Zum Verrücktwerden: feministische Debatten nach „Köln“
Foto: olly / fotolia
„Rückständige Frauenbilder in Migrationsfamilien“
25. Februar 2016
frauTV-Moderatorin Lisa Ortgies über die feministische Debatte nach der Kölner Silvesternacht – Thema 03/16 Frauenleben
choices: Wie bewerten sie die Debatte nach den Silvesterereignissen von Köln? Lisa Ortgies: Es gibt keine vernünftige Diskussion – und zwar auf beiden Seiten. Die eine ist geprägt von Hysterie und Rassismus und instrumentalisiert das Geschehen. Die andere ist von Gegenwehr geprägt, um den Rechten nicht in die Hände zu spielen, wodurch die Taten aber relativiert werden. Und ganz ehrlich: Auch ich fürchte mich davor, falsch verstanden zu werden in der Debatte, denn es scheint derzeit nicht möglich, nicht falsch verstanden zu werden.
Liegt das auch daran, das sich zu schnell auf die Täter und ihre Herkunft konzentriert wurde? Das war so, und das ist natürlich der falsche Weg. Denn die Übergriffe, die in Köln dokumentiert wurden und zu Recht für Empörung gesorgt haben, finden konstant statt im öffentlichen Raum. Das ist keine Relativierung, das ist Fakt. Die Silvesterübergriffe sind allerdings schwer einzuordnen, weil sie so massiert an einem Ort stattgefunden haben. Deshalb laufen diese Akte sexualisierter Gewalt auch nicht wie sonst unter dem Stichwort Kavaliersdelikt, wo es normalerweise heißt: Ist halt so, wenn man nachts unterwegs ist.
Zur
Person: Lisa Ortgies (50) ist
Journalistin, Kolumnistin und ist seit 1997 – mit einer kurzen
Unterbrechung 2008 – das Gesicht der WDR Sendung „frauTV“.
Ortgies wurde 2014 mit dem Luise-Büchner-Preis für Publizistik
ausgezeichnet. Sie ist Botschafterin des Projekts „Heroes“ in
Köln. Heroes bildet junge Männer aus Migrantenmilieus zu
Sozialarbeitern aus.
Dennoch: frauTV thematisiert seit Jahren problematische Frauenbilder vor allem in islamisch geprägten Migrationsmilieus. Gibt es da einen Zusammenhang? Mit den Taten direkt hat der Komplex nichts zu tun. Und es geht da auch nicht um „den Islam“. Dennoch finden sich patriarchale Strukturen häufig, aber nicht ausschließlich, in muslimischen Familien. Strukturen, in denen Mädchen unterdrückt, in die Heimat geschafft und zwangsverheiratet werden. Muslimische Frauenrechtlerinnen wie Serap Ҫileli, Fatma Bläser und Seyran Ateş thematisieren seit Jahren diese rückständigen Frauenbilder in Migrationsfamilien. Wenn man diesen Frauen mal wirklich zuhören würde, gäbe es die Rassismus- und Relativierungs-Reflexe nicht.
Wie meinen Sie das? Wenn jetzt, wie geschehen, auch Feministinnen hingehen und aus einem falsch verstandenen Antirassismus die Vorkommnisse an Silvester relativieren, indem sie sagen: „Das gibt es auch auf dem Oktoberfest“, dann begegnet man diesen Frauenrechtlerinnen mit Arroganz und Ignoranz. Organisationen wie „Hennamond“ arbeiten in dem Bereich seit Jahren, beraten Mädchen und junge Frauen, die verzweifelt sind. Hennamond hat auch weiterhin beständig Zulauf. Den gäbe es ja nicht, wenn die Probleme nicht da wären. Bei dem Thema ist man aber auch ganz schnell bei den eigenen Verfehlungen wie missglückter Integration. Und darum redet man da nicht gerne drüber.
Aber die Täter von Silvester kamen doch hauptsächlich aus islamischen Ländern… …und dennoch sind nicht alle Muslime Grabscher. Ich weiß über die Silvesterübergriffe auch nicht mehr als alle anderen, was insgesamt wenig ist. Was wir gesichert wissen, ist dass die Täter Männer waren. Und in der Gruppe der 16- bis 24-jährigen Männer haben Sie weltweit in allen Gesellschaften die höchste Kriminalitätsrate. Das hat eigentlich immer mit Perspektivlosigkeit und fehlenden Jobs zu tun. Das führt zu Frust und Gewalt. Es gibt doch in der Tat nichts Schlimmeres für Kinder und junge Menschen, als in die Welt rauszugehen und dort wartet niemand und nichts auf einen, außer Ablehnung.
