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„Schneeschuhhasen im Glas“
Foto: Wolfgang Weimer

Theatrale Zellteilung

26. April 2012

„Schneeschuhhasen“ in der Orangerie - Theater am Rhein 05/12

Schneeschuhhasen gibt es wirklich: Die nordamerikanischen Langohren haben riesige Füße, die sie am Versinken im Schnee hindern. Im Stück „Schneeschuhhasen im Glas“, für das die Kölner Autorin Charlotte Luise Fechner 2011 mit dem Niederländisch-Deutschen Kinder- und Jugenddramatikerpreis der Stadt Duisburg ausgezeichnet wurde, werden sie am Ende zur Metapher. Der blitzgescheiten, eigensinnigen Protagonistin sind sie Symbol für das unnütze Wissen, mit dem man in der Schule gemästet wird. Lieber sollte man, etwa in Chemie, lernen, wie man in vitro ein Kind zeugt. Kann ja sein, dass man herausfinden will, „wie das so geht, wo man herkommt, wie sich das so anfühlt und das so aussieht im Glas“, überlegt die Gymnasiastin, die selbst ein Retortenbaby war wie die berühmte Louise Joy Brown. Also bestellt die junge Frau mit Papas Kreditkarte das Befruchtungsset im Internet.

Es folgt Learning by Doing. Regisseurin Andrea Bleikamp vom wehrtheater besetzt die Uraufführung des „reproduktionsmedizinischen (Bühnen)Versuchs in 5 Phasen für mindestens eine Schauspielerin“ mit zwei Frauen und einem Mann. Sie tragen Dirndl, die Assoziationen an nationalsozialistische Muttermythen wecken, und Schafmasken à la Dolly, die wie Hauben auf den Kopf geschoben werden oder mit denen sie wie Chimären aus Frankensteins Labor zu Darth Vaders Marsch umherwanken.

Auf der Bühne schlängeln sich, einer DNS-Helix ähnlich, gelbe Kabelkanäle, neben einem Tisch liegen paarweise Küchengeräte und Kuchenzutaten bereit, aus denen das Kind gebacken wird. Celina Rongen teilt sich mit Tomasso Tessitori in einer Art theatraler Meiose (Zellteilung) den rotzig-intelligenten Monolog über große und kleine Fragen, der kunstvoll zwischen adoleszent unbekümmerter Sinnsuche und philosophischer Altklugheit changiert; Sidekick Betty Bläser kommentiert die Kraftausdrücke ihrer jüngeren Alter Egos mit beredter Miene und knappen Bemerkungen. Mit Witz und Verve bringen die drei den Text zum Leben. Mangels ausgeprägtem Spannungsbogen ergibt sich in 75 Minuten Spielzeit zwar die eine oder andere Länge, doch amüsant und gedankenanregend ist diese frische, interdisziplinäre Brandrede unbedingt.

JESSICA DÜSTER „Schneeschuhhasen im Glas“ von Charlotte Luise Fechner | R: Andrea Bleikamp | Orangerie | 14.-17.11.(!), 20 Uhr | www.wehrtheater.de

JESSICA DÜSTER

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