Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
4 5 6 7 8 9 10
11 12 13 14 15 16 17

12.577 Beiträge zu
3.805 Filmen im Forum

„Forks in the City“
Foto: Roland Kaiser, Köln 2018

Tischsitten to go!

30. August 2018

Outdoor-Performance „Forks in the City“ von Angie Hiesl + Roland Kaiser – Auftritt 09/18

Gabeln tragen schwer an ihrer zivilisatorischen Aufgabe. Seit Jahrhunderten müssen sie unsere Tischsitten auf Kurs halten. Kein Rumgepantsche mit Fingern in Töpfen, kein wahlloses Reinstopfen in hungriges Maul. Gabeln sorgen für geordnete Verhältnisse bei Tisch und auch für ein Mindestmaß an Hygiene. Und weil mit dem Fastfood überall der Verfall der Zivilisation droht, wurde irgendwann die Plastikgabel erfunden. Tischsitten to go – Burger und Döner zum Trotz!

Angie Hiesl und Roland Kaiser stellen jetzt die Plastikgabel ins Zentrum ihrer 24-stündigen Outdoor-Performance „Forks in the City“. Sieben PerformerInnen improvisieren sich auf einer festgelegten Route durch die Kölner Innenstadt. Immer den Zinken entlang. Los geht es am Rudolfplatz, wo Bernardo Fallas im gelben Hemd mit Fliege und Hütchen sich am Boden vor der Hahnentorburg räkelt. Die Gabel ragt aus seinem Mund. Mit ihr schaufelt er einen kunstvoll drapierten Gabelberg voran. Hier werden die Funktionen umgedreht: Das künstliche Esswerkzeug wird zur Verlängerung der natürlichen Esswerkzeuge. Anstatt hineinzuschaufeln wird weggeschaufelt. Gerno Bogumil wiederum hat hochsensible kleine Installationen am Mauerwerk der Hahnentorburg angebracht. Eingeklemmte Gabeln balancieren Fundstücke wie Kronkorken, Blätter oder Zigarettenkippen auf ihren Zinken. Gleichzeitig werden sie so zu Parasiten, die ein Gebäude der Stadt befallen haben, sich hochfressen und in allen möglichen Ritzen Halt finden. Ein paar Meter weiter sitzt wiederum André Jolles wie ein Schamane mitten auf dem Pflaster und bastelt sich eine Gabelkrone, die direkt aus dem Boden herauszuwachsen scheint. Ein undurchschaubarer archaischer Ritus aus dem reichhaltigen Katalog westlicher Wegwerfgesellschaften, die noch die krudesten Objekte mit ritueller Bedeutung aufladen können.

Die Verwendung der Plastikgabel in „Forks in the City“ ruft zahlreiche weitere Assoziationen auf: Wegwerfkultur und Dauerhaftigkeit der Stadt, Kunststoff und Stein, Essbarkeit der Stadt und nicht zuletzt der Müll. So war es nicht verwunderlich, dass ein Mitarbeiter der städtischen Abfallwirtschaftsbetriebe kurz auftauchte und etwas besorgt seine Dienste anbot. Auch der ein oder andere Zuschauer reagierte wie der selbstberufene Plastikmüll-Capo der Stadt. Doch die Truppe verfügt nicht nur über ein mobiles Versorgungsdepot mit 8000 Gabeln. Ein eigener Reinigungsdienst entsorgt auch die unvermeidlich zurückbleibenden Müllreste wieder.

Die Haut der Stadt soll allerdings nicht nur sauber, sondern auch undurchdringlich sein. Doch schon in „Dantons Tod“ von Georg Büchner heißt es: „Ja, die Erde ist eine dünne Kruste.“ Wo immer sich Fugen auftun, stecken die PerformerInnen Gabeln hinein, spicken Spalten mit ihnen, zwängen sie in Risse und Rillen. So sticht Gitta Roser die spitzen Zinken in den krustigen Leib des Kopfsteinpflasters, unter dem bekanntlich der Strand liegen soll, zumindest aber die pulsierenden urbanen Gedärme. Veronika Heisig dagegen entdeckt an der neugestalteten Fassade eines Drogeriemarktes Dichte und Durchlässigkeit einer verfugten Wandverkleidung. Ein paar Meter weiter wird quer über den Bürgersteig eine kleine Gabelmauer errichtet, die die Passanten stoisch überschreiten. Die politische Bedeutung ist unübersehbar.

Dass der zur billigen Fressmeile heruntergekommene Hohenzollernring auch einen sehr profanen Bezug zur Plastikgabel herstellt, ist offensichtlich. Da ist es nur stimmig, wenn Laura Susanna Burgener vor einem leerstehenden Gebäude ihren schmalen Körper wie ein Drogenopfer auf dem Gehsteig platziert, glasig auf die Gabeln in ihrer Hand starrt und kaum reagiert, wenn andere Performer ihr das wertvolle Plastikgut entwenden. „Forks in the City“ fällt ins Genre der Stadt-Intervention und öffnet ein fast unüberschaubar weites Assoziationsfeld, das die eigene Fantasie nach Lust und Laune beackern kann – auch wenn man nicht gleich 24 Stunden dabei bleiben muss. 

„Forks in the City“ | R: Angie Hiesl + Roland Kaiser | Do 6.9. 14 Uhr (24 Std.) | Köln Innenstadt | www.angiehiesl-rolandkaiser.de

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Alter weißer Mann

Lesen Sie dazu auch:

Im Kreisrund sind alle gleich
4. Ausgabe des Festivals Zeit für Zirkus – Tanz in NRW 11/24

War das ein Abschied?
Sônia Motas „Kein Ende“ in den Kölner Ehrenfeldstudios – Tanz in NRW 10/24

Die KI spricht mit
Franz Kafkas „Der Bau“ in der Alten Wursterei in Köln – Prolog 10/24

Supergau?
Die TanzFaktur steht wieder einmal vor dem Aus – Tanz in NRW 09/24

Kaffee, Kuchen, Stacheldraht
12. Tanz.Tausch Festival in der Kölner TanzFaktur – Tanz in NRW 08/24

Wunderbar: alles ohne Plan
„Leise schäumt das Jetzt“ in der Alten Feuerwache – Tanz in NRW 07/24

Alles über Füchse
„Foxx“ in den Ehrenfeldstudios – Theater am Rhein 07/24

Vor der Selbstverzwergung
Ausstellung zu den „Goldenen Jahren“ des Tanzes in Köln – Tanz in NRW 06/24

Freiheitskampf
„Edelweißpiraten“ in der TF – Theater am Rhein 06/24

Philosophie statt Nostalgie
Das Circus Dance Festival in Köln – Tanz in NRW 05/24

Das Unsichtbare sichtbar machen
Choreographin Yoshie Shibahara ahnt das Ende nahen – Tanz in NRW 04/24

Tennismatch der Kühe
„Mata Dora“ in Köln und Bonn – Tanz in NRW 03/24

Bühne.

Hier erscheint die Aufforderung!