Kunst kommt von Können. Punk von trotzdem machen. Zumindest der Idee nach, denn die Zeit, in denen die Frontsänger von Punkbands niemals Töne, dafür immer die richtige Stimmung trafen, war einmal. Nun, selbst der begnadetste Sänger der Welt wird niemals die einzigartige Romantik von Loikaemies „Mädchen“ erreichen, noch die lebensphilosophische Tiefe von Knochenfabriks „Filmriss“, aber: Punk ist, wie immer, natürlich nicht tot. Dass er durchaus mainstreamtauglich und trotzdem hörenswert sein kann, beweisen Bands wie Radio Havanna. Die spielen im November auf dem Pressure Air Festival im Druckluft Oberhausen (25.11. & 26.11.). Wie viele gute Punkbands kommen die vier genau daher, wo der Widerstand gegen linke Subkulturen und guten Menschenverstand am größten ist, in ihrem Fall: aus Thüringen, dem braunen Herz Deutschlands. Standesgemäß erheben sie in ihren Songs die Stimme gegen Rechts, bloß, dass es bei ihnen etwas poppiger klingt – zum Beispiel in „Unnormal“, einer Single aus ihrem jüngsten Album „Unsere Stadt brennt“. Gäbe es hierzulande mehr als eine Handvoll guter Radiosender, die sich ernsthaft für Musik interessieren: Radio Havanna könnten im Nachmittagsprogramm laufen. Und das wäre auch gut so.
Den Untiefen des Mainstream-Musikgeschäfts widmete sich auch die Kölner Band KMPFSPRT, die ebenfalls auf dem Festival spielen: Im Musikvideo zu „Ich hör die Single nicht“ müssen sich die wilden Jungs unter Druck ihres Managers in Tim-Bendzko-Abziehbilder verwandeln, in der Bridge gröhlt es: „Es muss austauschbar sein, es muss für alle sein.“ – Wer ernsthaft im großen, spätestens seit AnnenMayKantereit wieder spannend gewordenen Indie-Kosmos mit all seinen folkaffinen Sub-Spielarten auffallen will, steht jedoch allen Ernstes vor diesem Problem: Vieles klingt nunmal tatsächlich gleich und austauschbar. Und sieht auch gleich aus: Vier Jungs steigen in einen Van, der rollt dann durch nordische Wälder in Sepia-Optik (Retro und so), irgendwo im Wald macht dann irgendeine Frau irgendwas, zum Beispiel apathisch über Herbstlaub hoppeln. Diese ganze Folk-Romantik war schon 2011 durch, als Casper sich für sein Indie-Rap-Hybrid „Hinterland“ dieser Optik bediente, und selbst damals war das eigentlich nur ein Zitat.
Neue Bilder für diese Musik zu finden, als den immer gleichen „Into the Wild“-Kitsch schaffen leider auch die Giant Rooks nicht. Dafür klingt ihre Musik erfrischend anders: In „Smaland“ flirtet ihr Drummer dezent mit Hip-Hip und Funk, was dem Gesamtbild eine in diesem Genre selten zu hörende Coolness verleiht. Wer damit dennoch mit dem Van durch die Wälder düsen will, in der Hoffnung, hinter Büschen, Sträuchern und Instagram-Filtern eine apathisch tanzende Jungfer zu finden, kann das trotzdem tun – immerhin klingt das Ganze dann um Längen lässiger als bei einem großen Teil der anderen Bands ihres Genres. Die Giant Rooks spielen auch auf dem Pressure-Air-Festival, und zwar am Freitag, der ganz den sanften Klängen gewidmet ist.
Pressure Air Festival | Fr 25.11. & Sa 26.11. | Druckluft Oberhausen | www.drucklufthaus.de | mit: Giant Rooks, Emily's Giant, Frère & Band, Walking on Rivers (Fr) & Radio Havanna, Abramawicz, KMPFSPRT, Hey Ruin (Sa)
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Grenzenlos episch
Live gespielte Game-Soundtracks werden zum Megaevent – Popkultur in NRW 11/18
Odyssee im Ruhrgebiet
Weltoffene Konzerte umsonst und draußen – Popkultur in NRW 07/18
Tiefenentspannt in Duisburg
Traumzeit-Festival mit Mogwai, Slowdive und The Great Faults – Popkultur in NRW 06/18
Global denken, lokal tanzen
NRW Kultursekretariate fördern musikalischen Reichtum – Popkultur in NRW 04/18
Absichtlich schön
Giant Rooks: aus Hamm in den Indie-Pop-Olymp – Popkultur in NRW 02/18
Das Geld liegt auf der Straße
Musikmesse create & connect will dem Nachwuchs zu Erfolg verhelfen – Popkultur in NRW 11/17
Girls in Airports
Zuhause im Zwischenland – Popkultur in NRW 10/17
Welches Obst bist du?
Süßes und Saures beim Juicy Beats Festival in Dortmund – Popkultur in NRW 07/17
Musikfestivals im Ruhrgebiet
Umsonst, draußen, für alle – Popkultur in NRW 06/17
Ein paar Takte Heimat
Tanz die 80er Jahre – Popkultur in NRW 05/17
Anatolischer Krautrock
Elektro Hafız auf dem Schwarzweissbunt-Festival – Popkultur in NRW 04/17
Dada für die Generation Y
Die Band Golf lädt an den „Playa Holz“ – Popkultur in NRW 03/17
Tolerante Szene
An diesem Abend gehen Kölner Jazzbühnen fremd – Improvisierte Musik in NRW 11/24
Nordisches Spitzenprodukt
Rymden am Theater Krefeld – Improvisierte Musik in NRW 10/24
Experimentell und innovativ
3. New Colours Festival in Gelsenkirchen – Improvisierte Musik in NRW 09/24
Immer eine Uraufführung
4. Cologne Jazzweek – Improvisierte Musik in NRW 08/24
Ein Abend für den Duke
Jason Moran und die hr-Bigband in Duisburg – Improvisierte Musik in NRW 07/24
Musikalische Eröffnung der EM
Bundesjazzorchester mit Tom Gaebel in Dortmund und Köln – Improvisierte Musik in NRW 06/24
Verschiedene Welten
Drei Trompeter besuchen das Ruhrgebiet – Improvisierte Musik in NRW 05/24
Besuch von der Insel
„Paul Heller invites Gary Husband“ im Stadtgarten – Improvisierte Musik in NRW 04/24
Pure Lust an der Musik
Das Thomas Quasthoff Quartett im Konzerthaus Dortmund – Improvisierte Musik in NRW 03/24
Kleinstes Orchester der Welt
„Solace“ in der Friedenskirche Ratingen – Improvisierte Musik in NRW 02/24
Mit zwei Krachern ins neue Jahr
Jesse Davis Quartet und European All Stars in Köln – Improvisierte Musik in NRW 01/24
Sturmhaube und Ballonmütze
Gregory Porter in Düsseldorf – Improvisierte Musik in NRW 12/23
Balladen für den Herbst
Caris Hermes Quintett in Düsseldorf – Improvisierte Musik in NRW 11/23