Gabeln tragen schwer an ihrer zivilisatorischen Aufgabe. Seit Jahrhunderten müssen sie unsere Tischsitten auf Kurs halten. Kein Rumgepantsche mit Fingern in Töpfen, kein wahlloses Reinstopfen in hungriges Maul. Gabeln sorgen für geordnete Verhältnisse bei Tisch und auch für ein Mindestmaß an Hygiene. Und weil mit dem Fastfood überall der Verfall der Zivilisation droht, wurde irgendwann die Plastikgabel erfunden. Tischsitten to go – Burger und Döner zum Trotz!
Angie Hiesl und Roland Kaiser stellen jetzt die Plastikgabel ins Zentrum ihrer 24-stündigen Outdoor-Performance „Forks in the City“. Sieben PerformerInnen improvisieren sich auf einer festgelegten Route durch die Kölner Innenstadt. Immer den Zinken entlang. Los geht es am Rudolfplatz, wo Bernardo Fallas im gelben Hemd mit Fliege und Hütchen sich am Boden vor der Hahnentorburg räkelt. Die Gabel ragt aus seinem Mund. Mit ihr schaufelt er einen kunstvoll drapierten Gabelberg voran. Hier werden die Funktionen umgedreht: Das künstliche Esswerkzeug wird zur Verlängerung der natürlichen Esswerkzeuge. Anstatt hineinzuschaufeln wird weggeschaufelt. Gerno Bogumil wiederum hat hochsensible kleine Installationen am Mauerwerk der Hahnentorburg angebracht. Eingeklemmte Gabeln balancieren Fundstücke wie Kronkorken, Blätter oder Zigarettenkippen auf ihren Zinken. Gleichzeitig werden sie so zu Parasiten, die ein Gebäude der Stadt befallen haben, sich hochfressen und in allen möglichen Ritzen Halt finden. Ein paar Meter weiter sitzt wiederum André Jolles wie ein Schamane mitten auf dem Pflaster und bastelt sich eine Gabelkrone, die direkt aus dem Boden herauszuwachsen scheint. Ein undurchschaubarer archaischer Ritus aus dem reichhaltigen Katalog westlicher Wegwerfgesellschaften, die noch die krudesten Objekte mit ritueller Bedeutung aufladen können.
Die Verwendung der Plastikgabel in „Forks in the City“ ruft zahlreiche weitere Assoziationen auf: Wegwerfkultur und Dauerhaftigkeit der Stadt, Kunststoff und Stein, Essbarkeit der Stadt und nicht zuletzt der Müll. So war es nicht verwunderlich, dass ein Mitarbeiter der städtischen Abfallwirtschaftsbetriebe kurz auftauchte und etwas besorgt seine Dienste anbot. Auch der ein oder andere Zuschauer reagierte wie der selbstberufene Plastikmüll-Capo der Stadt. Doch die Truppe verfügt nicht nur über ein mobiles Versorgungsdepot mit 8000 Gabeln. Ein eigener Reinigungsdienst entsorgt auch die unvermeidlich zurückbleibenden Müllreste wieder.
Die Haut der Stadt soll allerdings nicht nur sauber, sondern auch undurchdringlich sein. Doch schon in „Dantons Tod“ von Georg Büchner heißt es: „Ja, die Erde ist eine dünne Kruste.“ Wo immer sich Fugen auftun, stecken die PerformerInnen Gabeln hinein, spicken Spalten mit ihnen, zwängen sie in Risse und Rillen. So sticht Gitta Roser die spitzen Zinken in den krustigen Leib des Kopfsteinpflasters, unter dem bekanntlich der Strand liegen soll, zumindest aber die pulsierenden urbanen Gedärme. Veronika Heisig dagegen entdeckt an der neugestalteten Fassade eines Drogeriemarktes Dichte und Durchlässigkeit einer verfugten Wandverkleidung. Ein paar Meter weiter wird quer über den Bürgersteig eine kleine Gabelmauer errichtet, die die Passanten stoisch überschreiten. Die politische Bedeutung ist unübersehbar.
Dass der zur billigen Fressmeile heruntergekommene Hohenzollernring auch einen sehr profanen Bezug zur Plastikgabel herstellt, ist offensichtlich. Da ist es nur stimmig, wenn Laura Susanna Burgener vor einem leerstehenden Gebäude ihren schmalen Körper wie ein Drogenopfer auf dem Gehsteig platziert, glasig auf die Gabeln in ihrer Hand starrt und kaum reagiert, wenn andere Performer ihr das wertvolle Plastikgut entwenden. „Forks in the City“ fällt ins Genre der Stadt-Intervention und öffnet ein fast unüberschaubar weites Assoziationsfeld, das die eigene Fantasie nach Lust und Laune beackern kann – auch wenn man nicht gleich 24 Stunden dabei bleiben muss.
„Forks in the City“ | R: Angie Hiesl + Roland Kaiser | Do 6.9. 14 Uhr (24 Std.) | Köln Innenstadt | www.angiehiesl-rolandkaiser.de
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