„Unsere Systeme sind darauf ausgerichtet, Menschen zu brechen“
30. April 2015
Glücksökonomin Ute Scheub über Gesellschaftsentwürfe, die uns glücklich machen – Thema 05/15 Glück
choices: Als Autorin des Buches „Glücksökonomie. Wer teilt, hat mehr vom Leben“, sind Sie sozusagen eine ausgewiesene Glückexpertin. Was empfehlen Sie unseren Lesern, um ihr persönliches Glücksempfinden zu verbessern? Ute Scheub: Das ist die Frage nach dem Patentrezept, das ich natürlich nicht habe. Sinnvoll ist es, zunächst einmal Fragen zu stellen: Wann fühle ich mich erfüllt und glücklich? Macht meine Erwerbsarbeit Sinn? Dient sie dem Gemeinwohl? Macht sie Spaß? Wenn nicht, sollte man die Arbeit wechseln oder die Arbeitszeit reduzieren oder sich zusätzlich ehrenamtlich engagieren. Die internationale Glücksforschung besagt übereinstimmend: Am glücklichsten machen gelingende empathische Beziehungen zu anderen Menschen.
Was hat Sie auf die Idee gebracht, mit Ihrer Kollegin Annette Jensen dieses Buch zu schreiben?
Ute Scheub
Foto:Privat
Ute
Scheub lebt als
Publizistin und promovierte Politikwissenschaftlerin in Berlin. Sie
ist Mitbegründerin der taz und seit 1997 freie Journalistin. Sie
veröffentlichte insgesamt 15 Bücher sowie unzählige Artikel rund
um die Themen Umwelt, Frauen und Frieden. Für ihre Arbeit wurde sie
mehrfach ausgezeichnet.
Wir schreiben seit längerer Zeit zusammen Geschichten des Gelingens, etwa für www.futurzwei.org, über Pioniere, die eine andere Ökonomie und Lebensweise ausprobieren und somit andere zum Nachahmen ermutigen können. Wir hatten insofern schon einen Fundus von Geschichten und Projekten aus Deutschland und aller Welt, und zusätzlich wollten wir unsere Anregungen wissenschaftlich untermauern – unter anderem mit den Ergebnissen der Glücksforschung.
Welche Leitidee verfolgen Sie mit dem Buch? Der Ökonom Kenneth Boulding hat es so ausgedrückt: „Wer in einer endlichen Welt an unendliches Wirtschaftswachstum glaubt, ist entweder ein Idiot oder ein Ökonom.“ Unser heutiges Wirtschaftssystem wird in absehbarer Zeit kollabieren, weil uns die Ressourcen ausgehen – Öl, Wasser, Rohstoffe, fruchtbare Böden und vieles mehr. Die gute Nachricht ist: Wir können sogar glücklicher werden, wenn wir mehr umfairteilen und gemeinsam nutzen. Denn teilen ist ein sozialer Akt, macht Spaß, ermöglicht Freundschaften und krisenfeste Bindungen – genau jene Dinge, die in menschlichen Hirnen Glückshormone freisetzen. Weniger ist in vielen Fällen mehr.
Wann ist der Kollaps unseres Wirtschaftssystems erreicht? Ich weiß es nicht. Lange dauert es wohl nicht mehr. Vermutlich wird es auch eher ein schleichender Prozess mit vielen kleinen Kollapsen. Jeremy Rifkins glaubt, dass der Kapitalismus um 2060 überwunden ist. Ich denke, es passiert schon eher, weil wir schon viel früher an die ökologischen Grenzen des Planeten stoßen.
Welche Schlüsse sollten Leser ziehen, wenn sie Ihr Buch gelesen haben? Wir wollen anregen und ermutigen. Dazu gehört auch, Kooperation statt Konkurrenz in den Mittelpunkt des eigenen Lebens zu stellen. Sich um die Menschen in der Nachbarschaft und das lokale Leben kümmern. Gemeinsam Ideen schmieden. Das macht Spaß – und glücklich.
Warum glauben Sie, dass der aus Ihrer Sicht fatale Kapitalismus immer weitergedreht wird? Selbst einige Manager von Großkonzerne haben erkannt, dass das System so nicht weiter funktionieren kann. Aber sie machen weiter, weil andere von ihnen das Einfahren hoher Profite erwarten. Menschen sind Gewohnheitstiere, sie verhalten sich an einem neuen Tag gerne so wie am vorherigen und haben Angst, nicht als regelkonform zu gelten.
Was sollten Politiker tun, um mehr Glück für die Menschen zu realisieren, was ja durchaus ihr Auftrag ist? Gesetze ändern, zum Bespiel jenes, das Aktiengesellschaften vorschreibt, Gewinne für Aktionäre einzufahren, koste es, was es wolle. Oder Unternehmen zwingen, kostenwahr zu produzieren. Die hohen ökosozialen Kosten etwa von Billigfleisch aus der Massentierhaltung müssten dann in die Preise miteingehen. Oder Verschmutzungssteuern einführen, etwa für CO2-intensive Produkte.
