Freitag, 6. März: Die Veranstaltung zum Weltfrauentag im Historischen Rathaus gab der Stadtverwaltung Gelegenheit, die eigene Unterstützung und Wertschätzung der Arbeit engagierter Frauen zur Gleichberechtigung deutlich zu machen. OB Jürgen Roters konnte darauf verweisen, dass Köln in den letzten Jahren viel aufgeholt habe. Amtsleiter- und Abteilungsleiterstellen sowie Dezernatspositionen habe man oft mit Frauen besetzen können, von denen ein guter Teil der Anträge und Entscheidungen ausgehen würde. „Es funktioniert hervorragend.“ Am Schluss seiner Einführung zitierte er die Österreicherin Johanna Donahl: „Die Vision des Feminismus ist nicht eine ‚weibliche Zukunft‘. Es ist eine menschliche Zukunft. Ohne Rollenzwänge, ohne Macht- und Gewaltverhältnisse, ohne Männerbündelei und Weiblichkeitswahn.“
Da die Veranstaltung unter dem Motto „Frauen… von Rollenbildern, Vorbildern, Selbstbildern“ stand, führte Christine Kronenberg, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Köln, inhaltlich in diesen Problemkreis ein. Sie sei wie viele ihrer Generation mit dem „Rollenbild“ der Schauspielerin und Sängerin Heidi Brühl („Die Mädels vom Immenhof“) aufgewachsen, das sie geprägt habe. Um einen „Katze beißt Schwanz“-Effekt bei Männern und Arbeitgebern zu durchbrechen, bedürfe es Vorkämpferinnen, die zu Vorbildern würden. „Vorbilder“ seien heute leider zumeist „Strahlefrauen“ aus der Werbung und den Medien. Für wünschenswerter halte sie es, wenn man selber ein Vorbild zu sein versucht und sich Vorbilder aus Fleisch und Blut im Umfeld sucht. Sie projizierte dazu Bilder vieler Frauen, die es zu etwas gebracht haben und sich von den traditionellen Klischees abheben, darunter so bekannte Gesichter wie die der Kanzlerin. Der dritte Punkt, das „Selbstbild“, sei durch eine gerade bei Teenagern verbreitete Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper belastet, durch die Vorstellung, dass der Körper „bearbeitet, verbessert und perfektioniert werden muss“. Daher stelle sich die Frage: „Haben wir eine verzerrte Wahrnehmung von Schönheit?“ Ein Zeitraffer-Video zeigte die unzähligen manuellen und digitalen Schritte, die ein Fotomodell durchläuft, bis ihr Gesicht auf einem Werbeplakat landet.
Beim „Women Slam“, dem letzten Programmpunkt auf dem Podium, durften 11 Kölnerinnen je 60 Sekunden über sich und ihre Belange „slammen“. Besonders Serap Güler (CDU) und Meral Sahin (IG Keupstraße) vertraten hier Frauen mit Migrationshintergrund; die Volkswirtin Hana Fischer erzählte von einem Gespräch mit ihrer Mutter; sie setzt sich mit ihrem 2013 gegründeten jüdischen Kulturzentrum „Milch und Honig“ für ein sichtbares Judentum ein. Die Soziologin Schmidt-Koddenberg sprach selbstironisch über ihren Lebensweg zwischen scheinbaren Gegensätzen wie Wissenschaft und Mutterschaft. Schauspielerin Shary Reeves machte sich für den Frauenfußball stark, Rechtsanwältin Nina Brandi („FidAR“) sprach über den Kampf für mehr Frauen in Aufsichtsräten und Claudia Schall, Chefredakteurin von Radio Köln, gab bekannt: „Manche Türen muss Frau eintreten.“ Bei Dr. Nicole Grünewald hieß es: „Just do it“ – nur einer der Werbeslogans, mit denen sie per Beamer hantierte. Auch die 25-jährige Antonia Rabente (DGB/verdi) sprach über die Karriereaussichten junger Frauen, während Irmgard Kopetzky von Lila in Köln das mehrfach hervorgehobene soziale Engangement von Frauen personifizierte.
Die 100-jährige Irmgard Siegmund, eine geborene Berlinerin, die seit 50 Jahren in Köln lebt, steuerte in ihren 60 Sekunden eine historische Perspektive bei: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt, heißt es im Grundgesetz unseres Landes. Dies scheint uns heute selbstverständlich. Doch in früheren Zeiten durften Mädchen keinen Schulabschluss machen und nicht studieren. (…) Erst in der Weimarer Republik durften die Frauen erstmalig an den Wahlen teilnehmen. (…) Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Frauenwahlrecht ein erster Schritt. Erst 1949 wurde in der neuen Verfassung festgelegt, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Aber immer noch durfte der Ehemann den Wohnsitz bestimmen, das Arbeitsverhältnis seiner Frau kündigen und das Vermögen seiner Frau nach Lust und Laune nutzen.“ Auch heute bleibe noch viel zu tun.
Anschließend begannen die vier parallelen Workshops der Kooperationspartner: „Selbstmarketing – eigene Kompetenzen bewusst machen“; „Das Frauen- und Mädchenbild in der Werbung – Interventionen gegen sexistische Werbung“; „Unbezahlte Arbeit in Familie und Ehrenamt – von Vor- und Nachteilen für Frauen“ und „Frauen in Köln – berühmte Kölnerinnen als Vorbilder“. In der Piazetta fand die Diskussion über Werbung statt, worin Dr. Berit Völzmann von Pinkstinks mit vielen Bildbeispielen etwa auf die Rollenzuschreibungen in der Kinderwerbung einging und auch zeigte, dass in verbreiteten Typen von Anzeigen Frauen abgebildet seien, die „etwas mit sich geschehen lassen“. Frauen selbst würden nur einen Teil solcher Werbung sehen, da sie oft nicht die Zielgruppe seien. Auch auf Bildmanipulation und ihre Ziele und Wirkungen ging sie noch einmal ein.
