen kurzschließen, die von der Krankenkasse bezahlt werden. Meine Praxis ist nämlich eine rein private.

Wie hoch ist denn Ihre Erfolgsquote?
Das soll jetzt gar nicht vermessen klingen, aber ich denke, jedes Gespräch ist auf irgendeine Weise hilfreich. Die Frage ist dann natürlich, ob immer das erreicht wird, was der Klient sich erhofft hat. Manche Vorstellungen sind einfach überzogen und manche haben gar nichts mit dem zu tun, wo es eigentlich hingeht. Es geht um Wachstum, und wenn dann ein Patient ein „Alles ist schön“-Gefühl anstrebt, kommt man einfach nicht zusammen.

Das heißt, Erfolg können Sie nicht messen?
Die Frage ist vielmehr: Was ist denn Erfolg? Erfolg heißt zum Beispiel bei einem Paar nicht immer, dass sie zusammenbleiben. Es gibt durchaus auch eine erfolgreiche Trennung, die hinterher als hilfreich angesehen wird. Bei einer sexuellen Störung dagegen würde ich sagen, ist die Erfolgsquote sehr gut.

Egal ob diese einen physischen oder einen psychischen Hintergrund hat?
Die meisten Störungen haben einen psychischen Hintergrund, das muss man dazu sagen. Und die kann man eigentlich, wenn der Patient sich darauf einlässt, wunderbar behandeln. Aber um Ihnen ein Beispiel zu geben: Ich hatte ein Paar, wo die Frau Schmerzen beim Geschlechtsverkehr hatte. Körperlich war sie aber vollkommen gesund. Ausgegangen ist es, dass die Frau sich von dem Mann getrennt hat und die Schmerzen daraufhin auch weggegangen sind. Es handelte sich also um eine Abwehrreaktion gegen den Mann, die nicht verbalisiert werden konnte. Ist das jetzt ein Erfolg? Wahrscheinlich für die Frau ja, für das Paar jedoch nicht.

Also: Sexualtherapie erfolgreich, Paartherapie weniger…
Ja. Aber wie gesagt: Paartherapie heißt nicht immer, dass das Paar zusammenbleibt, sondern zwei Einzelpersonen zu helfen, einen Weg zu finden, wie sie ihr eigenes Wachstum am besten voranbringen können.

INTERVIEW: DOMINIC RÖLTGEN

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