Also wäre die Antwort auf Silvester eine Integrations- statt der derzeit geführten Ausgrenzungsdebatte? Ja natürlich. Und zwar eine selbstkritische, in der man auch die Fehler anspricht, die die Gesellschaft bisher in der Integration von Migranten gemacht hat. Flüchtlinge die herkommen, müssen so schnell wie möglich eine Perspektive bekommen, müssen in Ausbildung. Wir haben das duale Ausbildungssystem, das im Ausland kopiert wird und auf das wir zu Recht stolz sein können. Und Stellen gibt es ja. Allerdings braucht man für eine Ausbildung mehr als eine Stunde Deutschunterricht in der Woche. Wichtig ist auch, dass gleich damit angefangen wird, dass nicht zu viel Zeit verstreicht. Hier könnte auch das Projekt „Heroes“, für das ich Botschafterin in Köln bin und das junge Männer aus Migrantenmilieus zu Sozialarbeitern ausbildet, eine absolut sinnvolle Sache sein. Die jungen Männer kennen die Probleme, Teil zweier Kulturen zu sein und können authentische Aufklärung leisten. Und Geld wird das alles auch kosten. Aber ich bin überzeugt, dass es sich lohnen kann.
Welche Signale sendet eigentlich unser eigener Umgang mit dem weiblichen Körper? Stichwort hypersexualisierte Bilder. In der Werbung wird – platt gesagt – vom Joghurt bis zum Auto alles mit Titten beworben. Da kann ich nur sagen, das haben wir bei frauTV seit Jahren auf dem Schirm. Das Thema gehört diskutiert. Einerseits haben wir ein gleichberechtigtes Miteinander und ein Gleichstellungsgesetz und andererseits – ich sag es mal ganz offen – kotzt es mich an, was für Bilder ich mir ansehen muss, wenn ich an einer Ampel stehe. Mich kotzt auch „Germany's Next Topmodel“ an. Es ist mir ein Rätsel, wie Gleichberechtigung und sexualisierte Darstellungen des weiblichen Körpers für irgendeine Tiefkühlpizza zum Beispiel nebeneinander existieren können und warum dieser offensichtliche Widerspruch überhaupt kein Thema ist.
Man verstehe mich nicht falsch: Es geht nicht um Zensur, aber könnten wir vielleicht mal ernsthaft darüber reden, was für ein Frauenbild da transportiert wird? Und was das für Konsequenzen hat? Junge Mädchen nehmen sexualisierte Werbung nicht mal mehr als solche wahr, sondern sehen sie als Ausdruck sexueller Freiheit. Das ist doch Quatsch! Um diesen Widerspruch Fremden erklären zu können, müssten wir ihn doch erstmal für uns klären. Ansonsten bleibt das ein blinder Fleck. Und wo wir schon bei Widersprüchen sind: Wir haben ein Gleichstellungsgesetz, das sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ahndet, aber nicht im öffentlichen Raum. Das ist ebenfalls ein unerklärlicher blinder Fleck in unserer Gesellschaft.
Wo kommt der her, dieser blinde Fleck? In Deutschland gibt es da kein Bewusstsein. Frauen sind keine Minderheit, werden von der Gesetzgebung aber wie eine behandelt: Frauen, Schwule, Behinderte… Wenn wir die Widersprüche für uns nicht mal klären können, wie soll es dann erst denen gehen, die aus einem anderen Kulturkreis kommen. Das soll jetzt keine Entschuldigung für irgendwas sein, aber es belegt doch die Scheinheiligkeit, die bei uns bei diesen Themen vorherrscht.
Eine weitere Folge von Silvester ist ein neuer Gesetzentwurf für das Sexualstrafrecht… …und ich bin froh drum, dass das Sexualstrafrecht mal wieder in den Fokus gerät. Es gibt da Lücken, die geschlossen werden müssen. Sexuelle Übergriffe, wie das Grapschen an Silvester, stellen heute kein Sexualdelikt dar. Und auch bei der Vergewaltigung muss nachgebessert werden.