Unterdessen war auch der großzügig mit Getränken versorgte „Markt der Möglichkeiten“ eröffnet worden, wo 50 Fraueninitiativen sich präsentierten und Informationen anboten. Der Bundesverband der Migrantinnen, der Journalistinnenbund, GEDOK und der Verbund deutscher Unternehmerinnen waren genauso vertreten wie Arbeitsgruppen von Gewerkschaften und Parteien und viele Kölner Initiativen (FrauenForum KölnAgenda, Beginen Köln, Lila in Köln, Kölner Frauengeschichtsverein u.a.). Nach Abschluss der Workshops war noch lange Gelegenheit, sich auszutauschen und zu netzwerken. Da die Veranstaltung um 17 Uhr begonnen hatte, konnten viele Berufstätige vermutlich nicht rechtzeitig kommen; dadurch waren jüngere Altersgruppen leider wenig vertreten. Auch Männer machten sich erwartungsgemäß rar, zumal sich das Programm stark (wenn auch nicht ausschließlich) an Frauen richtete. Das Amt für Gleichstellung organisierte den progressiv gesonnenen Abend zusammem mit einem Aktionsbündnis.
Entdecken Sie auch unser Monatsthema FRAUENMENSCHEN.
Lesen Sie weitere Artikel zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und engels-kultur.de/thema
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Mehr Frauenförderung
Gender Backlash: Feminismus verliert – THEMA 10/16 FRAUENRECHT
„Feminismus mit dem Ziel einer linken Bewegung verbinden“
Philosophin Judith Butler über den Gender Backlash – Thema 10/16 Frauenrecht
Männer ewig von gestern?
Wie Männer gegen Feminismus mobilisieren – Thema 10/16 Frauenrecht
Bugwelle der Demütigungen
Opfer der Kölner Silvesternacht werden medial ausgebeutet – THEMA 03/16 FRAUENLEBEN
„Rückständige Frauenbilder in Migrationsfamilien“
frauTV-Moderatorin Lisa Ortgies über die feministische Debatte nach der Kölner Silvesternacht – Thema 03/16 Frauenleben
Geschärfte Wahrnehmung
Kölner Verein bietet Hilfe für Opfer sexualisierter Gewalt – Thema 03/16 Frauenleben
Zuschreibungen begegnen
Das Filmnetzwerk LaDOC zeigt Helke Sanders „BeFreier und Befreite“ – Festival 02/16
Frauen aller Länder, vereinigt euch
Doku „The Power of Women“ in der Arte/WDR-Preview im Filmforum – Foyer 02/16
Gute Künstlerinnen sind (k)eine Rarität
Kunstmesse.25 im Bonner Frauenmuseum vom 13.-15.11. – Kunst 11/15
Die Verbrechen der Freunde
Die Aufdeckung der Massenvergewaltigungen des 2. Weltkrieges verändert unser Geschichtsbild – Textwelten 06/15
Schamlosigkeit als Waffe
Laurie Penny liest am 11.6. im King Georg aus ihrem neuen Buch „Unsagbare Dinge“ – Literatur 06/15
Utopien sind gut
Laurie Pennys feministisches Manifest „Unsagbare Dinge“ fordert mehr Gerechtigkeit für alle Geschlechter
Panzer vs. Schulen
Intro – Kriegszitterer
Ausgebeutet und gegeneinander aufgehetzt
Teil 1: Leitartikel – Wie der Westen Afrika in die Dauerkrise gestürzt hat
„Rassismus und Herablassung“
Teil 1: Interview – Historiker Andreas Eckert über die Folgen des europäischen Kolonialismus
Für ein Ende der Ignoranz
Teil 1: Lokale Initiativen – Ausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ im NS-Dok
Gewalt mit System
Teil 2: Leitartikel – Patriarchale Strukturen ermöglichen sexualisierte Gewalt als Kriegsmittel
„Eine totale Machtdemonstration“
Teil 2: Interview – Kindernothilfe-Mitarbeiter Frank Mischo zu sexualisierter Gewalt in Krisengebieten
Erinnern im ehemaligen Arbeitslager
Teil 2: Lokale Initiativen – Die Initiative Gedenkort Bochum-Bergen
Multipolare Wirklichkeit
Teil 3: Leitartikel – Der Abstieg des Westens und der Aufstieg des BRICS-Bündnisses
„Zunehmende Unglaubwürdigkeit des Westens“
Teil 3: Interview – Politologe Ulrich Brand über geopolitische Umwälzungen und internationale Politik
Welt am Wendepunkt
Teil 3: Lokale Initiativen – Soziologe Joris Steg über Chancen und Risiken einer neuen Weltordnung
Zum Herzen durch Verstand
Wie Deutschlands Erinnerungskultur ein NS-Opfer vom Hass abbrachte – Europa-Vorbild Deutschland
Sündenböcke, Menschenrechte, Instagram
Deutschland und der Krieg – Glosse
Generationenwissen
Intro – Auf ein Neues