Die Welt steht Kopf in Volker Schmidts Zukunftsdystopie „Textil-Trilogie“: Europa ist ökonomisch abgehängt. Asien und Afrika, früher die Produzenten unserer Billigklamotten, sind die neuen Industriegiganten und beuten Europa aus. Liesl (Tatiana Feldmann), Kathi (Franziska Schmid) und Hanni (Noelle Fleckenstein) müssen deshalb in ihren rot-weißen Dirndln und mit den geflochtenen Haaren tagein tagaus in der Textilfabrik schuften. Die immer gleichen Bewegungsabläufe sind zu ihrem körperlichen Selbst geworden und erinnern so an Charlie Chaplins Tramp am Fließband in „Modern Times“, der ja auch dann noch schraubt, wenn er gar nicht mehr muss. Durch Wüsten und über Meere fliehen sie in die abgeschotteten Industriezentren, wo das Leben dann doch wieder nichts anderes zu bieten hat als illegale Arbeit, Prostitution und noch mehr Ausbeutung.
Die Diplominszenierung der Abschlussklasse der Theaterakademie Köln bringt im Orangerie-Theater einen politisch engagierten Abend auf die Bühne, in dem Ragna Kirck (Regie) mit Nacktkostümen und Gummi-Sturmgewehren ihre Spielerinnen in die Revolte gegen die Ausbeutung schickt, während Kölsch-Flaschen geext und die Ungerechtigkeit der Welt mit den grotesken Schmidtschen Sprachgebilden angeklagt wird. „Lebst du noch? – Ich leb doch schon lange nicht mehr/Aber es lebt sich gut, wenn man nicht mehr lebt.“
Ein Abend hart an der Grenze zwischen Idealismus und Kitsch, bei dem zum Schluss noch für politische Bildungsarbeit in Billiglohnländern gesammelt wird. Aber daran nehmen nur Zyniker Anstoß, für die schon der Glaube an eine bessere Welt Frevel ist.
„Die Textil-Trilogie“ | R: Ragna Kirck | keine weiteren Termine | Orangerie-Theater | 0221 952 27 08
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