Warum tut die Politik nichts in der Hinsicht? Ich glaube, Politiker gehören zu den trägen Elementen. Der Druck muss von unten kommen. Viele Leute sind in diesem Sinne schon unterwegs. Die Systemtheorie sagt, es reichen 5 bis 10 Prozent, um ein System in eine andere Richtung zu kippen.
Wie könnte ein glücksbasierter Gesellschaftsentwurf aussehen? Eine weitgehende Relokalisierung der Wirtschaft. Kleine, selbstbestimmte dezentrale Organisationen. Solarenergie, Internet und neue Mobilitätsmodelle. Wir wollen nicht zurück in die Steinzeit! Es geht um die menschen- und umweltfreundliche, kooperative Nutzung intelligenter, zeitgemäßer Werkzeuge und Organisationsformen.
Welche Rolle spielt materieller Wohlstand für das Glückempfinden des Menschen? Die glücklichsten Länder sind laut Glücksforschung schließlich die reichen nordwesteuropäischen Nationen wie Niederlande, Dänemark, Schweden? Das deute ich anders. Das, was das Glückempfinden der Skandinavier steigert, ist das Egalitäre. Alle partizipieren relativ gleichmäßig am Wohlstand. Die Glücksforschung hat herausgefunden, dass sich das Glücksempfinden ab einem Jahreseinkommen von ungefähr 30.000 Dollar nicht mehr erhöht. Super-Reiche sind nicht oder kaum glücklicher als andere, weil sie unter Stress, Statuspanik und Vereinsamung leiden. Viele sind weit davon entfernt, ihr Luxusleben zu genießen.
Wie und warum hat ein letztlich sich selbst vernichtendes kapitalistisches Wirtschaftssystem – aus Ihrer Sicht – eigentlich angefangen und sich so erfolgreich behaupten können? Mit dem Öl und der Idee, aus Geld noch mehr Geld zu machen.
Die moderne Form der Geldwirtschaft hat letztlich den Feudalismus abgelöst und war in Sachen Emanzipation eine Errungenschaft oder sehen Sie das anders? Nein, das ist schon wahr. Ich verkläre die alten Zeiten auch überhaupt nicht. Es sind in der Geschichte schreckliche Dinge passiert. Da wollen wir natürlich nicht wieder hin. Manche indigene Lebensformen waren allerdings angenehmer, weil egalitärer und selbstbestimmter.
Sie halten das Kooperieren des Menschen für sein natürliches Verhalten. Ist die Konkurrenz nicht mindestens genauso stark als Antrieb für menschliches Handeln? Natürlich gibt es Konkurrenz, allerdings wird sie ideologisch stark überschätzt. Heutzutage argumentieren viele Naturwissenschaftler, dass Kooperation, Kreativität und Kommunikation die wichtigsten Antriebe in der Evolution seien und Darwin sich geirrt habe. Nichtsdestotrotz ist der Mensch in seinen Entwicklungsmöglichkeiten hochflexibel und zu allem fähig. Wenn Menschen frei und liebevoll aufwachsen, verhalten sie sich kooperativ und friedlich. Unsere Systeme, allen voran das Militär, sind darauf ausgerichtet, Menschen zu brechen. So viele Generationen von Männern sind durch das Militär verformt und zu Aggression erzogen worden. Es gibt aber indigene Stämme, etwa die Semai in Malaysia, die keinerlei Aggression kennen. Sie gelten als das friedlichste Volk der Welt.
Der Himalaya-Staat Bhutan hat das Recht auf Glück in seine Verfassung aufgenommen. 2011 hat er damit eine Initiative der Vereinten Nationen (UN) ins Rollen gebracht, die die Mitgliedsstaaten auffordert, Maßstäbe für Glück und Wohlbefinden zu entwickeln. Die Einwohner von Bhutan haben diese Regierung allerdings letztlich abgewählt für eine Regierung, die erst mal die Luxussteuern abgeschafft hat. Sind die Menschen noch nicht bereit für das Bruttosozialglück?Das war die erste freie Wahl in Bhutan. Das würde ich nicht überbewerten.
Sharing-Konzepte wie Airbnb, Uber oder Ebay haben vor allem die Gründer unendlich reich gemacht. Teilweise auch auf Kosten derjenigen, die die Leistung erbringen, zum Beispiel die Fahrer bei Uber. Ist reich werden nicht immer noch die stärkste Motivation des Menschen? Das sind echte Negativbespiele, die nur das Alte mit neuen Werkzeugen wiederholen und keinen grundsätzlich neuen Gedanken entwickelt haben. Völlig anders als Wikipedia oder Ubuntu. Oder auch kleine lokale Initiativen, die ihre Kooperation über das Internet organisieren.
Was macht Sie eigentlich persönlich glücklich? Freundschaft, Liebe, empathische Beziehungen, genauso wie jeden anderen. Oder eine intakte Natur. Kranke werden zum Beispiel schneller gesund, wenn sie in die Natur schauen.
Sie verfechten die Ökonomie des Teilens als neue Form des Wirtschaftens. Warum haben Sie das Buch nicht zum Download ins Netz gestellt? 40 Prozent des gesamten Inhalts sind im Netz verfügbar. Zu finden unter:
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