Malta ist Gleichstellungs-Spitzenreiter! Und zwar auf einem, auf dem ohnehin viele EU-Staaten ganz weit oben stehen: der Gesundheit. Und eigentlich stehen insgesamt betrachtet die Schweden noch besser im Ranking dar, aber die sind ohnehin gefühlt auf jedem Gebiet besser, bleiben wir bei Malta als Spitzenbeispiel, es lohnt sich. Schauen wir uns an, was Malta richtig macht – und bei der Gelegenheit auch, wie trügerisch Statistiken sein können.
Malta ist mit einer halben Million Einwohnern (etwas mehr als Duisburg) und auf drei 316 km² großen Inseln (eine ganze Ecke kleiner als Köln) bevölkerungs- und flächenmäßig der kleinste Staat der EU. Das Geschlechterverhältnis zwischen Frauen und Männern ist annähernd halbe-halbe. Auf diesem Archipel hat sich in den letzten Jahren gleichstellungsmäßig einiges getan. Im Gleichstellungs-Index des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen (EIGE) hat Malta seit 2010 mehr als 10 Punkte gutgemacht, mehr als jedes andere EU-Land außer Luxemburg. Was genau das heißt, dazu kommen wir gleich.
Ein Gesundheitsparadies?
Der europäische Gleichstellungsindex für das Jahr 2021 stellt Malta nun mit 99,8 von 100 Punkten sogar an die Spitze der Kategorie „Gleichheit beim Zugang zu medizinischer Versorgung“. (Deutschland liegt mit ebenfalls 99,8 Punkten auf Platz 2.) Hier ist die ganze EU allerdings recht gerecht: Schlusslicht Estland erreicht immerhin auch noch knapp 93 Punkte. In der Kategorie „Gleichheit des gesundheitlichen Zustands“ ist die Spanne schon größer. Am unteren Ende der Skala rangiert Litauen mit nur 80 Punkten. Malta aber auch hier: ganz oben auf Platz 3 mit (Deutschland: 11). Und mit dem vierten Platz in „Gleichheit des gesunden Verhaltens“ (welches Geschlecht raucht mehr, treibt mehr Sport etc.) kommt Malta in der Gesamt-Gesundheits-Gleichheits-Garde an zweiter Stelle.
Malta – ein Gesundheitsparadies für Mann und Frau? Nicht unbedingt. Denn der Statistik Tücken lassen gar nicht tief blicken. Denn „Gleichheit des gesundheitlichen Zustands“ kann auch „gleich bescheiden“ heißen. Es ist gut, wenn alle Geschlechter gleichen Zugang zu medizinischen Einrichtungen haben, aber wenn selbst das neueste Zentralkrankenhaus laut Auswärtigem Amt „nicht deutschem Standard entspricht“, dann erfüllt das gewiss nicht höchste Ewartungen in die Qualität der medizinischen Versorgung. Doch es darf angenommen werden, dass künftige Fortschritte in der Versorgungsqualität ebenfalls allen Geschlechtern zugute kommen werden!
Der Alkohol- und Tabakkonsum in Malta ist im Durchschnittsbereich anzusiedeln; die Malteserinnen rauchen weniger als die Malteser – wie glatt überall in Europa. Woher also die Gleichheit? Maltesische Männer beim Yoga? Wenig saufen dank wenig Metal-Konzerten? Oder gehen viele Männer zu vielen Vorsorgeuntersuchungen, weil es in den Wartezimmern Wein gibt? Das sind Mutmaßungen; Details und Gründe verrät der Gleichstellungs-Index nicht. Was er aber zeigt, ist, dass eine positive Entwicklung allein kein rundes Gesamtbild liefert. Eine Frau an der Spitze eines Staates z.B. kann ein hoffnungsvolles Symbol sein, muss aber nicht die gesellschaftliche Regel abbilden.
Viel geschafft, viel zu tun
Insgesamt nämlich liegt Malta im Index mit nur 65 Punkten unter dem EU-Durchschnitt von 68. Trotz des starken Aufstiegs in den letzten zehn Jahren. Das Parlament in Valetta besteht aus 67 Abgeordneten – darunter nur neun Frauen. Das sind nicht einmal 15 %. Es gibt Gesetzesentwürfe für eine Frauenquote, doch krankt die Politik des Landes laut dem Internationalen Institut für Demokratie und Wahlunterstützung (International IDEA) eher an Vetternwirtschaft und Korruption. Quotenfrauen könnten also zu einem Hinterbänklerdasein verurteilt sein – oder aber auch das Parlament aufrütteln.
Es ist also wichtig, in der Statistik sowohl die großen Bilder als auch die Detailaufnahmen genau zu betrachten. Das große Bild des EU-Gleichstellungs-Index lautet aber: Es gibt noch viel zu tun, bis in Europa die Gleichstellung erreicht ist. Nicht nur in Malta – wo es dem Gleichstellungs-Index zufolge voran geht.
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