Aber genau da gibt es doch eigentlich keinen Fortschritt, oder? Das stimmt leider. Damit eine sexuelle Nötigung eine Vergewaltigung ist, muss die Frau Gegenwehr leisten. Im neuen Gesetz soll das nicht mehr zwingend sein. Allerdings soll eine Frau in Zukunft begründen, warum sie sich nicht gewehrt hat. Erst wenn sie das kann, liegt eine Vergewaltigung vor. Das ist ein anderes Niveau, im Prinzip aber das Gleiche. Wenn man das Fortschritt nennt, betreibt man Haarspalterei. Es wird immer noch keine Situation geben, in der Frauen sich wirklich geschützt fühlen, wenn sie zur Polizei gehen und eine Vergewaltigung anzeigen.
Also dient das Gesetz dazu, Handlungsfähigkeit zu beweisen? Handlungsfähigkeit vortäuschen, würde ich sagen. Es ist der Versuch den Ängsten, die gerade bestehen, zu begegnen. Nach dem Motto: Hauptsache es gibt eine Reform. Aber das ist keine Reform.
Müssen Frauen denn derzeit Angst haben? Oder ist es Hysterie? Es ist beides. Ich fände es komisch, mich hinzustellen und zu leugnen, dass die Angst zunimmt im öffentlichen Raum – vor allem nach dem, was ich mitbekommen habe, und auch nach den Zuschriften, die wir in unserer Sendung bekommen haben. Da sind jetzt ganz klar andere Gedanken bei Frauen im Spiel. Wären an Silvester Männer von einem Hooligan-Mob zusammengeschlagen worden, würde es Männern genauso gehen. Da würden sich einige, die sonst angstfrei aus dem Haus gehen, fragen: Was erwartet mich da? Das lässt sich auch nicht wegreden. Angst ist aber nie rational. Die gründet nicht auf Zahlen, sondern die macht sich an Emotionen, Geschehnissen und Bildern fest. Dagegen anzukämpfen ist ganz schwierig. Dennoch muss die Haltung sein: Wir überlassen Straftätern nicht den öffentliche Raum.
Aktiv im Thema
www.notruf-koeln.de | Notruf und Beratung für vergewaltigte Frauen www.heroes-koeln.de | Projekt von HennaMond.V., das junge Männer aus Migrantenmilieus zu Sozialarbeitern ausbildet hennamond-ev.de | Verein zur Förderung der Selbstbestimmung von familiärer Gewalt, Unterdrückung, Zwangsverheiratung und „Ehrenmord“ bedrohten Mädchen, Jungen, Frauen und Männern mit Migrationshintergrund in Deutschland #ausnahmslos | Twitter-Kampagne gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus
Thema im April: WASSERSCHADEN – Von der Amöbe bis zum Quantenphysiker – Wasser ist Lebensgrundlage. Das Element als künftiger Kriegsgrund, philosophisch betrachtet und wie wir es schützen und nachhaltiger verwenden können.
Interview: Bernhard Krebs
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Diese Blondine scheint in der Werbewelt Kundin zu sein, denn die Schablonen, die Sie für Befreiung hält sind der falsche Spiegel. So hilft Sie den "migrationswilligen"Männern offensichtlich und junge und ältere Frauen bleiben auf der Strecke, mit Ihrem Instinkt und Ihrer weiblichen Intuition, Vernunft möglicher weise. Solche Frauenmagazine, die die Abhängigkeitsfalle verherrlichen sind nahe bei der Pest. Mäh Pasta zu so einem Mediengesummse, das Übergriff und Vergewaltigung verharmlost. Problematische nicht kriminelle Situationen, die dennoch kriminell sind , sollten nicht die Perspektive der Täter verabsolutieren. Opferung ist nicht natürlich, wenn#s ums biologische Geschelcht geht. Strategien diesen Paroli zu bieten finde ich wichtig und Täter/Opfer Symbiose ist breitgetretener Quark.Also was soll so ein Interview zur Sache Ölgötzen Polizei glotzen und greifen nicht ein, wenn sie gefordert sind. WDR von Vor-vorgestern, Danke vielmals!